Politik

Schweden bleibt im Corona-Kampf weiter relativ entspannt

Schweden macht vor, wie man mit dem Coronavirus auch ganz anders umgehen kann. So bleiben hier zum Beispiel Restaurants, Cafés und Kneipen weiter geöffnet.
30.03.2020 16:21
Aktualisiert: 30.03.2020 16:21
Lesezeit: 3 min
Schweden bleibt im Corona-Kampf weiter relativ entspannt
Männer sitzen im Pub "Half Way Inn" in Stockholms Zentrum an der Bar. Schweden geht beim Kampf gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus einen Sonderweg. (Foto: dpa) Foto: Ali Lorestani

Schweden geht im weltweiten Kampf gegen das Coronavirus einen ganz anderen Weg als praktisch alle anderen Staaten der Welt. Während auch die Nachbarländer Norwegen und Dänemark ihre Grenzen, Schulen, Restaurants und Skipisten schlossen, ist das wirtschaftliche Leben in Schweden offen geblieben. Das Land beschränkte die Schließungen auf Schulen für ältere Schüler, die keine umfangreiche Beaufsichtigung benötigen.

Kindergärten und Grundschulen hingegen sind weiter offen. Und wenn man sich in den Restaurants und Cafés der schwedischen Hauptstadt Stockholm umschaut, so sieht man, wie die Menschen dort fröhlich gemeinsam essen oder Filterkaffee trinken. Die Spielplätze sind voll mit Kindern. Die Fitnessstudios, Einkaufszentren und Skipisten sind zwar etwa weniger frequentiert als noch vor einigen Wochen, sie werden aber weiterhin genutzt.

Ganz anders als Schweden hat Deutschland reagiert, wo Treffen von zwei oder mehr Personen nun in der Regel verboten sind. In Frankreich müssen die Einwohner (mit Ausnahme der schwer kontrollierbaren Vororte) nun im Internet Formulare ausfüllen, diese ausdrucken und mit sich führen, wenn sie das Haus verlassen. Für jedes Verlassen des Hauses ist ein neues Formular erforderlich. Die landesweiten Probleme, welche die Regierung seit Ende 2018 mit den sogenannte Gelbwesten hatte, sind dadurch praktisch zum Erliegen gekommen.

In den Zahlen spiegelt sich das ganz andere Vorgehen der Schweden in der Corona-Krise bisher nicht wieder, wenn man es mit den Nachbarstaaten vergleicht. Bis einschließlich Samstag wurde das Coronavirus in dem Land mit etwa mehr als 10 Millionen Einwohnern bei 105 toten Patienten festgestellt. Dänemark mit 5,6 Millionen Einwohnern meldete 52 entsprechende Todesfälle. Und in Norwegen mit 5,3 Millionen Einwohnern hat man bisher bei 19 Todesfällen das Coronavirus nachweisen können.

Doch auch in Schweden wird das Coronavirus, an dessen Neuartigkeit und außergewöhnlicher Gefahr erfahrene Mediziner erhebliche Zweifel haben, nicht vollkommen ignoriert. Vielmehr haben Regierung und Gesundheitsbehörden des Landes den Bürgern empfohlen, sich regelmäßig die Hände zu waschen, ihre sozialen Kontakte möglichst einzuschränken und dabei besondere Rücksicht auf ältere Menschen über 70 Jahren zu nehmen.

"Wir versuchen, die Ausbreitung so weit zu verlangsamen, dass wir mit den hereinkommenden Patienten umgehen können", sagte der staatliche Epidemiologe Anders Tegnell in einem Interview. Schwedens Strategie appelliere an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen. "Unser gesamtes System zur Kontrolle übertragbarer Krankheiten basiert auf freiwilligen Maßnahmen. Das Impfsystem ist völlig freiwillig und es gibt eine 98-prozentige Deckung", so Tegnell.

"Die Schließung der Grenzen ist in diesem Stadium der Pandemie, in dem fast alle Länder Fälle haben, für mich nicht wirklich sinnvoll", sagt der staatliche Epidemiologe. Denn diese Krankheit werde weder kurz- noch langfristig wieder verschwinden. "Wir befinden uns nicht in der Eindämmungsphase. Wir befinden uns in der Phase der Linderung."

Auch die Niederlande, die bis Samstag 639 Todesfälle gemeldet haben, gehen ähnlich vor wie Schweden. Bereits vor zwei Wochen sagte Premierminister Mark Rutte, dass sich das Land mit seinen 17 Millionen Einwohnern für eine "kontrollierte Verbreitung" unter Gruppen mit dem geringsten Risiko einer ernsthaften Erkrankung entschieden hat. Auch er argumentierte, es sei zu spät, um das Land noch "vollständig" schließen zu können.

