Eine EU-Anhörung zur Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn hat in einem Eklat geendet. Auch in der Sache blieben die Fronten beim Treffen der EU-Europaminister in Brüssel am Dienstag verhärtet: Die ungarische Justizministerin Judit Varga sprach wegen eines laufenden EU-Strafverfahrens gegen Budapest von einer "Hexenjagd". Die finnische EU-Ratspräsidentschaft warf einem Sprecher von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban wegen Äußerungen auf Twitter dann ihrerseits Antisemitismus vor.
Der Regierung in Ungarn wird von Brüssel seit Jahren die Untergrabung von EU-Grundwerten vorgeworfen. Neben einer Reihe von Vertragsverletzungsverfahren läuft gegen Budapest ein Strafverfahren, das bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen kann. Beim Treffen der Europaminister fand nun zum zweiten Mal eine Anhörung des Landes statt, das dort durch Justizministerin Varga vertreten wurde. Sie beharrte darauf, dass das vom Europaparlament eingeleitete Strafverfahren auf "falschen Anschuldigungen" basiere und beendet werden müsse.
Die zuständige Vize-Kommissionspräsidentin Vera Jourova sagte nach dem Treffen, die Gespräche innerhalb des Strafverfahrens nach Artikel 7 des EU-Vertrages müssten fortgesetzt werden. "Die ungarische Seite hat versucht, uns davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Ich habe den Eindruck, dass es noch Bedenken gibt."
EU-Justizkommissar Didier Reynders sprach gar von einer "Verschlechterung" der Lage. Auch Deutschlands Außenstaatsminister Michael Roth (SPD) sagte vor Beginn, aktuelle ungarische Gesetzesinitiativen deuteten "eher daraufhin, dass es Rückschritte geben könnte".
Privat finanzierte und gelenkte Organisationen und die EU-Kommission werfen Budapest vor, systematisch die Unabhängigkeit der Justiz, die Pressefreiheit und die Rechte von Flüchtlingen und Minderheiten zu untergraben. Ungarns Regierung weist die Kritik mit Verweis auf ein vermeintliches Komplott des weltweit über zahlreiche Stiftungen und Organisationen aktiven US-Milliardärs George Soros zurück. Orban beschuldigt den in Ungarn geborenen Geschäftsmann dabei, illegale Einwanderung in Ungarn über die Finanzierung von Hilfsorganisationen zu fördern.
Für Ärger sorgte, dass Orbans Regierungssprecher Zoltan Kovacs während der Anhörung hinter verschlossenen Türen reihenweise Tweets auf Twitter absetzte und Äußerungen der Vertreter anderer Mitgliedstaaten kommentierte. Ungarn erhielt deshalb vom EU-Rat eine offizielle Rüge wegen des Bruchs der Vertraulichkeit der Beratungen.
Schon vor Beginn hatte Kovacs auf Twitter über einem Foto des Ratsgebäudes geschrieben: "Soros-Orchester ist dabei, die Bühne zu betreten." Später folgte ein Tweet, in dem er dem "Soros-Orchester" unter den Europaministern vorwarf, die EU in "ihren von Ideologie getriebenen politischen Kampf" zu ziehen.
"Das ist empörend", sagte die finnische Europaministerin Tytti Tuppurainen, deren Land derzeit den Vorsitz unter den EU-Staaten innehat. "Jeder antisemitische Akt muss auf die schärfste mögliche Weise verurteilt werden." Auch der Bruch der Vertraulichkeit der Sitzung sei "eine ernste Angelegenheit".
Unterdessen verabschiedete das ungarische Parlament am Dienstag eine Reihe von Gesetzesvorhaben. Ein 200 Seiten langes Gesetzespaket zu Verwaltungsabläufen beinhaltet unter anderem Reformen der Gerichte, die Kritikern zufolge die Unabhängigkeit der Justiz einschränken. Weitere Gesetze beziehen sich auf Kommunen und politische Institutionen in Ungarn.
Eine von der Opposition als "Maulkorb-Gesetz" kritisierte Novelle ermöglicht es künftig dem Vorsitzenden des Parlaments, Abgeordneten hohe Geldbußen aufzuerlegen oder sie von Sitzungen auszuschließen, falls sie im Parlamentsgebäude protestieren. Oppositionsabgeordnete haben zudem künftig schwerer Zugang zu öffentlichen Einrichtungen wie Ministerien.
Weitere Gesetzesänderungen sind Kritikern zufolge Reaktionen von Ministerpräsident Viktor Orban auf die jüngsten Wahlniederlagen seiner Partei. Eine Novelle schränkt die Möglichkeit mehrerer Parteien ein, Bündnisse bei Wahlen einzugehen. Zudem wird die Freiheit der Kommunen bei der Verwendung von Steuergeldern eingeschränkt.