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Autonom fahrende Autos stellen Versicherungen vor große Probleme

In wenigen Jahren sollen die ersten autonom fahrenden Autos auf den Markt kommen. Das stellt die Versicherer vor völlig neue Herausforderungen. Wie die Unternehmen diese Herausforderungen angehen, erläutert der zuständige Experte der Ergo-Versicherung, Andreas Bradt, den DWN in einem ausführlichen Interview.
06.06.2019 09:53
Lesezeit: 4 min
Autonom fahrende Autos stellen Versicherungen vor große Probleme
Ein autonomes Fahrzeug von "Uber" hat im US-Bundesstaat Arizona einen Unfall verursacht. (Foto: ABC15 Arizona)

Der Experte der Ergo Versicherung für autonome und elektrische Mobilität, Andreas Bradt, erläutert im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten, welche Herausforderungen das autonome Fahren für die Versicherungs-Branche darstellt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Bradt, in wenigen Jahren könnten die ersten autonom fahrenden Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen unterwegs sein. Für die Autoversicherer tun sich da völlig neue Herausforderungen auf. Wie bereiten Sie sich auf diese vor?

Andreas Bradt: Äußerst intensiv bereiten wir uns vor. Wobei wir natürlich erst am Anfang stehen. Praktische Erfahrungen mit autonomen Autos beschränken sich aktuell auf Testprojekte auf privaten sowie auf öffentlichen Straßen. Im Rahmen der Ergo sowie der Munich RE Gruppe versichern wir heute bereits autonom fahrende Testfahrzeuge von über 20 Anbietern in Europa, Nordamerika und Asien. Die Ausgestaltung der entsprechenden Policen beruht aktuell auf Einzelfallbewertungen sowie ersten Annahmen. Wobei wir da sehr spezifisch auf den jeweiligen Anwendungsfall eingehen. Letztlich handelt es sich allerdings noch um eine recht überschaubare Anzahl von Fahrzeugen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Mit was für Herausforderungen sehen Sie sich konkret konfrontiert?

Andreas Bradt: Bislang haben Versicherungen Regressionsanalysen durchgeführt, um Zusammenhänge zwischen Variablen quantitativ beschreiben zu können. Ich möchte das an einem ganz einfachen Beispiel erklären: Man hat analysiert, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Alter sowie dem Erfahrungsgrad eines Fahrers und der Chance, dass er in einen Unfall verwickelt wird. Die Analysen zeigen ganz deutlich, dass dem so ist. Deshalb zahlen junge, unerfahrene Autofahrer in der Regel auch höhere Prämien als ältere, erfahrene Fahrer. Um zu ähnlich belastbaren Ergebnissen zu kommen, sind im Hinblick auf autonome Autos aktuell noch viel zu wenige solcher Fahrzeuge auf den Straßen. Das heißt, Risikofaktoren im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren im Straßenverkehr lassen sich noch nicht statistisch belegen. Dazu benötigt es unter anderem noch viel mehr gefahrener Kilometer.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was könnten einige der Zusammenhänge sein, die Sie untersuchen werden?

Andreas Bradt: Einige Zusammenhänge scheinen auf der Hand zu liegen, und wir fangen gerade an, sie zu validieren. Beispielsweise die Fähigkeit der automatisierten Systeme, neben PKWs auch andere Verkehrsteilnehmer - wie Fußgänger und Fahrradfahrer - verlässlich zu erkennen. Bei anderen werden wir erstmal feststellen müssen, welche Faktoren überhaupt einen Einfluss auf die Unfallhäufigkeit und auf die Schadenshöhe beim autonomen Fahren haben werden. Darüber hinaus spielt die Anwendung sowie die Stufe der Automatisierung eine entscheidende Rolle. So macht es aus Versicherungssicht einen wesentlichen Unterschied, ob es sich um ein vollautonom fahrendes Fahrzeug handelt, das zum Beispiel über kein Lenkrad mehr verfügt, und die Fähigkeit des Fahrzeugs somit vollständig von Software- und Sensor-Technik abhängt. Oder ob es sich um ein Fahrzeug handelt, bei dem der Fahrer zwischen autonomem und manuellem Fahrmodus wählen kann. Da werden wir auf jeden Fall untersuchen müssen, inwiefern der kurze Augenblick der Übergabe der Fahrhoheit vom Menschen aufs Fahrzeug beziehungsweise vom Fahrzeug auf den Menschen ein Risiko darstellt. Eins ist auch klar: Wir werden sehr eng mit den Herstellern der Technologien - also den Autobauern und den Zulieferern - zusammenarbeiten, um zu verstehen, wie die unterschiedlichen Systeme funktionieren, die in autonom fahrende Autos eingebaut sind.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Für die Menschen, die bei Versicherungen angestellt sind, könnte sich in den nächsten Jahren also einiges ändern.

