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Nach Brexit: Deutschem Mittelstand drohen Fördergeld-Kürzungen

Lesezeit: 4 min
29.04.2018 21:57
Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU werden viele mittelständische Unternehmen deutlich weniger Fördergelder erhalten.
Nach Brexit: Deutschem Mittelstand drohen Fördergeld-Kürzungen

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Durch den Austritt Großbritanniens aus der EU drohen vielen mittelständische Unternehmen wirtschaftliche Nachteile. Neben erschwerten Handelsbeziehungen werden sie vor allem mit Kürzungen von EU-Forschungsgeldern zu kämpfen haben, wie aus einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsförderung (ZEW) hervorgeht.

Rund 99,95 Prozent aller deutschen Betriebe sind klein- und mittelständische Unternehmen (KMU). Mehr als ein Viertel (rund 900 Milliarden Euro) des Bruttoinlandsproduktes (rund 3,26 Billionen Euro) wurde im vergangenen Jahr von ihnen erwirtschaftet. Nach dem Brexit befürchten viele KMU jedoch deutliche Umsatz- und Gewinneinbrüche. Für das kommende Jahr prognostizieren sie diese auf rund zwei Prozent.

Besonders die Entwicklung unterschiedlicher Rechtssysteme könnte neben Zollbeschränkungen laut dem Geschäftsführer des Verbands für Deutsche Maschinenbauer (VDMA), Thilo Brodtmann, ein Handelshemmnis werden. „Der Handel nach Großbritannien wird teurer und aufwendiger, wenn dort andere technische Vorgaben gelten als in der EU. Das wird auch ein Handelsabkommen nicht vollständig verhindern können, weil die EU kaum Spielraum für Kompromisse hat. Der Erhalt des Binnenmarktes ist am Ende wichtiger als Zugeständnisse an Großbritannien“, warnt er. Wie aus einer jüngst von dem Europäischen Ausschuss der Regionen veröffentlichten Studie hervorgeht, werden insbesondere Industrie- und Handwerksbetriebe betroffen sein.

Innerhalb der KMU haben die Maschinenbauer eine besondere Position. Rund 30 Prozent des gesamten Branchenumsatzes wird von Maschinenbaubetrieben mit weniger als 1.000 Mitarbeitern erzielt. Insgesamt sind über eine Million Arbeitnehmer bei Klein- und mittelständischen Maschinenbaubetrieben angestellt.

Im vergangenen Jahr betrug der Jahresumsatz in der gesamten Maschinenbaubranche (KMU und Großunternehmen) rund 75 Milliarden Euro. Die Exporte nach Großbritannien sanken jedoch um 2,7 Prozent. Gründe für den Exporteinbruch sind laut Brodtmann eine zunehmende Verunsicherung deutscher Hersteller, wie beim Handel mit britischen Partnern umzugehen ist, sowie der zunehmende Kursverfall des britischen Pfunds.

Bislang haben sich die EU und Großbritannien nicht über ein bilaterales Handelsabkommen geeinigt. Detaillierte Gespräche hierzu will die EU erst nach Austritt Großbritanniens im kommenden Jahr beginnen. An den Börsen ist seit dem Beginn des Brexitverfahrens eine Kursabwertung zu beobachten. Im vergangenen September wurde das Pfund für einen Kurswert von 0,92 Euro gehandelt. Derzeit liegt es bei 0,87 Euro.

Finanziell spürbar wird sich der Brexit jedoch nach Einschätzung der ZEW im Bereich der Unternehmensforschung machen. Für das kommende EU-Haushaltsjahr ab 2021 wird eine Kürzung der von der EU für Forschungszwecke bereitgestellten Gelder bis zu 30 Prozent erwartet. In der kommenden Woche sollen die Verhandlungen über den neuen EU-Etat beginnen.

Großbritannien war im vergangenen Jahr neben Deutschland (12,9 Milliarden Euro) und Frankreich (8,2 Milliarden Euro) mit einer jährlichen Haushaltsabgabe in Höhe von 5,6 Milliarden Euro der drittgrößte Nettozahler in der EU. Im vergangenen Jahr leistete das Land Nettobeiträge zum EU-Haushalt von rund 7,3 Milliarden Euro.

Durch den künftigen Wegfall dieser Beiträge entsteht laut EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger eine finanzielle Lücke im EU-Budget von 12 bis 14 Milliarden Euro pro Jahr. Nettozahler wie Deutschland halten das für zu hoch gegriffen. Sie gehen von sechs bis acht Milliarden Euro aus. Finanziert wird der EU-Haushalt zu 80 Prozent durch Beiträge der Mitgliedstaaten. Um die Lücke zu schließen, kündigte Oettinger an, EU-Subventionen und Fördergelder erheblich kürzen zu wollen. Zudem forderte er die Mitgliedstaaten zu einer höheren Beitragsleistung auf. Die deutschen EU-Beiträge sollen sich in der kommenden Haushaltsperiode um rund drei Milliarden erhöhen. Die neuen Ausgaben etwa für den EU-Außengrenzschutz, Forschung oder Verteidigung beziffert Oettinger auf acht bis zehn Milliarden Euro pro Jahr.

