Politik

Libyen: Söldner-General Haftar erleidet schweren Rückschlag

Lesezeit: 7 min
15.04.2020 10:00
Der libysche Söldner-General Chalifa Haftar und seine Kämpfer haben im Libyen-Konflikt einen schweren Rückschlag erlitten. Aus sieben Orten wurden sie durch die Regierungstruppen vertrieben. Während Haftar von Russland unterstützt wird, ist die Türkei der prominenteste Unterstützer der Regierungstruppen.
Libyen: Söldner-General Haftar erleidet schweren Rückschlag
Die libyschen Regierungstruppen (blau) rücken gegen die Söldner von Haftar (rot) vor. (Grafik: Libya Live Map/DWN)

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Libyens international anerkannte Regierung hat im Konflikt mit dem Söldner-General Chalifa Haftar einen wichtigen strategischen Erfolg erzielt. Truppen der Regierung hätten westlich der Hauptstadt Tripolis die beiden Küstenorte Sabrata und Surman unter Kontrolle gebracht, teilte deren Sprecher Mohammed Kanunu am Montag mit.

Der Libyan Express berichtet: “Sorman, Sabratha, Al-Ajilat, Al-Jamail, Al-Essa, Regdaline und Zelton wurden von den Regierungstruppen zurückerobert, die Munition, Waffen, Raketen, gepanzerte Fahrzeuge und Panzer sowie mehrere andere von Haftars hinterlassene militärische Ausrüstung beschlagnahmt haben.”

Die verbliebenen “terroristischen Milizen” würden von dort verjagt. Die Regierungstruppen werden von der Türkei unterstützt. Al-Monitor führt aus: “Türkische Militärkommandanten und Geheimdienstoffiziere scheinen derzeit im Operationszentrum der Mitiga-Militärakademie in der Nähe von Tripolis ein entscheidendes Mitspracherecht zu haben. Erdoğan selbst hatte zu Beginn der Intervention betont, dass sich die Rolle des türkischen Militärs auf Befehle und die Koordination konzentrieren würde.”

Der jüngste Vorstoß der in Tripolis und Misrata zielt darauf ab, den Luftwaffenstützpunkt al-Wattia zu erobern, der seit August 2014 von Haftars Söldnern gehalten wird. Al-Wattia liegt etwa 160 Kilometer südwestlich von Tripolis. Entlang der Küste belagerte die libysche Nationalarmee Zuwara sowohl aus dem Süden als auch aus dem Westen. Sollte es Haftars Söldnern gelingen, Zuwara, etwa 100 Kilometer westlich von Tripolis, einzunehmen, könnten sie von der Küste aus Druck auf die belagerte Hauptstadt ausüben. Wenn Zuwara fällt, würde die nahe gelegene Stadt Az-Zawiyah möglicherweise auch nicht lange durchhalten.

“Wir planen, alle Gebiete, die unter der Regierung des Nationalen Abkommens standen, zurückzuerobern. Es kann keinen vollständigen militärischen Sieg in Libyen geben, aber es gibt keine politische Lösung mit Haftar. Wir fordern alle Länder, die diese gescheiterte diktatorische Politik unterstützen, auf, dies zu überdenken”, zitiert Bloomberg Fathi Bashagha, Sicherheitschef der Regierung in Tripolis. Bashagha forderte ausländische Staaten auf, ihre Unterstützung für den Haftar zu überdenken, der im April 2019 eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt startete und einen regionalen Stellvertreterkrieg auslöste.

Die Region ist unter anderem strategisch wichtig, weil weiter westlich der große Öl- und Gaskomplex Mellitah liegt. Von dort wird auch Gas über eine Pipeline nach Italien exportiert. Der Fachmann der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik für Libyen, Wolfram Lacher, sprach auf Twitter von einem “großen Verlust” für Haftar.

Der einflussreiche General hatte seinen Truppen im vergangenen Jahr eine Offensive auf Tripolis befohlen, wo die internationale anerkannte Regierung von Fajis al-Sarradsch ihren sitzt. Haftars Anhänger rückten danach bis vor die Tore der Hauptstadt vor.

