Finanzen

Schweizer Nationalbank kann Leitzinsen nicht mehr anheben

Die Schweizer Nationalbank wird Beobachtern zufolge auf lange Sicht in der Negativzins-Politik gefangen sein.
29.12.2018 17:52
Lesezeit: 2 min

Die Schweiz startet 2019 in das fünfte Jahr mit Negativzinsen - und es dürfte wohl nicht das letzte sein. Denn unter Wirtschaftsexperten mehren sich die Stimmen, die für die Alpenrepublik eine lange Phase mit negativen oder sehr niedrigen Zinsen für möglich halten - ähnlich wie in Japan. Ein solches "japanisches Szenario" könnte besonders dann zur Realität werden, wenn sich die Konjunktur in Europa in den kommenden Monaten eintrübt und die Notenbanken nicht mit den erwarteten Zinserhöhungen beginnen.

Doch ein Festhalten am Status Quo und damit einem Leitzinsniveau von minus 0,75 Prozent dürfte die bereits aufkeimende Kritik an der lockeren Geldpolitik noch verstärken. Die Schweizer Notenbank (SNB) selbst warnt vor möglichen Schäden durch die niedrigen Zinsen am Immobilienmarkt und weiß von den Problemen der Pensionskassen, noch angemessene Renditen zu erzielen.

"Der Druck aus dem Negativzinsumfeld auszusteigen ist da. Die Kumulation von Risiken lässt das momentan nicht zu", sagte der UBS-Chefvolkswirt für die Schweiz, Daniel Kalt. Dazu zählen politische Konflikte in der Euro-Zone ebenso wie der Handelsstreit zwischen den USA und China, der dem globalen Aufschwung einen Dämpfer versetzen könnte. "Eine nachhaltige Erholung der Zinsen kann nur gelingen, wenn der Wirtschaftsaufschwung noch drei Jahre anhält. Da darf nichts geschehen, da muss die Wirtschaft weltweit weiter brummen", sagte Kalt.

Dies ist sehr unwahrscheinlich, weil es zuletzt zahlreiche Anzeichen für einen bevorstehenden weltweiten Abschwung gegeben hatte.

Ein Szenario, bei dem die Zinsen auch in den kommenden fünf bis sieben Jahren um die Nulllinie pendeln, halte er daher für "sehr plausibel". Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein - auch ING-Analystin Charlotte de Montpellier und der Credit-Suisse-Chefökonom für die Schweiz, Oliver Adler, teilen diese Meinung. "Ich glaube, es ist nicht auszuschließen, dass wir auf Jahre Null- oder Negativzinsen haben", sagte Adler. Die SNB hatte bei ihrer jüngsten Lagebeurteilung Mitte Dezember die Erwartungen für eine erste Zinserhöhung nach hinten verschoben, indem sie ihre Inflationsprognose senkte.

In Japan hat die Notenbank nach dem Platzen der Aktien- und Immobilienblase in den 90er-Jahren ihre Zinsen sukzessive gesenkt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten pendeln sie nun um die Nulllinie - selbst in der Boomphase vor der Finanzkrise 2008 kamen sie nicht nachhaltig darüber hinaus. Damit einher ging ein verhaltenes Wirtschaftswachstum und eine schrumpfende Bevölkerung. In der Schweiz pendelt der Leitzins seit der Finanzkrise um die Schwelle von null Prozent - und ist seit Anfang 2015 negativ. Doch die Wirtschaft entwickelt sich tendenziell besser und die Bevölkerung wächst - auch dank der zwischenzeitlich starken Zuwanderung. Von einem "japanischen Szenario" sprechen die Experten also vor allem mit Blick auf die Zinsentwicklung.