Andreas Bradt: Absolut. Ich denke, dass die großen Veränderungen in der Automobil-Industrie wie Elektromobilität und autonomes Fahren sowie die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Versicherungswelt, für uns in der Versicherung zahlreiche Chancen bieten, spannende Entwicklungen mitzugestalten. Hierzu verfolgen wir den Ansatz, sehr eng mit unseren Industriepartnern zusammenzuarbeiten. Natürlich gehören dazu auch Schulungen und Weiterbildungen, um ein Verständnis für die neuen Technologien zu bekommen. Aber dafür steht genügend Zeit zur Verfügung - es handelt sich schließlich um einen graduellen Prozess. Die Versicherungsangestellten mussten in den 50er Jahren ja auch allmählich lernen, Autos zu versichern. Zur gegebenen Zeit - in ein paar Jahren oder Jahrzehnten - wird die Versicherung eines autonom fahrenden Autos für Versicherungskaufleute Routine sein.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie hegen also keine Befürchtungen, dass autonome Autos Ihnen die Geschäftsgrundlage abgraben werden? Derzeit werden die meisten Unfälle schließlich durch menschliches Versagen ausgelöst.

Andreas Bradt: Nein, das befürchten wir nicht. Auch wenn es natürlich gut wäre, wenn es keine Unfälle mehr geben würde. Aber bestimmte Schäden werden im Straßenverkehr immer auftreten, zum Beispiel, wenn Wild die Straße überquert. Außerdem natürlich auch Sturm- oder Hagelschäden.

Derzeit gehen wir allerdings davon aus, dass sich die Zahl der Unfälle verringern wird, eben weil der Risikofaktor Mensch eine geringere oder - beim vollständig autonomen Fahren - gar keine Rolle mehr spielt. Dafür wird sich aber wahrscheinlich die Schadenshöhe pro Unfall erhöhen. Und zwar deshalb, weil die Autos der Zukunft über viel mehr Funktionen verfügen werden als heutige Fahrzeuge. Beispielsweise werden sie wahrscheinlich auf der Außenseite mit vielen verschiedenen Sensoren ausgestattet sein. Die werden viele Unfälle verhindern - aber wenn es dann doch mal kracht, wird der Schaden umso höher sein, weil dann eben auch die empfindlichen Sensoren zu Schaden gekommen sind. Diese Entwicklung sehen wir aktuell übrigens tendenziell bereits bei einigen Fahrzeugen mit Fahrerassistenz-Systemen, der Vorstufe des autonomen Fahrens.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ein kurzes Fazit unsererseits: Sie werden die nächsten Jahre alle Hände voll zu tun haben …

Andreas Bradt: Definitiv. Wobei wir sogar schon einen Schritt weiter sind und uns nicht nur auf die technischen Veränderungen vorbereiten, die die Zukunft bringt, sondern auch auf das geänderte Mobilitätsverhalten der Menschen. Das Stichwort lautet „Multimodalität“. Viele Menschen werden nicht mehr mit dem eigenen Auto fahren, sondern mit einem vom Car Sharing Service. Für einige Wege werden sie ganz auf den Pkw verzichten und sich stattdessen aufs E-Bike schwingen. Und gelegentlich werden sie auch im fliegenden Taxi unterwegs sein. Für all diese unterschiedlichen Arten von Mobilität braucht es eine Versicherung. Mit anderen Worten: Unsere Expertise ist mehr gefragt denn je. Der Branche stehen ein paar extrem spannende und ereignisreiche Jahrzehnte bevor.

***

Andreas Bradt verantwortet den Bereich „Autonome und Elektrische Mobilität“ bei der„Ergo Mobility Solutions“. In enger Zusammenarbeit mit Automobilherstellern, Mobilitätsdienstleistern und Technologiepartnern entwickelt er Versicherungs- und Servicelösungen im Kontext „Neue Mobilität“. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf elektrischem, assistiertem und autonomem Fahren. Zudem beschäftigt er sich intensiv mit den Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Risikobewertung.

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