Am Freitag begann in Beijing das zweite Forum über die Zukunft der „Neuen Seidenstraße“. 37 Staats- und Regierungschefs und hunderte Politiker, Experten und Journalisten hören an diesem Wochenende die beruhigenden Botschaften der chinesischen Führung zu den Kritiken an dem Projekt, das als wirtschaftliche, politische und letztlich auch militärische Machtdemonstration gesehen wird. Staatspräsident und Chef der absolut herrschenden Kommunistischen Partei Chinas Xi Jinping will die weltweite Skepsis gegenüber dem Monsterprojekt abbauen: Der Bau von Autobahnen und Eisenbahnen von China bis nach Duisburg und die Errichtung von Häfen und Stützpunkten in Kambodscha, Myanmar, Bangladesch, Pakistan, Sri Lanka, Griechenland und Italien ergeben ein Netz über Eurasien, das an eine Krake erinnert, aber als Belebung des Welthandels gesehen werden soll.
Die Schalmaien-Töne klingen gut:
- Man werde selbstverständlich nicht die finanziellen Schwierigkeiten der Partnerländer missbrauchen. Die chinesische Zentralbank arbeite bereits an Lösungen. Das Problem: Die Investitionen liegen in der Verantwortung der einzelnen Staaten, die von China Kredite bekommen, die sie oft nicht bedienen können. In der Folge übernimmt China die Projekte anstelle einer Zahlung und wird zum Eigentümer oder Dauer-Nutzer.
- Man habe bereits im März ein Gesetz beschlossen, das die Position der ausländischen Investoren stärke und den Zwang zum Transfer von Technologien westlicher Unternehmen an chinesische Stellen verbietet.
- Auch die Regel, dass ausländische Investoren immer einen Partner brauchen, der mindestens 50 Prozent hält, soll entschärft werden.
- All das allerdings nur, wenn die chinesischen Sicherheitsinteressen nicht betroffen sind. Das Gesetz enthält überwiegend vage Formulierungen.
- China werde den Yuan nicht abwerten, um die USA-Zölle auszugleichen. Man bemühe sich vielmehr um eine Einigung mit Amerika.
Diese Botschaften beziehen sich auf die seit langem bestehenden Probleme zwischen dem Westen und China.
Die Löhne steigen und werden zur Gefahr für China
Heute bestimmen allerdings in China Krisen-Erscheinungen das Geschehen, die die Treiber für die Realisierung des Milliarden-Projekts „Seidenstraße“ sind. Tatsächlich ist die Seidenstraße nicht der Ausfluss der grenzenlosen Macht und der unendlichen Finanzkraft, die China nun nach der Weltherrschaft greifen lassen, sondern der Versuch mit einer Flucht nach vorne der sich anbahnenden Krise zu entkommen.
Die Basis des chinesischen Wirtschaftsaufschwungs bilden die niedrigen Löhne, die die westlichen Unternehmen aus den USA und Europa animiert haben, Fabriken in den alten Industriestaaten zu schließen und nach China zu verlagern. Und genau dieses zentrale Element geht derzeit verloren. Im Jahr 2017 erreichten die Löhne in China das Niveau, das auch in Teilen der EU anzutreffen ist. Vergleiche mit Portugal oder Slowenien waren bereits realistisch. Und der Druck in China steigt weiter, sodass der Lohnvorteil rascher verschwindet als angenommen wurde.
- Somit wird es für westliche Unternehmen immer weniger attraktiv, in China zu produzieren und die Waren in der Folge über extrem lange Transportwege nach Europa und in die USA zu transportieren.
- Die Seidenstraße bildet den Versuch, die Produktion in China weiterhin durch niedrige Transportkosten und bequeme Logistik-Einrichtungen attraktiv zu erhalten. Dies ist durch die geographischen Bedingungen in Europa eine besonders herausfordernde Aufgabe.
- In Richtung USA ist die Pazifik-Route weniger problematisch, aber auch zu beachten. Während die USA als Staat nicht an der Tagung in Beijing teilnehmen, tut dies eine Delegation aus Kalifornien wohl nicht zufällig schon. Allerdings mit der offiziellen Begründung, die Seidenstraße könnte der Klimapolitik nützen.