Beginnend im Jahr 2014 bis Ende des Jahres 2020 stellt die EU für KMU im Rahmen des Programms Horizont Forschungsgelder in Höhe von 74,3 Milliarden Euro bereit. Anspruchsberechtigt sind neben Hochschulen, öffentlichen Einrichtungen und Verbänden insbesondere Betriebe mit bis zu 249 Mitarbeitern einem Jahresgewinn von maximal 50 Millionen Euro oder eine Bilanzsumme von maximal 43 Millionen Euro.

Ziel des Förderprogramms ist es, unionsweit eine wissens- und innovationsgestützte Gesellschaft und eine weltweit führende Wirtschaft aufzubauen. Die Förderung von KMUs sieht dabei den Ausbau und die Entwicklung grundlegender, industrieller Technologien vor. Im Einzelnen bedeutet dies eine Mittelbereitstellung in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Demonstration sowie für die Normung und Zertifizierung neuer Technologien in den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnologie und der Nanotechnologie sowie der innovativen Werkstoffe, Biotechnologie, der Raumfahrt und im Bereich der fortgeschrittenen Fertigung und Verarbeitung. Darüber hinaus sollen die EU-Gelder insbesondere kleine Unternehmen in ihren Forschungen unterstützen. Für Forschungsprojekte von KMUs stehen insgesamt 16.476 Milliarden Euro bis 2020 bereit. Mit ihnen können anfallende Forschungsausgaben von bis zu 70 Prozent übernommen werden.

Während das Horizon-Programm in ähnlicher Form mit gekürzten Mitteln auch in der kommenden Haushaltsperiode fortgeführt werden dürfte, sieht es für Unternehmen mit Mitarbeiterzahlen zwischen 249 und 2999 Beschäftigten schlecht aus.

Die sogenannten Midrange-Companies (MC) fallen aufgrund ihrer Betriebsgröße aus den bereits bestehenden EU-Subventionsprogrammen für KMUs heraus. Von der EU werden sie als Großunternehmen angesehen. Anders in Deutschland: Vom Bonner Institut für Mittelstandsforschung werden sie als mittelständische Unternehmen eingestuft, wenn bis zu zwei natürliche Personen oder deren Familienangehörige direkt oder indirekt mindestens die Hälfte der Unternehmensanteile halten und der Geschäftsleitung angehören.

In den vergangenen zehn Jahren ist die Innovationsbeteiligung aufgrund dieser uneinheitlichen Definitionsproblematik bei den MC deutlich zurückgegangen. Besonders ausgeprägt war die Entwicklung mit einem Rückgang um zehn bis 14 Prozent bei Unternehmen bis zu 1.000 Beschäftigten.

Der Grund: Großunternehmen erhalten ebenso wie KMUs Fördergelder für den Ausbau ihrer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Unterstützt werden Forschungen unter anderem in den Bereichen Innovation, Nachhaltigkeit und Umweltschutz sowie für die Verbesserung sozialer Arbeitsbedingungen. Verteilt werden die Fördermittel in der Regel proportional nach der Unternehmensgröße. Derzeit stellt die EU Gelder aus dem Kohäsions- und aus dem Europäischen Sozialfonds von insgesamt rund 66 Milliarden Euro bis Ende 2020 bereit.

Für einen zukunftsgerichteten Ausbau eines wettbewerbsfähigen Mittelstands sind die Fördermittel aus Sicht des ZEW jedoch nicht zielführend. Um ihre Innovationskraft finanziell zu unterstützen, fordert er, MC mit hohen Forschungsausgaben künftig steuerlich zu begünstigen. Auf diese Weise könne die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Binnenmarkt nachhaltig gesteigert und die nationale Wirtschaft in Deutschland langfristig belebt werden. Angemessen wäre hierbei laut Bettina Peters, Ökonomin der ZEW, Forschungsausgaben bis zu 20 Millionen als steuerlich absetzbar zu definieren. Im Bundestag gibt es jedoch bislang noch keine Absichten, das unternehmerische Besteuerungsmodell umzugestalten.

Volkswirtschaftlich bilden die MC die Basis für den Mittelstand: Im vergangenen Jahr waren rund 30,9 Millionen Erwerbstätigte in rund 3,6 Millionen klein- und mittelständischen Unternehmen beschäftigt. Die Anzahl der Großunternehmen über 3.000 Mitarbeiter betrug 1.800.

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