Finanzen

Europas Geldpolitik: Mit Vollgas in den Abgrund

In Europa muss man sich anschnallen. Diese Woche wurden von der Europäischen Zentralbank die Weichen für eine Geldpolitik gestellt, die den Kontinent in den Abgrund treibt. Der Wechsel von Mario Draghi zu Christine Lagarde am 1. November bringt keine Änderung. Die Beschlüsse reichen weit über den 1. November hinaus und werden von Lagarde mitgetragen.
13.09.2019 16:45
Aktualisiert: 13.09.2019 17:05
Lesezeit: 5 min

Man pumpt zusätzliche Milliarden in die maroden Staatshaushalte, man plündert weiter die Vermögen der Sparer und übersieht konsequent, dass die Geldschwemme nicht in der Wirtschaft ankommt. Mit dieser Politik hat man schon bisher erreicht, dass Europa zurückfällt. Die Wirtschaftsleistung des Euro-Raums ist bald bei der Hälfte des USA-BIP, obwohl beide Regionen eine etwa gleich große Einwohnerzahl haben. Jetzt geht es weiter in diese Richtung, aber noch schneller.

Die Plünderung der Sparer wird noch um eine Dimension verschärft

Die Vernichtung der Zinsen bekommt eine weitere Dimension. Banken, die Geld bei der Zentralbank halten, müssen schon bisher Strafzinsen an die EZB entrichten. Dieser Verlust wird nun auf minus 0,5 Prozent erhöht. Schon länger zahlen die Banken im Gefolge der Nullzinsenpolitik der EZB kaum Zinsen für Spareinlagen. Nun beginnen die Institute ebenfalls so genannte „Negativzinsen“ zu verrechnen. Das heißt im Klartext: Die Kunden bekommen nicht einmal mehr den auf das Sparbuch eingezahlten Betrag in voller Höhe wieder zurück. Die Inflationsraten sind zwar niedrig, die Preise steigen also nicht sehr stark, aber doch und verringern den Geldwert. Minuszinsen und Geldentwertung lautet die Botschaft an die Sparer.

Damit nicht genug. Mit derart niedrigen Zinsen ist der Aufbau einer Altersvorsorge nur möglich, wenn deutlich mehr gespart wird, womit die meisten aber überfordert sind. Zwischen der Zinspolitik und der Altersarmut besteht ein unmittelbarer Zusammenhang.

Und weiter im Text der dramatischen Konsequenzen: Die niedrigen Zinsen haben nicht nur die Sparbücher betroffen, sondern auch die Erträge aus den Anleihen vernichtet. In der Folge stürzen sich bereits seit Jahren die Anleger auf Immobilien und treiben die Preise in die Höhe. Mit dem Effekt, dass die Wohnungspreise in astronomische Höhen geschnellt sind. Die Maßnahmen dieser Woche sorgen für einen weiteren Auftrieb.

Dass die Aktienkurse trotz aller Turbulenzen Höchstwerte aufweisen, ist ebenfalls durch die Flucht der Anleger vor den niedrigen Zinsen verursacht. Dass Uhren, Bitcoin und andere nicht nachhaltige Werte Hochsaison haben, darf nicht übersehen werden.

Die Belebung der Wirtschaft wird durch die EZB-Politik nicht erreicht

Was glaubt nun die EZB mit ihrer Zinspolitik zu erreichen? Niedrige Zinsen bedeuten billige Kredite und billige Kredite beleben die Wirtschaft. Auch die Strafzinsen werden so begründet: Banken, die Geld bei der EZB liegen haben, müssen bestraft werden, weil sie offenbar nicht ausreichend Kredite vergeben. In den von der Realität weit entfernten Räumen der EZB sind zwei entscheidende Nachrichten nicht angekommen:

Die von der EZB mitgestalteten Kredit-Regeln erschweren Finanzierungen extrem. Die Banken müssen sehr viel Eigenkapital vorhalten und die Kunden werden nur finanziert, wenn sie eine hohe Bonität aufweisen. Die Vorschriften ergeben, dass man letztlich nur Kunden Kredite geben darf, die letztlich nicht darauf angewiesen sind.