In dem Zusammenhang verweist Adler auf grundsätzliche Unterschiede zwischen den Ländern. "Der Grund, dass die Zinsen in der Schweiz so tief sind, ist nicht eine langanhaltende Stagnation wie in Japan, sondern der starke Franken", sagte er. Die SNB ist an einem möglichst schwachen Franken interessiert, um die exportabhängige Wirtschaft zu stützen. Ihre Geldpolitik mit Negativzinsen und Eingriffen am Devisenmarkt ist darauf ausgerichtet, den Franken zu schwächen.

Dieser gilt bei Investoren als "sicherer Hafen" in unruhigen Zeiten und ist daher vor allem bei politischen Turbulenzen in der Euro-Zone wie jüngst in Italien oder Frankreich gefragt. "Eine Beruhigung der Lage ist daher notwendig, bevor die SNB an eine Normalisierung der Zinsen denken wird", sagte Markus Thöny, Senior Portfolio Manager bei der Privatbank Lombard Odier.

Zudem erwarten viele Experten, dass die SNB eine Zinserhöhung in der Euro-Zone abwarten wird, bevor sie nachzieht. Dort liegt der Leitzins seit geraumer Zeit bei null.

Hört man auf die Einschätzung der Experten, ist also Abwarten angesagt - trotz der zunehmenden Kritik an den Negativzinsen, die im vergangenen Jahr auch von prominenter Seite wie von Finanzminister Ueli Maurer oder UBS-Chef Sergio Ermotti kam. "Die Stimmen, die öffentlich das Ende der Negativzinsen fordern, werden 2019 lauter werden", prognostizierte Thomas Stucki, Chefanlagestratege der St. Galler Kantonalbank. Das werde die SNB aber "nicht groß beeindrucken", glaubt UBS-Experte Kalt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Panorama
Panorama Reichsbürger-Verbot: Dobrindt zerschlägt "Königreich Deutschland"
13.05.2025

Sie erkennen den Staat nicht an, verbreiten Verschwörungstheorien und zahlen häufig keine Steuern. Die Szene der Reichsbürger war...

DWN
Politik
Politik Geopolitischer Showdown in der Türkei: Selenskyj, Putin – und Trump im Anflug
13.05.2025

Ein historisches Treffen bahnt sich an: Während Selenski den russischen Präsidenten zu direkten Friedensgesprächen nach Istanbul...

DWN
Panorama
Panorama Umwelt? Mir doch egal: Klimaschutz verliert an Bedeutung
13.05.2025

Klimaschutz galt lange als gesellschaftlicher Konsens – doch das Umweltbewusstsein in Deutschland bröckelt. Eine neue Studie zeigt, dass...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohntraum wird Luxus: Preise schießen in Städten durch die Decke
13.05.2025

Die Preise für Häuser und Wohnungen in Deutschland ziehen wieder deutlich an – vor allem in den größten Städten. Im ersten Quartal...

DWN
Finanzen
Finanzen Wird die Grundsteuer erhöht? Zu viele Ausgaben, zu wenig Einnahmen: Deutsche Kommunen vorm finanziellen Kollaps
13.05.2025

Marode Straßen, Bäder und Schulen: Fast neun von zehn Städten und Gemeinden in Deutschland droht in absehbarer Zeit die Pleite. Bereits...

DWN
Politik
Politik EU im Abseits: Trump bevorzugt London und Peking – Brüssel droht der strategische Bedeutungsverlust
12.05.2025

Während Washington und London Handelsabkommen schließen und die USA gegenüber China überraschend Konzessionen zeigen, steht die EU ohne...

DWN
Panorama
Panorama Nach Corona nie wieder gesund? Die stille Epidemie der Erschöpfung
12.05.2025

Seit der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der ME/CFS-Betroffenen in Deutschland nahezu verdoppelt. Rund 600.000 Menschen leiden inzwischen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Machtkampf der Tech-Eliten: Bill Gates attackiert Elon Musk – „Er tötet die ärmsten Kinder der Welt“
12.05.2025

Ein milliardenschwerer Konflikt zwischen zwei Symbolfiguren des globalen Technologiekapitalismus tritt offen zutage. Der frühere...