Russland hat dem Middle East Monitor zufolge damit begonnen, Dutzende junger Menschen in Syrien zu rekrutieren, um sie in Libyen auf Seiten von Haftar gegen die international anerkannte Regierung kämpfen zu lassen. Es soll sich um junge Männer handeln, die zuvor gegen die Regierung in Damaskus gekämpft hatten. Eine anonyme Quelle aus Quneitra bestätigte gegenüber Arabi21, dass die meisten ehemaligen “Oppositionskämpfer” aus Quneitra im Südwesten Syriens stammen. Moskau bietet den Männern im Gegenzug Geld und eine Sicherung der Zukunft ihrer Familien in Syrien an.

In Libyen tobt seit dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 ein Bürgerkrieg. Alle internationalen diplomatischen Bemühungen, den Konflikt in Libyen zu beenden, scheiterten bislang. Eine von Deutschland im Januar organisierte internationale Libyen-Konferenz in Berlin brachte keine entscheidenden Fortschritte. Die UN beklagten, dass mehrere Staaten gegen das Waffenembargo verstoßen. UN-Generalsekretär António Guterres nannte ausdrücklich die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Ägypten, Russland und die Türkei und sprach von einem Skandal.

Einer Analyse des privaten US-Informationsdiensts Stratfor zufolge geht es beim Stellvertreterkrieg in Libyen um die Kontrolle der Ölfelder und Pipelinerouten. Aktuell rivalisieren folgende Energiekonzerne in Libyen: ENI (Italien), Total SA (Frankreich), Repsol YPF (Spanien), Waha Oil Co. (Ein US-Joint Venture), BP (Großbritannien), ExxonMobil (USA), Statoil (Norwegen), Royal Dutch/Shell (Niederlande/Großbritannien), Gazprom (Russland), Rosneft (Russland) und RWE (Deutschland).

Russland unterstützt General Haftar und seine LNA. Das Magazin Foreign Policy führt aus: “Nach der russischen Militärintervention in Syrien erscheint Moskaus Rolle im libyschen Bürgerkrieg auf den ersten Blick wie ein Déjà-vu. Der Kreml scheint erneut daran zu arbeiten, die Macht eines pro-russischen regionalen starken Mannes zu konsolidieren und einen ,Halbmond russischen Einflusses’ im gesamten Nahen Osten zu etablieren. Und angesichts der Ähnlichkeiten zwischen Haftar und dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ist ein gewisses Maß an Angst verständlich. Wie Assad, der seit langem an ausländische Regierungen appelliert, weil er syrische Rebellen als Terroristen bezeichnet, stellt sich Haftar oft als Bollwerk gegen gewalttätigen Extremismus in Libyen dar, wo der Islamische Staat aktiv bleibt und Islamisten mächtige Milizen gebildet und in die Mainstream-Politik eingedrungen sind. Natürlich hat Russland in Haftar investiert. Er wurde in Moskau wie ein bereits im Amt befindlicher ausländischer Führer empfangen und führte Gespräche mit hochrangigen Ministern und Sicherheitsvertretern, darunter Außenminister Sergej Lawrow, Verteidigungsminister Sergej Schoigu und FSB-Chef Nikolai Patruschew. Haftars Image als ,führende politische und militärische Figur’, wie der General kürzlich vom stellvertretenden Außenminister Gennadij Gatilow beschrieben wurde, wird durch Aufnahmen von Haftar an Bord des russischen Flugzeugträgers Admiral Kusnezow (...) noch bereichert.”

Moskau habe Haftar und die LNA nicht nur mit umgerechnet drei Milliarden US-Dollar unterstützt, sondern habe auch russische Techniker nach Libyen entsandt, damit diese die Fähigkeiten der LNA, die fast ausschließlich auf sowjetische Waffen angewiesen ist, erneuert. Im Jahr 2017 sagte Haftar der Nachrichtenagentur Tass, dass er jede nur erdenkliche Rolle Russlands in Libyen “begrüße”.