Diese Politik begann 2004 mit dem Regelwerk „Basel II“, wurde mit „Basel III“ verschärft und wird laufend durch die Praxis der zahllosen Aufsichtsbehörden auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten ausgebaut.

Zur Illustration des hier herrschenden Geistes: Wenn eine Firma Probleme hat, muss die Bank sofort die Bonität nach unten korrigieren und nach Möglichkeit trachten, vorhandene Sicherheiten zu verwerten. Die Politik gibt der Bank vor: Mache aus Problemen eine Krise, statt partnerschaftlich mit dem Kreditkunden Lösungen zu suchen.

Unter diesen Umständen geben die Banken nur zögerlich Kredite und unter diesen Umständen vermeiden die Unternehmen nach Möglichkeit die Aufnahme eines Kredits. Somit kann die EZB Geld nach Gutdünken produzieren, die angestrebte Belebung wird man nicht erreichen.

Es geht weniger um die Belebung der Wirtschaft. Die EZB hilft vor allem den Staaten

Die Struktur der Maßnahmen zeigt zudem, dass nicht die Belebung der Wirtschaft ernsthaft im Vordergrund steht, sondern die Unterstützung der überschuldeten Staaten. In diesem Zusammenhang spielt die persönliche Situation der beiden Präsidenten eine wichtige Rolle: Mario Draghi kommt aus dem hoch verschuldeten Italien und Christine Lagarde aus dem ebenfalls hoch verschuldeten Frankreich. Die Verpflichtungen sind in beiden Ländern gleich hoch – 2.300 Milliarden Euro. Da mögen die Notenbanker aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden mahnen und mahnen, die Notenpresse wird weiter betätigt. Und wie sieht das aktuell aus:

Die schon bisher von Draghi in die Zentralbank insgesamt von allen EU-Staaten übernommenen Anleihen in der Höhe von etwa 2.000 Mrd. Euro werden auf folgende Weise behalten: Wird eine Anleihe getilgt, erfolgt in gleichem Umfang der Ankauf einer neuen Anleihe. Die Finanzminister müssen sich also wegen dieser Schulden keine Sorgen machen.

Ab November werden wieder zusätzliche Anleihen im Ausmaß von 20 Mrd. Euro angekauft. 20 Mrd. monatlich bedeuten 240 Mrd. Euro im Jahr, womit im Wesentlichen die zu erwartenden Defizite der Staaten in der sich abzeichnenden Flaute abgedeckt sind. Die gute Konjunktur in den beiden vergangenen Jahren hatte mit einem höheren Steueraufkommen für Entspannung gesorgt.

Die Finanzminister der EU können also nach dieser Woche feiern. Alle ohnehin nur schwach entwickelten Bemühungen um einen Abbau der Bürokratie und eine Sanierung der maroden Budgets haben an Brisanz verloren. Vor allem wird den Regierungen erspart, der Bevölkerung reinen Wein über die Sozialpolitik einzuschenken:

Im Schnitt in Europa erfolgt der Renteneintritt mit knapp 62 Jahren, die Lebenserwartung liegt aber deutlich über 80. Die Finanzierung von zwanzig Jahren Pension bei einer zudem wachsenden Zahl an Rentnern können die Aktiven nicht schultern. Man wird deutlich später in Rente gehen müssen.

Angesichts der geringen Kinderzahl und der Behinderung der Zuwanderung werden die Älteren zupacken müssen, um ein ausreichendes Aufkommen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen zu erwirtschaften.

Die gleichen Faktoren, wenige Kinder und wenige Zuwanderer, bewirken auch, dass der Arbeitsmarkt die länger arbeitenden Älteren verkraften wird.

Die Europäische Zentralbank hat somit in dieser Woche mit der Notenpresse ausgiebig finanzielles Morphium produziert, um Europa weiterhin in der Illusion zu wiegen, dass alles in Ordnung sei.

Die Finanzierung von Investitionen aus den Budgets findet kaum statt

Dass davon keine Rede sein kann, zeigt sich an den Details.

