Im September hatte die Europäische Zentralbank - damals noch unter Führung von Mario Draghi - den Einlagensatz für Geschäftsbanken der Eurozone auf minus 0,5 Prozent gesenkt. Das heißt, dass die Banken nun noch höhere Strafzinsen auf ihre Einlagen bei der EZB zahlen müssen. Zwar erhalten die Banken bei ihren Einlagen nun eine Art Freibetrag, für den ein höherer Zinssatz gilt. Doch insgesamt lasten die negativen Zinsen seit Jahren auf ihren Erträgen und einige Institute sehen sich gezwungen, die Strafzinsen an ihre Kunden weiterzureichen.
Auch Mitglieder im EZB-Rat stellen den negativen Einlagesatz zunehmend öffentlich nicht mehr als ein geldpolitisches Mittel zur Stimulierung der Kreditvergabe, sondern nur noch als ein notwendiges Übel dar, dessen Anwendung man nicht weiter verstärken sollte. Offenbar ist die geldpolitisch extrem expansive Ausrichtung der Zentralbank intern nicht mehr unumstritten, wie bereits vor einigen Wochen nach der letzten Zinsentscheidung Draghis in die Medien durchgesickert war. Daher erwarten die Banken derzeit auch nicht, dass die Europäische Zentralbank den Einlagenzins bei ihrem nächsten Treffen am nächsten Donnerstag den 12. Dezember weiter absenken wird.
Weitere Zinssenkung im März?
"Wir erwarten nicht, dass sie die Zinsen weiter senken werden", zitiert Bloomberg Sarah Hewin, Chefökonomin für Amerika und Europa bei der Londoner Standard Chartered Bank. "Ich bin mir nicht sicher, ob es einen Konsens darüber gibt, dass negative Zinssätze schlecht sind, aber ich frage mich, ob es mit diesem Übergang von Draghi zu Lagarde - einer neuen Person am Steuer - nicht doch eine Gelegenheit gibt, seine Bedenken zu äußern."
Auch die US-Bank JPMorgan Chase erwartet im Dezember keine Zinssenkung. Ihr Ökonom Greg Fuzesi sagte: "Angesichts des Fehlens eines Lockerungssignals und der Zeit, die die EZB oft braucht, um einen Konsens zu erzielen, wird es immer unwahrscheinlicher, dass die EZB mehr tun wird." Aline Schuiling, Ökonomin bei der Amsterdamer ABN Amro Bank, erwartet , dass die EZB den Einlagenzins aufgrund der schwachen Konjunktur wahrscheinlich im März weiter absenken wird. Es gebe eine gewisse Erholung des Wachstums, diese sei aber "nicht sehr spektakulär".
In einer Rede im November hatte EZB-Chefökonom Philip Lane die negativen Zinsen als Ergänzung zu anderen Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft verteidigt. Der nicht vorhandene Preisanstieg sei ein Beweis dafür, dass die Zinsen nicht zu niedrig seien, so der Ire. Zwei der neuen Direktoriumsmitglieder der EZB sind da vorsichtiger. Die Deutsche Isabel Schnabel sagte bei der Befragung durch das EU-Parlament in dieser Woche, die EZB solle auf die Bedenken der Wähler bezüglich Negativzinsen achten. Und der Italiener Fabio Panetta warnte öffentlich vor den "unbeabsichtigten Folgen der Geldpolitik".
Italiens Ignazio will Anleihekäufe statt Minuszinsen
In einigen Ländern der Eurozone, insbesondere in Deutschland und den Niederlanden, gibt es eine starke Unzufriedenheit im Hinblick auf Negativzinsen. Daher bekommen die EZB-Beamten auch in privaten Gesprächen die Kritik einiger Finanzminister zu hören, sagten mit der Angelegenheit vertrauten Personen zu Bloomberg. Bundesbankpräsident Jens Weidmann und der niederländische Notenbankpräsident Klaas Knot sind seit langem Kritiker einer lockeren Geldpolitik. Sie dürften eine weitere Zinssenkung kaum unterstützen, es sei denn, die Konjunktur in Europa verschlechtert sich deutlich.
Der Gouverneur der Bank von Spanien, Pablo Hernandez de Cos, sagte diese Woche, er könne nicht ausschließen, dass die Negativzinsen letztendlich die Umsetzung der Geldpolitik beeinträchtigten. Am auffälligsten ist aber, dass nun auch Italiens Notenbankchef Ignazio Visco, ein langjähriger Unterstützer der lockeren Geldpolitik, begonnen hat, die Negativzinsen zu kritisieren. Diese hätten zwar bisher ganz gut gewirkt, aber einen dauerhaften Einsatz könne er "nicht empfehlen".
Aus seiner Sicht haben diese kaum zu einer lebhafteren Kreditnachfrage geführt. "Ich bevorzuge Anleihekäufe vor Minuszinsen", sagt er im Interview mit dem Handelsblatt. Negative Zinsen würden "wenig bewirken" und hätten möglicherweise "schädliche Nebenwirkungen auf das Finanzsystem". Die Wirkung von Anleihekäufen sei stärker und breiter gestreut. Damit stellt sich Ignazio gegen Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der aus ordnungspolitischer Sicht vor allem Anleihekäufe durch die EZB sehr kritisch sieht.
"Die Nebenwirkungen werden greifbarer"
Anfang der vergangenen Woche wies zudem EZB-Vizepräsident Luis De Guindos darauf hin, wie die Europäische Zentralbank derzeit den Kapitalmarkt verzerrt, und zeigte zugleich die Grenzen der Geldpolitik auf. "Wir können zwar die Anleihenkäufe immer noch weiter erhöhen oder die Zinsen weiter senken, was bedeutet, dass wir immer noch über die gleichen Instrumente verfügen", sagte er in einem Interview mit der spanischen Zeitung El Mundo und warnte: "Die Nebenwirkungen werden greifbarer."
Insbesondere sagte De Guindos, sei er "besorgt über die Übernahme von Risiken im Asset-Management-Bereich vor dem Hintergrund niedriger Zinssätze". Dem spanischen EZB-Vizepräsidenten zufolge besteht das Risiko, dass "die Aufsicht in diesem Sektor nicht mit der im Bankensektor vergleichbar ist". Und weiter: "Werden sie aufgefordert, Anteile auszuzahlen, müssen sie dies innerhalb von zwei bis drei Tagen tun. Ich sehe ein potenzielles Risiko eines Liquiditätsungleichgewichts. Das ist es, was mich im Moment am meisten beunruhigt."
Der österreichische Gouverneur Robert Holzmann sagte im September, dass negative Zinsen nicht nachhaltig seien und forderte eine Anhebung des Einlagensatzes. Zwar mag das im EZB-Rat eine extreme Ansicht sein, aber die wechselnde Einschätzung negativer Zinsen als ein notwendiges Übel unter seinen Kollegen deutet darauf hin, dass sich andere ihm eines Tages anschließen könnten.