Doch im Kern geht es auch um die Öl- und Gasressourcen im östlichen Mittelmeer. Am 27. November 2019 unterzeichnete die Türkei mit der libyschen Regierung ein Memorandum of Understanding (MoU), das einseitig Seezonen im östlichen Mittelmeer abgrenzt und die Ansprüche der Türkei und der türkischen Zyprioten im Meer bekräftigt. “Andere internationale Akteure können in den im [türkisch-libyschen] Memorandum gekennzeichneten Gebieten keine Explorationsaktivitäten durchführen”, zitiert die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Erdoğan. Die Türkei erhebt Anspruch auf Gebiete in Nähe der griechischen Insel Kreta und an der Inselgruppe der Dodekanes. Sie vertritt die Auffassung, dass die Gebiete auf ihrem Festlandsockel liegen und Griechenland keine Ansprüche besitzt, weil die Inseln keinen sogenannten Festlandsockel hätten. Griechenland sieht das jedoch anders und verweist auf das UN-Seerechtsübereinkommen. Die Türkei ist diesem allerdings nie beigetreten.

Frankreich, Griechenland, Israel, Zypern, Italien und Ägypten haben faktisch eine inoffizielle Allianz geschmiedet, um die Türkei im östlichen Mittelmeer von ihrer Expansion abzuhalten. Denn das von ihnen betriebene Energie-Projekt der EastMed-Pipeline wird durch die Ansprüche der Türken im östlichen Mittelmeer gefährdet. Die Baukosten dieses Projekts belaufen sich auf etwa sieben Milliarden US-Dollar und die Frage der Finanzierung wurde noch nicht vollständig geklärt. Nikosia drängt auch darauf, die Pipeline über das Gasfeld "Aphrodite" mit einer LNG-Aufbereitungsanlage in Ägypten zu verbinden, die ebenfalls etwa eine Milliarde Dollar kosten soll. “Das neue Abkommen der Türkei mit Tripolis könnte andere Mittelmeermächte dazu zwingen, sich an Ankara zu wenden, um das EastMed-Projekt umzusetzen”, so TRT World.

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten hatten das Abkommen am Freitag verurteilt und auf dem EU-Gipfel in Brüssel erklärt, dass es die Hoheitsrechte von Drittstaaten verletze.

Es gibt also zwei Aspekte im Zusammenhang mit dem Abkommen zwischen der Türkei und Libyen. Zum einen geht es um den Bau von Pipelines im östlichen Mittelmeer, wovon mehrere Anrainerstaaten betroffen sind. Und zum anderen geht es um Erdgasbohrrechte, die die französischen und italienischen Energiekonzerne in der Ausschließlichen Wirtschaftszone Zyperns umsetzen wollen, ohne die Türkei zu beteiligen.

Das Folgeprojekt von EastMed, das Gas aus Griechenland weiter nach Europa bringen soll, heißt Poseidon und wird von der griechischen Küste nach Italien führen. Diese Pipeline wurde kürzlich auf einen Transport von 20 Milliarden Kubikmeter erweitert, zehn mehr als die EastMed-Pipeline. Nach Angaben des Projektteams wurde das Upgrade so gestaltet, dass “mehrere Gasquellen von der türkisch-griechischen Grenze und aus dem östlichen Mittelmeergebiet” zugelassen werden.

Der türkischen Zeitung Stargazete zufolge hängt der Disput im östlichen Mittelmeer auch direkt mit dem Syrien-Konflikt zusammen. Es gehe nicht nur um die Ausbeutung der Ressourcen im östlichen Mittelmeer, sondern um die Kontrolle der Transportwege von Öl und Gas, die von Syrien aus ins östliche Mittelmeer, und von da aus nach Europa führen sollen. Die Konflikte in Syrien und im östlichen Mittelmeer würden im Zusammenhang mit der Energieversorgung Europas stehen. Doch entscheidend seien nicht die einzelnen Staaten der Region, sondern die wirklichen Mächte auf dem weltweiten Öl- und Gasmarkt.

Nach einem Bericht der türkischen Zeitung Birgün gibt es direkt vor den südlichen Gewässern von Zypern zwölf Gas-Blöcke, die ausgebeutet werden können. Die Gas-Blöcke 2, 3, 8, 9, 13 und 12 seien komplett umstritten. Die Gas-Blöcke 1, 7 und 11 seien teilweise umstritten. Obwohl der Gas-Block 12 umstritten ist, betreibt dort der US-Energiekonzern Noble Energy bereits Bohrarbeiten. Noble Energy bohrt auch gemeinsam mit der israelischen Energie-Firma Delek Energy am Gas-Feld Leviathan nach Gas. Weitere potenzielle Gas-Felder befinden sich direkt vor der türkischen Küste, auf die die Türkei ein Anrecht hat.

