Unternehmensporträt

Neobroker Trade Republic: Wie ein Berliner Fintech den Kapitalmarkt für alle geöffnet hat

Büroräume in Berlin-Kreuzberg, drei Gründer mit einer Vision und eine App, die Europas Sparer an die Börse gebracht hat: Trade Republic hat den Finanzmarkt umgekrempelt und mischt nun als Neobank das große Geldspiel auf.
27.06.2025 16:45
Lesezeit: 6 min
Neobroker Trade Republic: Wie ein Berliner Fintech den Kapitalmarkt für alle geöffnet hat
Während Banken und klassische Online-Broker auf komplexe Plattformen setzten, vereinfachte Trade Republic den Zugang zur Börse und adressierte gezielt Einsteigerinnen und Einsteiger (Foto: Trade Republic).

Neobroker Trade Republic: Start-up-Dynamik und Bankstandards

Trade Republic verwaltet 100 Milliarden Euro Kundenvermögen, hat acht Millionen Nutzerinnen und Nutzer in 17 Ländern und ist 5,3 Milliarden US-Dollar wert. Trade Republic zählt derzeit zu den wachstumsstärksten Fintechs Europas. Das 2015 gegründete Berliner Unternehmen hat sich vom mobilen Broker zur Plattform für Vermögensaufbau entwickelt. „In Europa gibt es zurzeit keine Region, die für uns spannender wäre als Berlin“, sagte Mitgründer Christian Hecker bereits 2020 dem Tagesspiegel. Von der heutigen Zentrale in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte aus treibt das Unternehmen die Expansion in 17 europäische Märkte voran. Das Angebot reicht dabei vom ETF-Sparplan bis zum Girokonto.

Die operativen Anfänge lagen in einem unsanierten Altbau in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg, über Spätis und Falafelbuden, mit Glaswänden und Kaffeeküche und Monitoren voller Marktdaten. 2019 beschrieb Hecker im Gespräch mit Business Insider, dass man bewusst versucht habe, Start-up-Dynamik mit Bankstandards zu verbinden. Heute ist daraus ein Unternehmen geworden, das klassischen Banken Marktanteile abnimmt und sie zwingt, ihr Geschäftsmodell zu überdenken.

Vom Pitch zur Plattform

Trade Republic wurde 2015 im Rahmen eines Inkubatorprogramms der Comdirect in München gegründet mit dem Ziel, Privatanlegern den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern. Die Gründungsgeschichte liest sich dabei wie eine Mischung aus studentischer Vision und technologischem Pioniergeist.

Christian Hecker, der Philosophie studierte und bei den Börsengängen von Zalando und Rocket Internet im Investmentbanking erste Erfahrungen sammelte, traf Thomas Pischke bei einem Stipendienprogramm. Pischke hatte Physik an der TU München studiert, mit Schwerpunkt auf Quantencomputing, und arbeitete vor der Gründung bei dem Münchner Fintech Payworks an Zahlungslösungen. Gemeinsam pitchten sie ihre Idee auf mehreren Hackathons. Bei einem davon konnten sie Marco Cancellieri, einen. Informatiker, für ihre Idee begeistern. Zusammen schufen sie die Basis für das, was später als Trade Republic bekannt wurde. „Wir wollten ein Gegenmodell zum traditionellen, komplizierten und teuren Wertpapierhandel entwerfen“, so Hecker im Interview mit der Finanz- und Tradingplattform stock3.

Das Ziel der drei war es, die Eintrittshürden zum Kapitalmarkt für Kleinanleger und Einsteiger abzubauen, mit einem mobilen Broker ohne Depotgebühren, niedrigen Transaktionskosten und klarer Nutzerführung. Sparpläne, insbesondere auf ETFs, sollten kostenlos sein. Die Idee kam an.

Während Banken und klassische Online-Broker auf komplexe Plattformen setzten, vereinfachte Trade Republic den Zugang zur Börse und adressierte gezielt Einsteigerinnen und Einsteiger. Im Juli 2020 skizzierte Mitgründer Christian Hecker im Tagesspiegel die Stoßrichtung: „Das Angebot richtet sich an Kleinanleger, für die die Kosten oft eine Hürde waren.“

Comdirect und die verpasste Chance

Als erstes Fintech zog Trade Republic 2015 in die neu gegründete Startup-Garage der Comdirect ein. Unter dem damaligen Namen Neon Trading arbeiteten die drei Gründer im Betahaus Hamburg an einer App, die den Aktienhandel per Smartphone vereinfachen sollte. Die Bank stellte Infrastruktur, Räume und 10.000 Euro für Marktforschung zur Verfügung, verzichtete jedoch auf Unternehmensanteile. Eine Beteiligung der Comdirect war dennoch im Gespräch. Darüber verhandelten die Gründer mit dem damaligen Vorstand unter Arno Walter über ein Investment im niedrigen einstelligen Millionenbereich. Doch die Comdirect lehnte ab, die geforderte Bewertung erschien dem Management zu hoch.

