Das Corona-Virus hat uns vor Augen geführt, wie groß der Schaden für eine Volkswirtschaft sein kann, wenn Epidemien oder Pandemien ausbrechen. Die Tatsache, dass in Zukunft auch biologische Angriffe mit Viren nicht mehr ausgeschlossen werden können, katapultiert den Bereich der Volksgesundheit in den Bereich der nationalen Sicherheit.
Die nationale Sicherheit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes kann nur garantiert werden, wenn das Gesundheitssystem funktionsfähig ist. Funktionsfähig kann es nur dann sein, wenn es nicht Marktmechanismen unterworfen ist, sondern unter staatlicher Kontrolle steht. Auffällig ist, dass Länder, in denen die Gesundheitssysteme zu einem hohen prozentualen Anteil privatisiert wurden, besonders große Probleme beim Umgang mit dem Corona-Virus haben.
Spanien, Griechenland und Italien
Die spanische Regierung hatte vor wenigen Wochen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus alle Krankenhäuser und Gesundheitsdienstleister des Landes verstaatlicht. Salvador Illa, Spaniens Gesundheitsminister, hatte Mitte März 2020 angekündigt, alle privaten Gesundheitsdienstleister Spaniens und ihre Einrichtungen unter die öffentliche Kontrolle zu bringen, da das Corona-Virus nicht anders einzudämmen sei.
Im Juli 2011 wurden im Einklang mit Sparmaßnahmen Änderungen am griechischen Gesundheitssystem vorgenommen. Arbeitslose Griechen hatten maximal ein Jahr lang Anspruch auf medizinische Versorgung aus der staatlichen Krankenversicherung. Nach dieser Zeit wurde die Gesundheitsversorgung nicht mehr vom Staat getragen. Die Griechen mussten ihre Behandlung weitgehend selbst bezahlen, sofern dies möglich war. Folglich entstanden eine Reihe von Kliniken, die sich durch Spenden finanzieren.
Eine dieser Kliniken ist die Social Solidarity Clinic in Thessaloniki. Diese Kliniken, von denen es in Griechenland 40 gibt, versorgen die Menschen kostenlos, aber ihre Kapazitäten sind begrenzt, berichtet Greece Solidarity. Zudem sind sie illegal, werden aber von der Regierung geduldet. Sehr interessant ist, dass eine große Anzahl dieser Kliniken von links-sozialistischen Bewegungen und Spendern ins Leben gerufen wurde. Wo der griechische Staat versagt, organisieren sich die Griechen selbst - zumindest soweit es möglich ist.
Besonders schwer wurden die Italiener durch die Privatisierung ihres Gesundheitssystems getroffen. In den am stärksten betroffenen Regionen steht das staatliche Gesundheitssystem kurz vor dem Zusammenbruch. Das ist das Ergebnis jahrelanger Fragmentierung und jahrzehntelanger Finanzkürzungen, Privatisierung und Entzug von humanen und technischen Ressourcen, schreiben Benedetta Armocida, Beatrice Formenti, Silvia Ussai, Francesca Palestra und Eduardo Missioni in einem Artikel des Magazin The Lancet - Public Health.
Das staatliche Gesundheitssystem in Italien ist dezentral organisiert. Die lokalen Behörden sind für die Organisation und Erbringung von Gesundheitsdiensten verantwortlich, so dass die italienische Regierung eine schwache strategische Führung hat. Im Zeitraum 2010 bis 2019 musste das staatliche Gesundheitsdienst finanzielle Kürzungen von mehr als 37 Milliarden Euro hinnehmen. Es wurde weitgehend privatisiert. Der Anteil der öffentlichen Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt betrug für das vergangene Jahr 6,6 Prozent und wird voraussichtlich bis 2022 auf 6,4 Prozent sinken. Wie katastrophal diese Gesundheitspolitik ist, musste die Lombardei erfahren. In dieser wirtschaftsstarken Region gibt es lediglich 724 Intensivpflegebetten.
Die Autoren führen aus: “Erstens scheint die Dezentralisierung und Fragmentierung der Gesundheitsdienste in Italien die rechtzeitigen Interventionen und die Wirksamkeit eingeschränkt zu haben, und es sollte eine stärkere nationale Koordinierung vorhanden sein. Zweitens müssen die Kapazitäten und die Finanzierung der Gesundheitssysteme flexibler sein, um außergewöhnlichen Notfällen Rechnung zu tragen. Drittens sollten als Reaktion auf Notfälle solide Partnerschaften zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor institutionalisiert werden. Schließlich muss die Einstellung von Humanressourcen mit einer langfristigen Vision geplant und finanziert werden.”
