Politik

Erste Rufe nach Rückkehr zur Atomkraft: Die Bundesregierung verläuft sich im klimapolitischen Irrgarten

Die Bundesregierung hat sich selbstverschuldet im klimapolitischen Irrgarten verlaufen. Die Brücken zu Kohlekraft und Atomenergie wurden unter Bundeskanzlerin Merkel abgerissen, die schwächelnde Wind- und Solarbranche soll es richten. Inzwischen werden Rufe nach der Renaissance der emissionsfreien Nuklearenergie laut.
18.12.2019 16:00
Aktualisiert: 18.12.2019 16:02
Lesezeit: 2 min
Erste Rufe nach Rückkehr zur Atomkraft: Die Bundesregierung verläuft sich im klimapolitischen Irrgarten
Bundeskanzlerin Angela Merkel wird von Svenja Schulze (l, SPD), Bundesumweltministerin, und der chilenischen Umweltministerin Carolina Schmidt beim 10. Petersberger Klimadialog begrüßt. (Foto: dpa) Foto: Bernd von Jutrczenka

Die Bundesregierung hat Spekulationen über eine Abkehr vom Atomausstieg aus Klimaschutzgründen eine klare Absage erteilt. "Der Ausstieg wird wie geplant vollzogen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin, wie die dpa berichtet. Die Haltung der Bundesregierung zur Atomkraft gelte unverändert.

Der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer, hatte zuvor den 2011 nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossenen Atomausstieg in Deutschland in Frage gestellt. Er wäre unter Umständen offen dafür, auch in Zukunft Kernkraftwerke zu betreiben, sagte der CDU-Politiker dem "Spiegel". "An mir und an der Unionsfraktion wird es nicht scheitern."

Er habe es für falsch gehalten, überhaupt aus der Kernkraft auszusteigen, sagte Pfeiffer. "Wenn es jetzt aber darum geht, aus Klimaschutzgründen wieder in die Kernenergie einzusteigen, muss die Initiative von den Grünen und Linken ausgehen." Beide Parteien lehnen dies strikt ab. Kernkraftwerke stoßen im Betrieb im Gegensatz zu Kohle- und Gaskraftwerken kein CO2 aus, welches von der Bundesregierung als "klimaschädlich" eingestuft wird.

Unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel hatte die Bundesregierung 2011 praktisch über Nacht und mit bangem Blick auf die anstehenden Landtagswahlen im CDU-Kernland Baden-Württemberg beschlossen, die Atomkraftwerke gestaffelt abzuschalten. Der Bundestag hatte dem im Konsens zugestimmt - mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen. Danach gehen die drei letzten Anlagen spätestens Ende 2022 vom Netz - das sind Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2.

Auch die Reaktionen des Koalitionspartners SPD auf Pfeiffers Äußerungen fielen deutlich aus. Bundesumweltministerin Svenja Schulze sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Es gab keine einzige energiepolitische Entscheidung, die von so einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen worden ist wie der Atomausstieg 2011." Der GAU von Fukushima habe allen vor Augen geführt, dass es richtig sei, aus der Atomenergie auszusteigen und die Akw in Deutschland schrittweise und für immer stillzulegen. Vom Koalitionspartner CDU/CSU forderte Schulze, für Klarheit in den eigenen Reihen zu sorgen.

Deutschland plant neben dem Atomausstieg auch einen schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038, weil diese als schädlich für das Weltklima angesehen wird. Allerdings stockt derzeit der als notwendig betrachtete Ausbau erneuerbarer Energiequellen aus Sonne oder Wind erheblich. Vor allem die Windkraft an Land ist in diesem Jahr wegen langer Genehmigungsverfahren und vieler Klagen von Bürgerinitiativen fast zum Erliegen gekommen. Der Bau von Stromleitungen von dem vor allem im Norden produzierten Windstrom in den Süden kommt ebenfalls nur langsam voran.

Damit eröffnet sich für Deutschland ein energiepolitisches Dilemma: Während jene Energiequellen abgeschafft werden, die planbar, berechenbar und relativ günstig Strom erzeugen und eine Unabhängigkeit vom Ausland garantieren, soll die entstehende Versorgungslücke von den unberechenbaren Energiequellen Wind und Sonnenkraft gefüllt werden.

