Die USA führen ihre Handelskriege aktuell an mehreren Fronten:
- Die USA führen derzeit mit hohen Zöllen einen Handelskrieg gegen China und gegen Europa,
- belegen Russland und den Iran mit Sanktionen und
- drängen die Europäer zu höheren Verteidigungsausgaben.
- Alle drei Bereiche werden durch die Folgen der Steuersenkung in den USA belastet.
- Der Handelskrieg ist nicht von der derzeit stattfindenden Aufrüstung zu trennen: Von der Anti-Russland-Politik der NATO bis zur kompletten Neuaufstellung der chinesischen Armee reichen die Milliarden-Investitionen in Waffen, die die Gegensätze verschärfen.
In diesem Kräftespiel kann sich die EU durch ihren strukturellen Mangel, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, nicht behaupten. Sie ist das Hauptziel der US-Attacken. Die EU wird aktuell besonders durch den Brexit geschwächt, den der US-Präsident nutzt, um einen Keil zwischen Großbritannien und die EU zu treiben.
Ein starker Dollar ist die größte Import-Förderung
Derzeit wirken in erster Linie die Währungskurse. Der Dollar hat in den vergangenen Jahren deutlich an Wert gewonnen. Zur Illustration: Musste man als Europäer von 2009 bis 2013 nur rund 75 Eurocents für einen Dollar zahlen, so sind es jetzt schon 85. Steigende Kurse einer Währung laden zum Import ein und erschweren den Export. Diesem Prinzip folgend hat die US-Außenbilanz 2017 mit einem Minus von knapp 570 Mrd. Dollar und allein im Warenbereich ohne Dienstleistungen mit fast 800 Mrd. abgeschlossen.
Angesichts der lauten Töne Trumps gegen diese Entwicklung sollte man mit einer Korrektur rechnen. Tatsächlich ist in den ersten Monaten - die Daten liegen bis Ende Mai vor - das Defizit weiter gestiegen und es ist fraglich, ob die schon eingeführten und noch geplanten Zölle für eine größere Korrektur sorgen können.
- Nach der schon erfolgten Aufwertung in den vergangenen Jahren stehen die Zeichen auf eine weitere Aufwertung des Dollar:
- Die US-Notenbank Federal Reserve Board hat die Zinsen bereits angehoben und dürfte weitere Korrekturen nach oben vornehmen. Das macht den Dollar für Anleger attraktiv und fördert die Aufwertungstendenz.
- Die heuer in Kraft gesetzte Steuersenkung kostet den Staat 1.500 Mrd. Dollar im Jahr und vergrößert um diesen Betrag das Defizit. Die Folge: Die USA brauchen mehr Mittel für die Staatsfinanzierung und werden daher den Anlegern höhere Zinsen zahlen müssen - ein weiterer Druck auf den Dollarkurs nach oben. Das Problem wird durch den Umstand verschärft, dass die US-Notenbank den Kauf von Staatsanleihen beendet.
- Die vieldiskutierten Zölle bringen keine vergleichbaren Beträge: Die gesamten Importe aus China im Jahr 2017 betrugen 500 Mrd. $. 10 Prozent entsprechen, wenn es bei diesem Satz bleibt, nur 50 Mrd. $. Geplant sind Zölle auf ein Volumen von 400 Mrd. $.
- Werden alle Waren-Importe in die USA von etwa 2.300 Mrd. Dollar im Jahr mit Strafzöllen belegt - das steht nicht zur Debatte - sind das bei 10 Prozent auch nur 230 Mrd. $ für die Staatskasse - weit entfernt von den Kosten der Steuersenkung.
- Die im Fokus des Handelskriegs stehenden Handelspartner vergrößern das Problem:
- Der Euro wertet tendenziell weiter ab: Die europäischen Staaten schaffen nicht die Sanierung der Budgets. Die Zinsen bleiben zumindest vorerst niedrig. Die Konjunktur beginnt nach einer kurzen Hochphase zu schwächeln. Allerdings fördert der niedrigere Euro-Kurs den Export in die USA.
- Der Kurs des chinesischen Yuan wird von den Behörden gesteuert. Somit können US-Zölle durch eine Abwertung des Yuan relativ leicht ausgeglichen werden. Den USA steht diese Möglichkeit nicht offen, da der Dollar-Kurs nach oben tendiert und naturgemäß auch die Lieferungen nach China erschwert.