Birgün argumentiert, dass der aktuelle Streit zwischen der Türkei auf der einen Seite und Zypern und Griechenland auf der anderen Seite eine internationale Dimension habe. Der eigentliche Kampf tobe zwischen internationalen Energie-Konzernen: “Die Energiekartelle aus Italien, Frankreich und Russland haben ein großes Interesse daran, die Gas-Ressourcen im östlichen Mittelmeer auszubeuten. Der internationale Verteilungskampf lässt sich daran sehen, dass Eni, Total, Novatek und Noble Energy jeweils verschiedene Verträge mit Zypern, dem Libanon, Israel und Ägypten geschlossen haben. Neben der EU seien auch die USA und Russland an den Ressourcen im östlichen Mittelmeer interessiert. Es gibt zwar viele Diskussionen darüber, wie die Ressourcen ausgebeutet und exportiert werden sollen. Doch die verschiedenen Seiten sind bisher noch zu keiner Einigung gekommen. Die EU hat bereits begonnen, einen Energiekorridor vom östlichen Mittelmeer nach Südosteuropa zu schaffen. Die EU hat mit der Aufnahme Süd-Zyperns in die EU einen erheblichen Einfluss im östlichen Mittelmeer gewonnen und ist zu einem Akteur geworden. Da die EU ihre Energieabhängigkeit von Russland reduzieren möchte, unterstützen sie die Regierung in Nikosia (...) Die Türkei beharrt darauf, dass die südzypriotische Regierung keine Bohrungen vornehmen könne, ohne das Einverständnis der Regierung der Türkischen Republik Nordzypern einzuholen”.

Der private US-Informationsdienst Stratfor führt in einer Analyse aus dem Jahr 2018 aus: “Die Gewässer im östlichen Mittelmeerraum haben sich infolge der Streitigkeiten zwischen den vielen in der Region aktiven Ländern aufgeheizt. Am 11. Februar gab Zypern bekannt, dass das türkische Militär Übungen durchführt, die ein Schiff der italienischen Öl- und Gasgesellschaft Eni blockieren. Zypern hatte das Unternehmen beauftragt, in jenen Gewässern zu bohren, die auch von der Türkei beansprucht wird. Am 12. Februar rammte dann ein türkisches Patrouillenboot ein griechisches Küstenwachschiff, das vor den Inseln Imia / Kardak ankerte, die sowohl von Griechenland als auch von der Türkei beansprucht werden. Als Reaktion auf beide Ereignisse hat die Europäische Union eine Erklärung abgegeben, in der die Türkei aufgefordert wird, ,jegliche Maßnahmen zu unterlassen, die den gutnachbarschaftlichen Beziehungen schaden könnten’. Dann gab es neue Fortschritte. Um der Bitte der EU nachzukommen, zogen sowohl Griechenland als auch die Türkei am 14. Februar ihre Schiffe aus der Region (...) zurück, um die Spannungen herunterzufahren. Aber der Streit zwischen Zypern und der Türkei über die Bohrblöcke bleibt weiter bestehen. Zypern erforscht mehrere Öl-Blöcke im östlichen Mittelmeerraum in einem Gebiet, das von der internationalen Gemeinschaft als Ausschließliche Wirtschaftszone Zyperns angesehen wird. Die Türkei hingegen sagt, dass die Blöcke Teil ihres Territoriums sind, weshalb sie die Militärübungen in der Region ankündigten (...) Sowohl die zyprische als auch die türkische Marine sind in den umstrittenen Gewässern präsent, während die Bohrschiffe immer noch nicht in der Lage sind, die Blöcke zu erreichen, die sie erkunden wollen. Diese Vorfälle sind Teil eines seit langem andauernden Kampfes im Mittelmeerraum, der durch den Erfolg Zyperns bei der Suche nach Öl und Erdgas in den umstrittenen Gewässern noch verschärft wurde. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sagte in der Woche vom 4. Februar, dass die Türkei bereit sei, ,alle notwendigen Maßnahmen’ zu ergreifen, um das türkische (und türkisch-zypriotische) Eigentum am Kontinentalschelf in der östlichen Ägäis zu schützen.”


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