Die EZB argumentiert, dass die Finanzierung der Staaten für öffentlichen Investitionen sorgt, die die Wirtschaft beleben. Wäre dies der Fall, könnte man applaudieren. Tatsächlich haben die Staaten die Investitionen seit langem drastisch reduziert, um nur irgendwie die Budgets im von der EU vorgegebenen Rahmen zu halten. Somit werden die Budgets von den Kosten der Beamtenapparate und der Sozialleistungen dominiert. Die Empfänger der Gelder verbrauchen die Mittel sofort. Folglich ist keine längerfristige Finanzierung über Schulden zu rechtfertigen, wie dies etwa bei Investitionen der Fall ist, die über Jahre und Jahrzehnte zur Verfügung stehen.

Die Finanzierung der Investitionen soll im Rahmen von Private-Public-Partnerschaften in den Markt verlagert werden, um die Staatshaushalte zu schonen und dennoch die Infrastruktur zu verbessern. Im Markt, bei den Versicherungen und Banken, wirken aber die Regularien, die die Finanzierung der Projekte behindern.

Die Übernahme von Staatsanleihen durch die EZB wird auch als Entlastung der Banken dargestellt, die folglich mehr Mittel für andere Finanzierungen zur Verfügung hätten. Das ist unrealistisch: Die meisten Staatsanleihen sind gesetzlich als „risikolos“ eingestuft und erfordern daher auch keine Kapitalunterlegung durch die Bank. Im Gegensatz zu allen anderen Finanzierungen.

Diese Woche wurde auch der Ankauf von Forderungen gegen private Unternehmen beschlossen. Diese Maßnahme würde tatsächlich die Liquidität der Kommerzbanken entlasten. Allerdings hat die EZB bereits in der Vergangenheit bei Anleihen von Firmen Verluste erlitten und sollte dieses Geschäft doch besser den Profis in den Kreditinstituten überlassen.

Die groteske Aushebelung der geldpolitischen Grundsätze

Angesichts der lockeren Geldpolitik fragt man sich, was aus dem währungspolitischen Grundsatz geworden ist, wonach das Betätigen der Notenpresse die Inflation antreibt.

Die Antwort ergibt sich aus der grotesken Situation, dass die Finanzpolitik auf der einen Seite Geld druckt und auf der anderen verhindert, dass das Geld in entsprechendem Umfang den Weg zu den Unternehmen findet. Ohne diese skurrile Selbstbehinderung käme ein Kreditboom zustande, eine starke Nachfrage wäre die Folge und die Anbieter könnten und würden die Preise in die Höhe schrauben.

Wären die Budgets der Staaten nicht bereits überfordert, so könnten die Regierungen tatsächlich großzügig Investitionen vornehmen. Schließlich sollte die Infrastruktur in ganz Europa von den Straßen bis zu den digitalen Netzen verbessert werde. Das geschieht aber nur mangelhaft und so können die Anbieter keine üppigen Preis-Forderungen stellen.

Die Regel, viel Geld treibt die Preise, stimmt aber nach wie vor:

  • Das Geld fließt in Immobilien und Aktien, deren Preise auch entsprechend gestiegen sind.
  • Das Geld fließt in den Konsum: Der Tourismus ist in machen Destinationen bereits am Zusammenbrechen, weil Millionen Gäste von den historischen Stätten und den attraktiven Freizeitzentren nicht verkraftet werden. Nicht zuletzt wird der Tourismus-Boom auch durch die Budgets der Staaten ausgelöst, die vor allem den Konsum finanzieren.

Fazit: Diese Woche hat sich Europa sehr viel Geld ausgeborgt, um auf Urlaub zu gehen und übersehen, dass man das Geld für einen Urlaub auch verdienen muss. Vorher durch Sparen oder nachher durch die Abzahlung eines Kredits. Europa wird in nächster Zeit schmerzhaft erfahren müssen, dass man die beiden Alternativen nicht durch das Drucken von Geld umgehen kann. Nicht wenige wiegen sich in der Illusion des Reichtums, weil doch alle Vermögenswerte hohe Preise aufweisen und beachten nicht, dass ein Teil des Reichtums ein Neben-Effekt der Niedrigzinspolitik ist. Fraglich ist, ob die Werte auf Dauer halten, was die aktuellen Preise versprechen.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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