Stattdessen stiegen im Frühjahr 2020 die US-Investoren Accel und Founders Fund mit 40 Millionen Euro ein. Später folgten Sequoia Capital, TCV und Thrive Capital. In der Folge stiegt die Bewertung auf über 220 Millionen US-Dollar. Zuletzt lag sie bei rund 5,3 Milliarden US-Dollar. Heute beschäftigt Trade Republic mehrere Hundert Mitarbeitende und ist in 17 europäischen Ländern aktiv.

Die Comdirect entwickelte kurz nach dem Auslaufen des Förderprogramms eine eigene Trading-App. Eine Kooperation mit Trade Republic kam nicht zustande. „Sie haben sich gesagt, das können wir doch auch selbst einfach machen“, erinnert sich ein Insider gegenüber Finance Forward. Rückblickend bewerten Analysten die Absage als strategischer Fehler. Für die Bank wäre es die Chance gewesen, frühzeitig Zugang zu einer jungen, digitalaffinen Zielgruppe zu gewinnen und sich an einem der erfolgreichsten Fintechs des Kontinents zu beteiligen.

Trade Republic: Payment for Orderflow und schlanke Strukturen

Doch wie verdient ein Broker Geld, der seinen Kunden fast alles kostenlos bietet? Das Geschäftsmodell basiert auf dem Prinzip „Payment for Orderflow“, also den Rückvergütungen von Handelspartnern für die Weiterleitung von Aufträgen. Diese Zuwendungen sind europaweit umstritten, aber zulässig, solange sie dem Kunden keinen Nachteil bringen. Die BaFin hat ein Auge darauf, dass solche Rückvergütungen zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität verwendet werden.

Darüber hinaus verzichtet Trade Republic auf kostspielige Filialen und setzt auf Automatisierung. Mit einem Team von zuletzt über 700 Mitarbeitern, vor allem in Berlin und Düsseldorf, verwaltet das Unternehmen ein Vermögen von inzwischen über 100 Milliarden Euro (Stand Mai 2025). Der Handel erfolgt über die LS Exchange und ausgewählte Market Maker. Auch Kryptos und Anleihen sind mittlerweile Teil des Angebots.

Wachstum in Serie: Millionen Kunden, Milliardenbewertung

Das Wachstum von Trade Republic ist bemerkenswert: Von rund 150.000 Kundinnen und Kunden im Jahr 2020 auf über acht Millionen Nutzerinnen und Nutzer im Frühjahr 2025. Der Neobroker ist inzwischen in 17 europäischen Märkten aktiv, darunter Frankreich, Italien, Spanien und Portugal. In allen Ländern verfolgt das Unternehmen denselben Anspruch: möglichst niedrige Kosten, eine intuitive Bedienung und eine maximale Skalierbarkeit der Plattform.

Am 3. Juni 2022 sicherte sich Trade Republic in einer erweiterten Series-C-Runde ein Investment von 268 Millionen US-Dollar. Der Einstieg erfolgte durch den kanadischen Pensionsfonds Ontario Teachers’ Pension Plan (OTPP). Die Bewertung des Unternehmens lag zu diesem Zeitpunkt bei rund 5,3 Milliarden US-Dollar. „Die Verbesserung unserer Bewertung ist ein echter Beweis für unsere Fortschritte“, skizzierte Mitgründer Christian Hecker gegenüber dem Handelsblatt.

Parallel zum Marktausbau hat das Unternehmen sein Produktportfolio erweitert. Neben dem provisionsfreien Wertpapierhandel bietet das Unternehmen inzwischen ein Tagesgeldkonto mit vier Prozent Zinsen, eine eigene Bezahlkarte, Kinderdepots sowie seit 2024 ein Girokonto mit vollwertigen Zahlungsfunktionen. „Wir wollen das Unternehmen sein, das allen Menschen in Europa den Zugang zum Kapitalmarkt ermöglicht“, so Hecker im Gespräch mit stock3.

Die Boomerjahre der Neobroker und Neobanken

Zwischen 2013 und 2015 gründeten sich in Europa auffällig viele Neobanken und Neobroker, darunter N26 (Berlin, 2013), Scalable Capital (München, 2014), Trade Republic und Revolut (London, 2015).

Der Zeitpunkt war kein Zufall: Zum einen hatten sich die regulatorischen Rahmenbedingungen durch die europäische Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) und neue Fintech-Lizenzen gelockert. Zum anderen war die technologische Infrastruktur, gestützt auf Cloud-Dienste, innovative App-Frameworks und standardisierte XS2A-Schnittstellen (APIs) im Rahmen von PSD2 erstmals so weit, dass schlanke, digitale Finanzprodukte schnell skalierbar wurden. Hinzu kam eine Generation junger Gründerinnen und Gründer, die selbst frustrierte Bankkundinnen und -kunden waren.