Der chinesische Markt ist groß, aber die Exporte sind gefährdet
China ist heute ein florierendes Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern und bildet somit selbst einen attraktiven Markt. Noch vor Jahren hätten sich westliche Unternehmen bei einem Anstieg der Lohnkosten einfach zurückgezogen. Das ist nicht mehr der Fall. Die Konsequenz des höheren Personalaufwands ist also eher die Beschränkung der Kapazität auf den chinesischen Markt. Damit würden die Firmen zwar im Land bleiben, aber nicht mehr oder weniger exportieren. In den vergangenen Jahren sind die chinesischen Häfen zu den größten Umschlagplätzen der Welt aufgestiegen, diese Position erscheint nun als Folge der jüngsten Entwicklung gefährdet. Doch die Bedrohung für die Häfen ist nicht der entscheidende Aspekt.
Besonders gravierend ist der finanzielle Faktor.
- Exporte werden in Dollar fakturiert, die herein fließenden Devisen werden von der Zentralbank in Yuan umgetauscht.
- Die Dollar stehen dem Staat zur Verfügung und bilden eine entscheidende Basis für die Finanzkraft der Regierung.
- Außerdem sind auch die Beteiligungen eines chinesischen Partners im Ausmaß von mindestens 50 Prozent an fast allen Unternehmen maßgeblich: Somit gehört auch die Hälfte der Gewinne China.
- Dazu kommen noch Steuern, Abgaben und Gebühren.
Die Forderung nach höheren Löhnen wird durch die Wohnkosten erzwungen
Der Druck der Arbeitnehmer, höhere Löhne zu bekommen, ist nicht nur die übliche Reaktion einer Belegschaft auf den offenkundigen Erfolg eines Unternehmens, an dem sie Teil haben wollen. Eine zentrale Rolle spielen die horrenden Wohnkosten.
- Diese sind nicht zuletzt im Gefolge der staatlichen Politik explodiert. Angestrebt wird, aus China eine urbane Gesellschaft zu machen. Als bereits absehbares Ziel wird die Unterbringung von einer Milliarde in städtischen Wohnungen genannt.
- Obwohl eine gigantische Bautätigkeit betrieben wird, besteht ein Mangel an Wohnungen, der zudem durch Spekulationen verschärft wird.
- Die Miete ist teuer und es gibt keine Sicherheit, dass man eine Mietwohnung auch länger behalten darf. Somit wird fast ausschließlich Eigentum angestrebt, wobei man nur die Wohnung erwerben kann, das Grundstück bleibt Eigentum des Staates.
- Die Preise für Eigentumswohnungen sind unerträglich hoch. Die Spitzenbeträge in den Stadtzentren übertreffen die Preise in Frankfurt, London, Paris oder New York. Nachdem Werte von 11.000 Euro pro Quadratmeter als nichts Besonderes bezeichnet werden, sind auch die „billigeren Wohnungen“ an der Peripherie und in kleineren Städten schwer erschwinglich.
Wenn bereits eine Kleinwohnung mehrere hunderttausend Euro kostet und der Durchschnittsverdienst bei knapp 1000 Euro im Monat liegt, ist leicht zu erkennen, dass der Druck, die Löhne anzuheben, groß ist.
Die sozialen Strukturen verändern sich und verschärfen die Probleme
Täglich (!) werden einige Dörfer – freiwillig oder im Gefolge staatlichen Zwangs - verlassen und laufend sind tausende auf dem Weg in die Städte und in Wohnblocks.
- Diese entsprechen einem Grundprinzip: Eine Reihe von Blocks bilden eine Einheit, die mehrere tausend Bewohner hat und durch eine besondere Gestaltung der Dächer oder andere Elemente einen eigenen Charakter erhält. In der Regel besteht ein als Gartenlandschaft gestalteter Zentralraum. Die Anlage wird von einer Raum oder Hecke umgeben und ist nur durch ein Tor erreichbar.
- Eine bestimmende Rolle spielen Komitees, die die Anlagen betreuen, aber auch Ansprechpartner für die Kommunistische Partei sind.