Zudem hat die sogenannte Energiewende bereits zu den höchsten jemals gemessenen Strompreisen in Deutschland geführt – ein Ärgernis, welches nun durch eine massive Sondersteuer auf alle Emissionen des natürlichen Gases (!) Kohlenstoffdioxid behoben werden soll.

Der deutsche Weg eines Ausstiegs aus der Kernenergie findet derzeit auf der ganzen Welt so gut wie keine Nachahmer. Im Gegenteil: Die Atomkraft könne im Kampf gegen den Klimawandel helfen, hatte vor kurzem der neue Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, gesagt.

Der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch lehnte eine Rückkehr zur Atomkraft strikt ab: "Wer heute Atomkraft als nachhaltig darstellt, verschweigt die enormen Risiken für Mensch und Natur und die Tatsache, dass wir 30 000 Generationen hochgefährlichen Müll überlassen, ohne dass diese einen Nutzen hatten", sagte Miersch. Von der Union forderte Miersch ein unverzügliches und unmissverständliches Bekenntnis zum "unumkehrbaren Atomausstieg".

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte jüngst falsche Prioritäten in der Energiepolitik beklagt. Wenn das Weltklima das größte Problem sei, hätte Deutschland zuerst aus der Kohleverstromung aussteigen müssen, statt aus der Atomenergie. Auch der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, ist der Auffassung, dass der kurzfristige Atomausstieg ein Fehler war. In der Klima-Debatte wirbt auch die AfD für eine Renaissance der Kernenergie.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Fetter Profit in Sicht – oder frisst Trump Novo Nordisk auf?
30.05.2025

Novo Nordisk träumt von einer Gewinnverdopplung mit Abnehmspritzen – doch Billigkopien, Trump-Zölle und eine wacklige Pipeline könnten...

DWN
Panorama
Panorama Deutsche Urlauber auf Platz eins in Griechenland
30.05.2025

Sonne satt, blauer Himmel, Strand und Meer - deutsche Touristen lieben Griechenland. Für Hellas sind sie die größte und wichtigste...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Osttechnik unter Westregie: Wie Multicar im Hako-Verbund zur Hightech-Marke wurde
30.05.2025

Sie fegen, sie wischen, sie räumen: Die orangefarbenen Mini-Lkw von Multicar sind aus deutschen Kommunen kaum wegzudenken. Dass sie heute...

DWN
Politik
Politik Deutschland vor dem Absturz – Kann Merz die Wirtschaft noch retten?
30.05.2025

Die deutsche Wirtschaft taumelt – Investitionen versanden in Bürokratie, Fachkräfte fehlen, die Industrie verliert an Schlagkraft....

DWN
Finanzen
Finanzen 10.000 Euro investieren: Wie man mit Strategie ein stabiles Anlageportfolio aufbaut
30.05.2025

Wie lege ich 10.000 Euro sinnvoll an? Wir haben einige Finanzexperten befragt und diese sagen: Risiken streuen, Liquidität sichern, Trends...

DWN
Politik
Politik Steigende Beiträge und sinkende Nettoeinkommen: Was auf Arbeitnehmer zukommen könnte
30.05.2025

Die Rechnung für den deutschen Sozialstaat wird teurer – viel teurer. Während die neue Regierungskoalition noch ihre Pläne schmiedet,...

DWN
Politik
Politik Geheime Kriegsagenda: EU startet 150-Milliarden-Rüstungsfonds
30.05.2025

Ohne öffentliche Debatte, ohne Mitsprache des EU-Parlaments: Brüssel aktiviert im Eiltempo ein 150-Milliarden-Euro-Programm zur...

DWN
Finanzen
Finanzen Weltsparen-Studie: Sind Aktien bessere Wertanlagen als Immobilien?
30.05.2025

Lange Zeit galten Immobilien als eine sichere Kapitalanlage. Über viele Jahre hinweg bricht der Wert des Markts nicht ein, wiegt die...