Technologie

Bakterien können aus Industrie-Abgasen Treibstoff produzieren

Ein Chicagoer Startup hat Bakterien gezüchtet, die aus Industrie-Abgasen Ethanol herstellen können. Dem Flugverkehr bietet dies einen klimafreundlichen Treibstoff.
09.05.2019 06:44
Lesezeit: 3 min

Dank massiver Fortschritte in der Gentechnik können Mikroorganismen heute dazu gebracht werden, eine ganze Reihe von Molekülen zu produzieren. Dazu müssen die verschiedenen Mikroorganismen wie etwa Escherichia Coli gezielt verändert werden.

Mit molekularbiologischen Methoden passt man den Stoffwechsel der Zellen an oder man bringt ganz neue Reaktionen hinein, "die den Weg vom Zucker zum Zielprodukt erst ermöglichen", zitiert der Deutschlandfunk Ralf Takors von der Universität Stuttgart.

"Und im Endeffekt wird dann aus einem Mikroorganismus eine Produktionszelle, um Produkte herzustellen, die wir haben wollen." Die Zielprodukte seien von den natürlichen Molekülen nicht zu unterscheiden. Denn die Genveränderung betrifft nur die Mikroorganismen, die man zur Herstellung einsetzt.

Trotzdem kritisiert Alexander Mathys, Nachhaltigkeits-Experte von der ETH Zürich, dass der Einsatz von Gentechnik oft nicht klar genug kommuniziert wird. Es brauche aber Transparenz, um Misstrauen abzubauen und Vertrauen schaffen.

Europa wenig attraktiv für Bio-Industrie-Startups

Es hat einen Grund, dass die meisten Bio-Industrie-Startups in den USA sitzen. In Europa sind Gesellschaft, Politik und Investoren skeptischer gegenüber allem eingestellt, was irgendwie mit Gentechnik zu tun hat.

"In Europa ist das Geld, das in solche Bereiche fließt, viel geringer", sagt Mathys. In den USA seien erfolgreiche Startups vergleichsweise leicht in ein paar Jahren bei 200 Millionen Dollar an Wagniskapital. Davon könnten europäische Startups meist nur träumen.

Die Wirtschaft ist auf die traditionelle Produktionsweisen ausgerichtet. Während etwa die Fleischwirtschaft oder die chemische Industrie Jahrzehnte und Jahrhunderte Zeit hatten, ihre Prozesse immer effizienter zu machen, ist die Biotechnologie noch relativ neu.

„Die Biotechnologie-Revolution ist faszinierend. Aber wir haben es schwer, konkurrenzfähig zu sein und Dinge herzustellen, die auf dem Markt bestehen", sagt Jonathan Holladay vom Pacific Northwest National Laboratory, einem Forschungsinstitut des US-Energieministeriums.

Er beschäftigt sich vor allem damit, bisher erdöl- und erdgasbasierte Produkte wie Kunststoffe von Mikroorganismen herstellen zu lassen. Aber noch sind herkömmliche Verfahren mit Öl und Gas viel billiger als die neuen Verfahren mit Mikroorganismen.

Billiges Futter für Mikroorganismen

Neben den Entwicklungskosten spielt das Ausgangsmaterial, mit dem man die Mikroorganismen füttert, eine entscheidende Rolle. Das Futter besteht vor allem aus Zucker und Stärke, deren Preis schwanken kann.

Das Chicagoer Startup Lanzatech hat kein Problem mit den Futterkosten. Denn es verwendet Mikroben, die Gase wie Kohlenmonoxid (CO), Kohlendioxid (CO2) oder Wasserstoff (H2) direkt verwerten und fermentieren können.

"Das können zum einen Abgase von der Industrie sein, beispielsweise Abgase von einem Stahlwerk oder der Metallverarbeitung", zitiert der Deutschlandfunk Michael Köpke Direktor der Abteilung für Synthetische Biologie bei Lanzatech.

"Diese Abgase können wir direkt für den Prozess einfangen, bevor sie zum Schornstein hinaus geblasen werden und als Treibhausgase in der Atmosphäre landen würden. Aus den Abgasen können wir dann durch den Fermentationsprozess über unseren speziellen Mikroorganismus Treibstoff oder andere Chemikalien herstellen."

Michael Köpke bringt eine Bakterienart zum Einsatz, die im Darm von Tieren und auch in Böden vorkommt und die in der Natur geringe Mengen Ethanol produziert. Er hat daraus einen Stamm gezüchtet, der viel mehr Ethanol als in der Natur produziert.

Mehr als zehn Jahre hat Lanzatech in Forschung und Entwicklung investiert. Die Pilotanlage lief 70.000 Stunden lang, um den Prozess zu perfektionieren. Im Mai letzten Jahres konnte dann die erste Anlage den Regelbetrieb aufnehmen.

Bakterien produzieren Ethanol aus Stahlwerk-Abgasen

"Die erste kommerzielle Anlage ist jetzt am Laufen", sagt Michael Köpke. Die Anlage zur Herstellung aus Ethanol aus Stahlwerk-Abgasen ist in China neben einem großen Stahlwerk im Einsatz. Sie produziert jährlich 48.000 Tonnen Ethanol zur Verwendung als Treibstoff für Autos.

Derzeit baut Lanzatech neben einem Stahlwerk in Belgien eine zweite Anlage. Mit der Menge Ethanol, die eine dieser Anlagen produziert, könnten 100.000 Autos ein Jahr lang betankt werden, sagt Michael Köpke.

Zwar können auf diese Weise die Abgase aus dem Stahlwerk sinnvoll recycelt werden. Doch im Endeffekt landet das CO2 doch wieder in der Luft. Denn das Ethanol wird im Auto zu Wasser und CO2 verbrannt und aus dem Auspuff ausgestoßen. Zudem ist absehbar, dass Verbrennungsmotoren bei Autos der Vergangenheit angehören.

Anders verhält es sich im Flugverkehr. Denn kommerzielle Flugzeuge werden auf absehbare Zeit Treibstoff verbrennen. Michael Köpke hofft, dass dieser Flugzeugtreibstoff in Zukunft aus dem Ethanol seiner Bakterien hergestellt wird.

Bakterien sollen den Flugverkehr sauberer machen

Im April 2018 wurde dieser Flugzeug-Treibstoff nach mehrjährigen Tests zertifiziert und zugelassen. "Im Oktober hatten wir einen ersten kommerziellen transatlantischen Personenflug mit einer mit Lanzatech-Treibstoff betankten Boeing 747 von Orlando nach London", sagt Michael Köpke.

Die Abgase des neuen Treibstoffs enthalten weniger Schwefel und Ruß als bei herkömmlichem Kerosin. Zudem gibt es 80 Prozent weniger Kondensstreifen, die einen stärkeren Einfluss auf das Klima haben sollen als das ausgestoßene CO2.

Der Treibstoff von Lanzatech hat auch eine höhere Energiedichte als Kerosin, sodass die Flugzeuge leichter fliegen können und daher einen geringeren Verbrauch haben und auch weniger Abgase ausstoßen.

Das Unternehmen fordert, dass sein aus Industrie-Abgasen hergestellter Treibstoff für den Flugverkehr von der Politik als Bio-Treibstoff gefördert wird.

Die Eisen- und Stahl-Industrie ist verantwortlich für rund ein Viertel der CO2-Emissionen in der Industrie. Wenn man an allen Stahlwerken, bei denen das machbar ist, die Abgase in Ethanol umwandeln würde, könnte man damit 20 Prozent des weltweiten Flugbenzins ersetzen.

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