Extrem niedrige Steuern sind auch eine Import-Förderung
Das Paradoxon: Seit Jahresbeginn wirkt Trumps Steuerreform, die die ohnehin im Vergleich zu Europa bereits niedrigen Steuern drastisch gesenkt hat. Somit können die US-Amerikaner mehr konsumieren und investieren und folglich mehr importieren.
Die USA wären in der Lage gewesen, das Problem selbst zu entschärfen. Eine moderate Steuer-Erhöhung statt der Senkung hätte
- die Kaufkraft der Konsumenten reduziert und somit den Importsog verringert,
- die Staatseinnahmen erhöht und das Defizit und den Finanzbedarf des Staates verkleinert,
- den Druck nach oben auf die Zinsen und folglich auf den Dollar-Kurs verhindert.
Im Handelskrieg ist die Position der USA auf der Exportseite extrem schwach
Im nun tobenden Handelskrieg haben derzeit die USA auf der Exportseite schlechte Voraussetzungen, müssen aber damit rechnen, dass ihre Exporte noch durch Gegenmaßnahmen belastet werden.
- Im Warenbereich stehen den genannten Importen von 2.300 Mrd. $ Exporte im Gegenwert von rund 1.500 Mrd. $ gegenüber also ein Minus von 800 Mrd. $, wovon allein auf China 375 Mrd. und auf die EU 150 Mrd. $ entfallen.
- Berücksichtigt man Waren und Dienstleistungen gemeinsam, so geht es um 2.900 Mrd. $ Importe und 2.400 Mrd. $ Exporte, also ein Gesamtdefizit von rund 500 Mrd. $
- Die Ausfuhren von 2.400 Mrd. $ entsprechen allerdings 12,6 Prozent des BIP von etwa 19.000 Mrd. $, die durch die zu erwartenden Gegen-Zölle belastet werden. Die aktuelle Entwicklung des Handelskriegs bedroht somit einen wesentlichen Teil der US-Wirtschaft.
Die trügerische Hoffnung: Finanzminister Steven Muchnin erklärte vor wenigen Tagen im US-Senat, dass man sich auf Verhandlungen mit China vorbereite. Offenbar meint man in der US-Regierung, dass durch die Strafzölle ausreichend Druck aufgebaut wurde, um ein Kernproblem angehen zu können: Derzeit dürfen Ausländer in China nur eine Firma betreiben, wenn sie einen chinesischen Partner haben. Diese Partner werden von den USA beschuldigt, das technische Know-How an chinesische Stellen weiterzugeben. Außerdem kauft China laufend Firmen im Westen und nützt so den freien Markt aus, verhindert aber Gleiches in China. Hier müssten Europa und Amerika an einem Strang ziehen. In diesem Bereich Kompromissbereitschaft zu erwarten, ist eher unrealistisch: Erst vor kurzem hat die herrschende Kommunistische Partei Chinas beschlossen, dass in jedem Betrieb ein Vertreter der Partei installiert werden muss, um subversive Entwicklungen zu unterbinden.
Für die USA wie für Europa wäre der Abschluss von TTIP vorteilhaft gewesen
Trump pflegt zu sagen, dass Europa noch schlimmer sei für die USA als China. Tatsächlich bilden Trumps Aktivitäten für Europa eine besonders große Gefährdung, wogegen die Daten insgesamt keine Auseinandersetzung nahelegen würden.
- Das bereits erwähnte Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber der EU von etwa 150 Mrd. $ im Jahr resultiert aus europäischen Lieferungen von 430 Mrd. $ und US-Exporten nach Europa von etwa 280 Mrd. $
- Die USA kritisieren, dass das Zollregime der EU, die als Zollunion agiert, für die USA ungünstig sei. Das stimmt sicher in einigen Punkten, etwa bei den KFZ. In anderen Bereichen sind die Europäer im Nachteil.