- Nicht selten besiedeln die Bewohner eines Dorfs, die oft nur einer oder zwei Familien angehören, ganze Stockwerke in den Blocks und setzen in gewisser Weise ihr Dorfleben fort.
Dazu kommt, dass im Gefolge der jahrelang betriebenen Ein-Kind-Politik, die zur Abtreibung vieler weiblichen Föten geführt hat, ein Männer-Überschuss besteht, der mit 30 Millionen angegeben wird. Eine Frau ist meist nur zu erobern, wenn man eine Wohnung hat und so müssen Familien nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern auch für eine Wohnung als Mitgift sparen.
Das Niedriglohnland China auf der Suche nach Niedriglohnländern
Für Chinas Wirtschaftspolitik bietet sich keine probate Lösung an. Die Löhne steigen und verschärfen die geschilderten Probleme.
- Die im Rahmen der „Seidenstraße“ offiziell als Partner und in der Praxis eher als Kolonien betrachtete Länder sind in erster Linie Kambodscha, Myanmar und Bangladesch sowie Sri Lanka und Pakistan, wo die Löhne noch niedrig sind und eine billige Produktion für die Konsumenten in den Industriestaaten möglich ist.
- Paradoxer Weise bemühen sich nun chinesische Firmen, Produktionen in diesen Ländern zu betreiben und den in China nicht mehr gegebenen Kostenvorteil zu nützen. Sie treffen dabei auf jene westlichen Firmen, die ebenfalls auf der Suche nach verbleibenden Niedriglohngebieten sind.
- In Indien ist man wütend, dass China die indischen Nachbarstaaten im Visier hat. Das Land nimmt daher auch nicht an dem Treffen in Beijing teil.
Aber: Alle müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Arbeiter auch in diesen Ländern aufwachen, wie etwa Unruhen in Myanmar deutlich gezeigt haben.
Der Kauf von westlichen Firmen soll die Basis der Wirtschaftskraft absichern
Um die Schwächen der industriellen Basis zu korrigieren, setzt China allerdings nicht nur auf die Seidenstraße. Eine systematische Politik des Kaufens vor allem technologisch hoch entwickelter Firmen im Westen soll für eine solide Basis sorgen. Auch wenn China selbst heute über eine Reihe erfolgreicher Unternehmen verfügt, man denke nur an die Beispiele von Huawei bis Alibaba, so wird doch die Übernahme möglichst vieler westlicher Unternehmen als notwendig erachtet.
Und wieder erweist sich die EU als hilflos. Man sieht tatenlos zu, wie mit dem Reichtum, den wesentlich die ausländischen Investitionen in China ermöglicht haben, europäische Unternehmen erworben werden, aber trotz aller Beteuerungen in umgekehrter Richtung keine entsprechenden Möglichkeiten bestehen.
Nicht wenige Europäer agieren als, ob man sich um die Gunst des neuen Weltherrschers China bemühen müsste, um an dem vermeintlich garantierten Erfolg der Seidenstraße partizipieren zu können. Statt zu erkennen, dass China die Seidenstraße braucht und man daher bei kraftvoller Verteidigung der eigenen Position zu tatsächlich offenen, multilateralen Lösungen kommen könnte.
China wird gebeten, doch die Zersplitterung der EU nicht auszunützen
Die Peinlichkeit ist nicht zu überbieten: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat damit begonnen und andere folgen mit dem Ersuchen an Xi doch bitte mit der EU zu verhandeln und nicht mit den einzelnen Ländern.
- Das nachdem der Hafen von Piräus bereits chinesisch ist,
- Italien vor kurzem einen Vertrag mit China abgeschlossen hat,
- Marseille die chinesischen Partner pflegt und
- Duisburg ein Binnenhafen und Verkehrsknotenpunkt für die Seidenstraße schon ist.
- Dazu kommen die zahlreichen Firmenübernahmen, von einem Weingut in Frankreich über eine Roboterfirma in Deutschland oder einen Ausrüster für die Flugzeugindustrie in Österreich.
In den Verhandlungen zwischen den USA und China wird derzeit um Lösungen gerungen, die eine konstruktive Zusammenarbeit ermöglichen sollen. Die EU ist da Zuschauer.
***
Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.