Gemischtes

Experten skeptisch: Erdogan will türkisches Auto bis 2021

Die Türkei soll ein eigenes Auto bauen. Die Reaktionen auf die Idee sind verhalten.
03.11.2017 00:52
Lesezeit: 3 min

Die Türkei will nach den Worten von Präsident Recep Tayyip Erdogan ein eigenes Auto auf den Markt bringen und damit einen lange gehegten Traum der Türken verwirklichen. Das Fahrzeug solle vollständig in der Türkei produziert werden und bis 2021 serienreif sein, sagte Erdogan am Donnerstag. Der Prototyp werde spätestens 2019 fahren. Ein Konsortium aus fünf Firmen, darunter der Mobilfunk-Betreiber Türkcell und der Mutterkonzern des TV-Geräte-Herstellers Vestel, sei mit der Produktion des türkischen Autos beauftragt worden. "Wir wollen keine Verzögerungen bei diesem Projekt und werden keine Verspätungen dulden", betonte Erdogan. Er werde der erste Kunde des neuen Autos sein und dafür auch zahlen.

In der Türkei lassen zahlreiche internationale Autokonzerne Fahrzeuge für den Export nach Europa fertigen. 2016 produzierten laut dem Automobilexporterverband Uludag Toyota, Ford, Renault, Fiat, Honda und Hyundai über 1,1 Millionen Fahrzeuge in den türkischen Werken. Auch viele türkische Zulieferer arbeiten für internationale Konzerne.

Analysten zeigten sich wenig begeistert von Erdogans Plänen. Es sei eine gute Absicht, ein türkisches Auto zu bauen, aber das Konsortium sei in diesem Bereich unerfahren, sagte Cemal Demirtas vom Brokerhaus Ata Invest. Der Wettbewerb in dem Sektor sei im In- wie im Ausland hart.

Zum Konsortium gehören neben Türkcell und der Vestel-Mutter Zorlu Holding die Mischkonzerne Anadolu Holding, Kiraca Holding und das türkisch-katarische Unternehmen BMC Group. Nach anfänglichen Kursgewinnen brachen die Aktien der beteiligten Unternehmen zum Teil drastisch ein. So fielen die Papiere von Anadolu Isuzu, dem Autofabrikanten der Anadolu Holding, um acht Prozent. Die Aktien von Türkcell büßten 4,6 Prozent ein. Vestel-Titel gaben elf Prozent nach.

Der türkische Journalist Hüseyin Sengül schrieb in einem Bericht im Jahr 2015 auf Bianet, dass die AKP und der türkische Staatspräsident Erdogan immer dann lautstark von der Entwicklung eines “einheimischen Flugzeugmodells” und “einheimischen Automodells” sprechen, wenn Wahlen anstehen oder von einem anderen wichtigen Thema abgelenkt werden soll. So sei die Einführung eines “einheimischen Automodells” kurz vor den Parlamentswahlen am 1. November 2015 propagiert worden.

Dasselbe ist auch vor der Kommunalwahl am 30. März 2014 passiert. Am 9. März 2014 verkündete der damalige türkische Technologieminister Fikri Isik, dass “es endlich soweit sei”. “Wir haben einen tapferen Mann gefunden. Wir überlegen, den Namen in den kommenden Tagen zu veröffentlichen. Die Firma, die das einheimische Auto entwickeln wird, wird 100 Millionen Lira an Unterstützung bekommen”, zitiert die Zeitung Aksam Isik. Eine Veröffentlichung des Namens der Firma und der angeblich beteiligten Personen blieb aus.

Minister Isik hatte sogar drei Wochen vor den Parlamentswahlen am 1. November 2015 gesagt, dass im Jahr 1884 der türkische Sultan Abdülhamit II. den Befehl zur Entwicklung eines einheimischen Autos gegeben habe, so Haberturk. Doch “ausländische Kräfte” hätten dies verhindert, meint er.

Kurz vor der Kommunalwahl am 30. März 2014 hatte der türkische Wirtschaftsminister Zafer Caglayan nach Angaben der regierungsnahen Zeitung Sabah gesagt: “Mein Big Dream, ja mein großer Traum ist, dass wir im Jahr 2023 einheimische Autos, türkische Flugzeuge und türkische Helikopter haben werden. Wir planen, zwei einheimische Automodelle. Wir waren noch sie so nah an unserem Ziel. Der Staat wird sich bei der Produktion der einheimischen Fahrzeuge mit einem Mehrheitsanteil beteiligen. Die Behördenfahrzeuge werden allesamt einheimische Fahrzeugmodelle sein. In Korea ist das auch so”.