- Es wäre also sinnvoll einen freien Markt für die USA und die EU zu schaffen, zusammen über 830 Millionen Menschen. Hier können einander die Nationalisten in Europa und Trump die Hände reichen: Gemeinsam haben sie das geplante Handelsabkommen TTIP verhindert, jeweils um die eigenen Interessen zu schützen. Die Annahme, durch Protektionismus die nationale Wirtschaft stärken zu können, ist, wie die Geschichte oft bewiesen hat, falsch. Ein Binnenmarkt USA-EU, vielleicht sogar eines Tages eine gemeinsame Währung, hätte im freien Wettbewerb beide Regionen zum Blühen gebracht.
- Jetzt geht es nur darum, die bereits beschlossenen US-Strafzölle durch entsprechende EU-Zölle auszugleichen. Allerdings ist die EU bisher nicht in der Lage gewesen, prompt und eindeutig zu reagieren und ist auch weiterhin durch das Fehlen klarer Entscheidungsstrukturen in der Umsetzung von Gegenmaßnahmen behindert.
- Die EU ist außerdem im Nachteil, weil sie nicht, wie etwa China, den Euro-Kurs nach Belieben steuern kann. Die Aufwertung des Dollar, die den europäischen Exporteuren nützt, dürfte durch die Zölle tatsächlich korrigiert werden.
Europa kann sich höhere Militärausgaben nicht leisten
Für Europa erweisen sich die Trump-Aktivitäten somit als Doppelschlag. Im Handelsbereich sind unmittelbar Nachteile für die EU zu erwarten. Dazu kommt die Trump-Initiative auf militärischem Gebiet. Europa soll die Verteidigungsausgaben auf 4 Prozent des BIP anheben und so mit den USA gleichziehen.
- Das gesamte BIP der EU-Staaten beträgt 15.900 Mrd. Euro. Zum aktuellen Dollarkurs entspricht die Wirtschaftsleistung der EU etwa 18.500 Mrd. $.
- Somit erzielen die über 500 Millionen Europäer in etwa eine Wirtschaftsleistung wie die über 320 Millionen US-Amerikaner. Europa ist also, niemand hört das gerne auf dem alten Kontinent, weniger tüchtig als Amerika.
- Schon aus diesem Grund hätte ein gleiches Militärbudget Auswirkungen auf den Wohlstand jedes einzelnen Bürgers.
- Nachdem Regierungen die Bürger lieber schonen, würde die Befolgung der Trump-Forderung die Defizite ansteigen lassen und da wären die Folgen dramatisch.
- Um die Trump-Wünsche zu erfüllen, müssten die europäischen NATO-Mitglieder zusätzlich etwa 2 Prozent des BIP für das Militär ausgeben, Deutschland sogar mehr als 2,5 Prozent.
- Europa hätte jährlich 200 bis 300 Mrd. Euro mehr für das Militär auszugeben. Es käme zu einer Verschärfung der ohnehin ständig schwelenden Staatsschuldenkrise.
- Trumps Aktion macht nicht nur deutlich, dass sich Europa kaum ein größeres Militär-Budget leisten kann. Hier wird offenkundig, dass die EU nach wie vor keine Verteidigungspolitik hat, keine gemeinsame Armee zustande bringt, die nationalen Armeen kleinstaatliche, miteinander nicht koordinierte Truppen bilden und man sich von der NATO und den USA steuern und verteidigen lässt.
- Zum Vergleich: Ganz anders die Lage in China. Voll im Gang sind eine umfassende Aufrüstung, die Neuorganisation der Armee und die Ausrichtung der Truppe auf einen dominant mit digitalen Mitteln geführten Krieg.
- Auch hier gehen die USA auf Konfrontation: Alle zwei Jahre findet im Juni und Juli die größte maritime Militärübung vor Hawaii statt. An dieser unter der Bezeichnung „Rimpac“ durchgeführten Übung hat bisher China teilgenommen, wurde aber heuer demonstrativ von den USA ausgeladen. Militärexperten betonen, dass diese Maßnahme keinen Einfluss auf die chinesische Armee haben wird, aber das Klima zusätzlich belastet.
In der Russland-Politik hat sich Europa in eine Sackgasse manövriert
Europa ist aber auch durch die Sanktionspolitik der USA gegenüber Russland und dem Iran betroffen.
- Das Verhältnis zu Russland war ursprünglich primär ein europäisches Thema, das sich recht gut entwickelte.
- Provoziert durch die Ostexpansion der NATO wurde Russland 2004 auf der Krim, dem traditionellen Stützpunkt der russischen Schwarzmeer-Flotte, aktiv.