Während Neobanken wie N26 vor allem auf Girokonten, Karten und Zahlungsverkehr setzten, fokussierten sich Neobroker wie Trade Republic auf den Wertpapierhandel. Scalable Capital wiederum positionierte sich zunächst als digitaler Vermögensverwalter mit einem algorithmusbasierten Ansatz („Robo Advisor“) und stieg erst später mit einem eigenen Broker-Angebot in den Wettbewerb ein. Der Unterschied zwischen Neobank und Neobroker liegt also nicht nur im Timing, sondern auch in der DNA: Scalable kam aus der Portfolio-Optimierung, Trade Republic aus der Transaktionslogik. Beide eint jedoch ihr Ziel, klassische Banken durch digitale Effizienz und Nutzerzentrierung herauszufordern.

Meme-Stocks und Störungen im Kundenservice

Nicht alles verlief reibungslos. Während des GameStop-Hypes im Januar 2021 stoppte Trade Republic kurzfristig den Kauf der Aktie sowie weiterer sogenannter „Meme Stocks“ wie AMC oder Nokia, also Aktien, deren Kurs nicht durch Fundamentaldaten, sondern durch kollektiven Online-Hype, etwa auf Reddit, in die Höhe getrieben wurde. Die Maßnahme löste massive Kritik aus. Das Unternehmen verwies auf technische Überlastung beim Handelspartner LS Exchange und sprach von einer Maßnahme zum Schutz der Anleger. Die BaFin prüfte den Vorgang, stellte jedoch keinen Manipulationsverdacht fest.

Auch in den Folgejahren geriet Trade Republic immer wieder in die Kritik, etwa wegen App-Störungen Anfang April und Mitte Mai 2025, verzögerter Dividendenauszahlungen oder Problemen beim Depotübertrag. Die Kundenzahl wuchs weiterhin, allerdings schneller als die Servicekapazitäten. „Wir haben die Messlatte hochgelegt und wollen diesem Anspruch gerecht werden“, erklärte Hecker in der Welt und kündigte den Ausbau des Kundenservice mit neuen europaweiten Zentren an.

Der 4-Prozent-Hype: Wie Trade Republic den Zinswettbewerb neu entfachte

Im Februar 2023 sorgte Trade Republic für Aufsehen, als der Neobroker erstmals zwei Prozent Zinsen auf nicht investiertes Guthaben auf dem Verrechnungskonto anbot, ein Novum in der deutschen Brokerlandschaft.

Im Sommer 2023 wurde der Satz auf vier Prozent erhöht. Die Verzinsung galt ab dem ersten Euro, ohne Obergrenze, mit monatlicher Auszahlung. Möglich machte das ein Modell, bei dem Trade Republic den Einlagenzins der Europäischen Zentralbank (EZB) eins zu eins an seine Kundinnen und Kunden weitergab. Der Effekt war spürbar: Innerhalb weniger Wochen zogen klassische Banken wie ING, DKB oder Comdirect mit eigenen Tagesgeldangeboten nach.

Inzwischen steht das Modell in der Kritik: Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg reichte im Juni 2025 Klage beim Landgericht Berlin II ein, wegen mutmaßlich irreführender Werbung. Bemängelt werden insbesondere die Darstellung der Einlagensicherung sowie der variable Charakter der Verzinsung. Trade Republic weist die Vorwürfe zurück und verweist auf vollständige Transparenz in der App und auf der Website. Mehr dazu lesen Sie in unserem Bericht Trade Republic: Verbraucherzentrale reicht Klage wegen Kundentäuschung ein.

“Homescreen für das Vermögen der Zukunft”

Im Frühjahr 2025 umriss Hecker im Interview mit stock3 die neue Ausrichtung des Unternehmens: Trade Republic wolle zur zentralen Finanz-App Europas werden, mit einem Angebot, das vom ersten Sparplan bis zur Altersvorsorge reicht. Ziel sei es, sowohl die klassische Sparerschicht als auch jüngere Investierende anzusprechen. Hecker prägte dafür den Begriff vom „Homescreen für das Vermögen der Zukunft“. Konkret plant das Fintech:

  • die Ausweitung seines Girokontos auf weitere europäische Märkte,
  • neue Funktionen für gemeinsames Investieren – etwa für Familien oder Paare,
  • sowie einen stärkeren Fokus auf Altersvorsorgeprodukte mit staatlicher Förderung.

Auch das Kinderdepot bleibt ein strategischer Baustein: „Altersvorsorge muss mit der Geburt beginnen“, sagte Hecker gegenüber FOCUS online und verwies auf die Schwächen des umlagefinanzierten Rentensystems hierzulande.

Trade Republic versteht sich als Technologieunternehmen mit Banklizenz und damit als Gegenmodell zur klassischen Filiallogik. Ob dieser Ansatz trägt, wird sich zeigen. Klar ist: Die Fintech-Branche steht vor einer Konsolidierung. „Wir erwarten erhebliche Marktbereinigung im Sektor“, so Hecker im Handelsblatt, der Trade Republic weiterhin in der Führungsrolle sieht, auch nach der Marktbereinigung.

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