Nach der Kommunalwahl am 30. März 2014 geriet die Idee des “einheimischen Autos” in Vergessenheit.

Zuvor fanden am 12. Juni 2011 die Parlamentswahlen statt. Das türkische Technologieportal Shift Delete veröffentlichte am 3. Juni 2011 einen kritischen Artikel über die Wahlwerbung der AKP. “Im Zusammenhang mit dem Wahlmaraton hat die AKP erneut das Thema eines ,einheimischen Autos’ ins Spiel gebracht. Doch dieses Mal zeigt sich die AKP - im Vergleich zur vergangenen Wahlkampagne - besonders ehrgeizig und sogar die Details und das Entwicklungsdatum des Modells sollen bereits feststehen”, so Shift Delete.

Sengül fasst die Wahlstrategie der AKP zusammen: “Sie (Anm .d Red. die AKP-Vertreter) möchten uns weis machen, dass sie als Nachfolger des glorreichen Osmanischen Reichs auftreten. ,Wir werden ein einheimisches Auto entwickeln, wir werden die Beschützer des Nahen Ostens sein, wir werden national sein und wir werden das Osmanische Reich ehren. Wir werden die Produktion von einheimischen Waren fördern. Doch damit wir das machen können, müsst ihr echte, einheimische Abgeordnete wählen. Die AKP hat nationale, einheimische, osmanische und muslimische Abgeordnete zugleich. Los, alle Stimmen der AKP!’, sagen sie.”

Nach einem Bericht des regierungsnahen Hürriyet-Journalisten Abdülkadir Selvi plant Erdogan, die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen auf den Herbst 2018 vorzuziehen.

Einem anderen Bericht der Zeitung Sözcü zufolge, der sich auf Quellen aus Erdogans engstem Kreis stützt, sollen die Parlamentswahlen auf den 15. Juli 2018 vorgezogen werden, da der 15. Juli aufgrund des gescheiterten Putsch-Versuchs eine Symbolkraft hat. Doch auch die Opposition macht seit geraumer Zeit Druck auf die Regierung, um alle Wahlen vorzuziehen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Politik
Politik Trump dreht den Geldhahn zu: Kiew kämpft ohne Washington
02.07.2025

Donald Trump kappt Waffenhilfe für die Ukraine, Europa zögert, Moskau rückt vor. Doch Kiew sucht nach eigenen Wegen – und die Rechnung...

DWN
Panorama
Panorama Köln schafft den Begriff "Spielplatz" ab
02.07.2025

Köln verabschiedet sich vom traditionellen Begriff "Spielplatz" und ersetzt ihn durch "Spiel- und Aktionsfläche". Mit neuen Schildern und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Tusk zieht die Grenze dicht – Spediteure schlagen Alarm
02.07.2025

Grenzkontrollen sollen Sicherheit bringen – doch für Spediteure und Industrie drohen Staus, teurere Transporte und Milliardenverluste....

DWN
Panorama
Panorama EU-Klimapolitik: Soviel Spielraum lässt das 90-Prozent-Ziel
02.07.2025

Die EU-Kommission hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis 2040 sollen die Emissionen massiv sinken, ein großer Schritt Richtung...

DWN
Technologie
Technologie DeepSeek zerstört Milliardenwerte: China-KI soll aus Europa verschwinden
02.07.2025

Ein chinesisches Start-up bringt Nvidia ins Wanken, Milliarden verschwinden in Stunden. Doch für Europa ist das erst der Anfang: Die...

DWN
Politik
Politik Gasförderung Borkum: Kabinett billigt Abkommen mit den Niederlanden
02.07.2025

Die Bundesregierung will mehr Gas vor Borkum fördern und stößt damit auf heftigen Widerstand von Umweltschützern. Das Vorhaben soll...

DWN
Immobilien
Immobilien Klimaanlage einbauen: Was Sie vor dem Kauf wissen müssen
02.07.2025

Die Sommer werden heißer – und die Nachfrage nach Klimaanlagen steigt. Doch der Einbau ist komplizierter, als viele denken. Wer nicht in...

DWN
Technologie
Technologie Balkonkraftwerke: 220.000 neue Anlagen binnen sechs Monaten
02.07.2025

Mehr als 220.000 neue Balkonkraftwerke sind in Deutschland binnen sechs Monaten ans Netz gegangen. Während Niedersachsen glänzt, fallen...