- Die NATO drehte in der Propaganda den Spieß um und bezeichnete Russland als Aggressor. Die Staaten an der EU-Ostgrenze wurden für bedroht erklärt und damit der Aufbau einer militärischen Präsenz an der EU-Ostgrenze begründet. Wie immer fehlte eine EU-Verteidigungspolitik.
- NATO-Präsenz heißt in der Praxis US-Präsenz und somit sind die Krim-Krise und die Folgen ein amerikanisches Thema.
- Die traditionell Russland-kritische US-Politik hat durch das Eingreifen Moskaus in den US-Wahlkampf verstärkt Auftrieb erhalten.
- Unter diesen Umständen ist für die EU die Rückkehr zu einem entspannten Verhältnis mit Moskau kaum möglich. Zumal man in Brüssel an den Sanktionen festhält und die Schimäre aufrechterhält, dass die Sanktionen Russland zur Aufgabe der Krim zwingen werden.
- Dazu kommt, dass sich derzeit in Europa der Nationalismus wie ein Flächenbrand ausweitet und die ohnehin geringe Handlungsfähigkeit der EU zusätzlich lähmt.
- Nicht zu übersehen ist, dass Russland besonders die nationalistischen, EU-kritischen Parteien unterstützt und so zur Schwächung der EU beiträgt.
Der Druck aus Washington wird durch den Druck aus Moskau verstärkt und im Inneren feiert der Nationalismus eine beängstigende Renaissance. Es hatte den Anschein, als sei das unselige Erbe des 19. Jahrhunderts überwunden. Offenbar nährt die allgemeine Verunsicherung die Illusion, man könne im Schutz der „Heimat“ den neuen Herausforderungen entgehen.
Im Iran geht es nicht nur um Milliarden-Aufträge
Auch die Politik der USA gegenüber dem Iran wird als Angriff auf Europa erlebt. Wer mit dem Iran Handel treibt, kann in den USA nicht aktiv werden. Da aber kaum jemand den attraktiven US-Markt verlieren will, sind nur wenige bereit, sich im Iran zu engagieren. Allgemein wird also in Europa beklagt, dass auf diese Weise Milliarden-Aufträge nicht zustande kommen und die europäischen Firmen geschädigt werden.
Beschränkt man die Darstellung auf diese Faktoren, so ist die europäische Position nachvollziehbar. Allerdings steht auch in diesem Zusammenhang Europas Politik auf dem Prüfstand.
- Verteidigt wird das so genannte „Atom-Abkommen“, in dem sich der Iran verpflichtet hat, keine Atomwaffen zu entwickeln. Diese Verpflichtung sollte den Iran zu einem berechenbaren Staat machen.
- Übersehen wird, dass der Einsatz von Atom-Waffen nicht im Vordergrund stehen kann. Der Iran strebt offen eine führende Rolle im Nahen Osten an.
- Der Iran lehnt in offiziellen Erklärungen Atom- und Massenvernichtungswaffen ab, behält sich jedoch ausdrücklich vor, alle anderen Techniken zu nutzen.
- In der EU wird übersehen, dass sich der Iran um eine Achse zu China bemüht und versucht, als global player zu agieren. Auch in diesem Zusammenhang gibt es keine europäische Position und keine europäische Politik.
- Man beschränkt sich darauf, den Verlust von Geschäftschancen im Iran zu beklagen, verteidigt diese jedoch nicht durch politische Allianzen, sondern gehorcht den US-Vorgaben, die sich in Sanktionsdrohungen manifestieren.
Fazit: Bringt man die verschiedenen Strömungen auf einen Nenner, so erweist sich die Unfähigkeit der EU, klare Entscheidungen zu treffen und konsequent umzusetzen als zentrales Problem. Nachdem derzeit keine Bestrebungen zur Stärkung der EU zu erkennen sind, vielmehr die nationalistischen Tendenzen die Gemeinschaft zu spalten drohen, werden die Trump-Aktionen vor allem Europa schaden. China, Russland und selbst der Iran dürften Arrangements mit den USA zustande bringen. Wie man am Beispiel Nordkorea beobachten konnte, wird bei derartigen Beziehungen der absolute Gegner von gestern leicht morgen zum scheinbar geschätzten Partner.
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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.