In Schweden unterstützen 52 Prozent die bisherigen Maßnahmen gegen das Virus, wie aus einer Umfrage der Zeitung Svenska Dagbladet hervorgeht. Nur 14 Prozent sagen, dass der öffentlichen Gesundheit zu wenig Beachtung geschenkt wird. Die Schweden wollen Ostern in ihren Landhäusern und auf den Skipisten verbringen, was sie jedoch nach Ansicht der Gesundheitsbehörde überdenken sollen. Im Nachbarland Norwegen sind solche Reisen längst verboten worden.

Dänemarks Premierministerin Mette Fredriksen warnte letzte Woche vor dem Nachbarland: "Fahrt nicht nach Schweden in den Skiurlaub!" Diese Warnung hat durchaus einen realen Hintergrund. Denn auch zahlreiche Menschen in Deutschland und in Skandinavien, die positiv auf das Coronavirus getestet worden sind, waren Urlauber, die aus dem Skiurlaub in Italien oder in Österreich zurückkamen, wo sie sich wahrscheinlich angesteckt haben.

Am Freitag hat die schwedische Regierung die Grenze für Menschenansammlungen auf 50 Personen verschärft. Die meisten Schweden unterstützen den Kurs, die Wirtschaft im Wesentlichen weiter laufen zu lassen. Doch infolge der Berichte im Fernsehen und in den sozialen Medien wächst auch hier die Sorge. Denn die Furcht, an einem Virus zu sterben, ist viel greifbarer, als die Furcht vor einem frühen Tod infolge des Elends in einer wirtschaftlichen Depression und deren politischer und sozialer Folgen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Wie schützt man seine Krypto-Wallet? CLS Mining ermöglicht Nutzern eine stabile tägliche Rendite von 6.300 €.

Der Kryptowährungsmarkt erholte sich heute umfassend, die Stimmung verbesserte sich deutlich. Meme-Coins führten den Markt erneut an....

DWN
Politik
Politik EU plant Anpassungen an der DSGVO: Mehr Spielraum für KI zu Lasten des Datenschutzes?
19.11.2025

Die Europäische Union plant umfassende Änderungen ihrer Digital- und Datenschutzregeln, um Innovationen im Bereich künstlicher...

DWN
Politik
Politik Russisches Geld soll nach Kiew fließen - trotz Korruptionsskandals: Von der Leyen schreibt Merz & Co.
19.11.2025

Für die Nutzung der russischen Gelder werben insbesondere Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und von der Leyen. Ihr Plan sieht vor, der...

DWN
Finanzen
Finanzen Rheinmetall-Aktie rutscht ab: Friedenspläne der USA zum Ukraine-Krieg belasten den Rheinmetall-Aktienkurs
19.11.2025

Die Rheinmetall-Aktie gerät nach frischen US-Friedenssignalen erneut in turbulentes Fahrwasser. Analysten bleiben optimistisch, doch die...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen im Fokus: Anleger reagieren auf überhitzte KI-Aktien und reduzieren ihre Positionen
19.11.2025

Investoren an den US-Börsen beobachten derzeit starke Bewegungen im KI-Sektor, während große Akteure gleichzeitig ihr Portfolio neu...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Nach Exportbeschränkungen für Nexperia-Chips: Niederlande geben Kontrolle über Chip-Firma Nexperia ab
19.11.2025

Ende September hatte die niederländische Regierung die Kontrolle über Nexperia übernommen. China reagierte kurz darauf mit einem...

DWN
Finanzen
Finanzen Verbraucherumfrage: Debitkarten und Smartphones verdrängen Bargeld in Deutschland
19.11.2025

Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass in Deutschland das Bezahlen mit Debitkarte und Smartphone zunehmend das Bargeld verdrängt. Fast die...

DWN
Finanzen
Finanzen Rentenplus 2026? Wann Ruheständler steuerpflichtig werden
19.11.2025

Rentner aufgepasst: Kommendes Jahr könnten die Renten in Deutschland erneut steigen. Was einerseits erfreulich ist, kann andererseits dazu...

DWN
Finanzen
Finanzen Aktienstrategie: Wie Profis erkennen, wann es Zeit zum Ausstieg ist
19.11.2025

Der perfekte Verkaufszeitpunkt an der Börse ist selten. Doch wer Gewinne nicht rechtzeitig realisiert, riskiert, sie wieder zu verlieren....