Besonders schlimme Zustände in den USA - zumindest noch
Das staatliche Gesundheitssystem in den USA ist unter allen Gesundheitssystemen im Westen besonders marode. Während 27 Millionen Amerikaner überhaupt keine Krankenversicherung haben, müssen vier von zehn berufstätigen Amerikaner ihre Gesundheitsversorgung aus der eigenen Tasche finanzieren, bevor sie von jenen Prämien profitieren, die jede Woche von ihren Gehaltsschecks abgezogen werden. Wie die New York Times berichtete, stehen ein Vater und eine junge Tochter, die nach einer Coronavirus-Untersuchung unter Quarantäne gestellt wurden, bereits vor einem Haufen Arztrechnungen in Höhe von 3.918 US-Dollar.
Eine Studie der Harvard Medical School ergab, dass jedes Jahr 45.000 Menschen in den USA an mangelnder Krankenversicherung sterben. Im Falle einer aggressiven Infektionskrankheit wie dem Corona-Virus, bei der sich ein Mangel an Corona-Tests und USA bleiben weit hinter Nationen wie Südkorea zurück, wenn es darum geht, Zugang zu Corona-Tests zu erhalten.
Einzigartig unter den Nationen, verschwenden die USA jedes Jahr atemberaubende 500 Milliarden US-Dollar an Gesundheitsausgaben, die nicht für die Pflege ausgegeben werden, sondern für die Aktionärs-Renditen privater Versicherungsunternehmen, die Vergütung von Managern von bis zu 83 Millionen US-Dollar und für eine unfähige Gesundheitsbürokratie, berichtet das Center for American Progress (CAP).
Zudem ist es bisher noch keiner US-Regierung gelungen, die Preise für Medizinprodukte zu senken. Stattdessen sind Medikamente in den USA im Durchschnitt teurer als in anderen Ländern, worüber sich vor allem Pharmaunternehmen freuen. Das geht aus einem Bericht des United States Senate Committee on Homeland Security and Governmental Affairs (HSGAC) hervor.
Die türkische Regierung hat zu Beginn des Corona-Ausbruchs in der Türkei eine ungewöhnliche Maßnahme getroffen, die sich jedoch zum Vorteil der Corona-Patienten auswirken könnte. Alle Privatkrankenhäuser wurden verpflichtet, Corona-Patienten aufzunehmen. Für die Kosten soll der Staat aufkommen. Dadurch wurde die Anzahl der Intensivbetten pro 100.000 Einwohner erhöht. In der Türkei liegt diese Anzahl bei 40. In den USA fallen 34,7 Intensivbetten und in Deutschland mittlerweile 33,9 Intensivbetten auf 100.000 Personen. In China liegt diese Anzahl bei 3,6, in Großbritannien bei 6,6, in Italien bei 12,5 und in Spanien bei 9,7, so die Zeitung Aydınlık.
Nach der Finanzkrise 2008 sind zahlreiche Staaten dazu übergegangen, finanzielle Einschnitte bei ihren Gesundheitsausgaben vorzunehmen. Die europäischen Gesundheitssysteme werden entweder durch allgemeine Steuereinnahmen oder durch Lohnbeiträge finanziert. In jedem Fall schwanken die Einnahmen mit den Konjunkturzyklen. Kritik kam vor allem aus Schweden. “Es ist falsch, eine Debatte aus der Perspektive zu führen, dass Wirtschaftskrise und Schwierigkeiten die Finanzierung der Gesundheitsversorgung erschweren. Sie sollten Gesundheitsdienstleistungen wirklich als Investition in Humankapital betrachten”, zitiert Politico den ehemaligen schwedischen Gesundheitsminister Gabriel Wiström.
Patienten, die an mehreren chronischen Krankheiten leiden, “brauchen eine lebenslange Bindung zum Gesundheitssystem und haben Probleme, die viel kostenintensiver sind als bei anderen Patientengruppen”, sagte der schwedische Gesundheitsminister Gabriel Wikström.
Es kommen somit verschiedene Aspekte zusammen, die eine staatliche Finanzierung und Kontrolle der europäischen Gesundheitssysteme unerlässlich machen. Die staatliche Kontrolle über das Gesundheitssystem senkt nicht nur die langfristigen Gesundheitskosten, sondern wappnet die Gesellschaften für den Fall von weiteren zukünftigen Pandemien. Hinzu kommt, dass die Abwanderung von deutschen Ärzten ins Ausland verhindert werden muss. Der Staat treibt jährlich genug Steuergelder ein, um Ärzte und Pflegepersonal fair und gut zu bezahlen. Doch bei der Umsetzung mangelt es am politischen Willen. Stattdessen muss mittlerweile von Patienten verlangt werden, dass sie über ausreichende Englischkenntnisse verfügen, um mit den behandelnden Ärzten kommunizieren zu können.
Cüneyt Yilmaz, Redakteur und geopolitischer Analyst, ist Absolvent der Universität Bayreuth/Bayern. Er war im US-Kongress, beim Simon Wiesenthal Center und bei verschiedenen US-amerikanischen Institutionen und Organisationen tätig.