Technologie

Mitarbeiter schreiben Brandbrief, Software ist Schrott: Volkswagen fährt mit Elektro-Hype frontal gegen die Wand

Bei Volkswagen brennt die Hütte. Die übertriebene Digitalisierung der Autos hat dazu geführt, dass der Golf 8 und der Vorzeige-Elektrowagen ID.3 nicht funktionieren. Jetzt schreibt die Gewerkschaft einen offenen Brandbrief. Schuld ist auch die EU, welche alle Neuwagen künftig zu fahrenden Überwachungscomputern ausbauen will.
28.05.2020 16:35
Aktualisiert: 28.05.2020 16:35
Lesezeit: 5 min

Bei Volkswagen kocht der Konflikt zwischen Arbeitnehmervertretern und der Konzernführung angesichts der jüngsten Misserfolge hoch. In einem offenen Brief an Aufsichtsrat und Vorstand nehmen IG-Metall-Vertreter der deutschen VW-Werke die technischen Probleme beim neuen Golf 8 und dem Elektroauto ID.3 zum Anlass, der Konzernspitze auch auf anderen Feldern Versagen in der Krisenbewältigung und der öffentlichen Darstellung des Wolfsburger Autobauers vorzuwerfen. "Dieses schlechte Bild in der Öffentlichkeit zerstört das über Jahrzehnte gewachsene Kundenvertrauen und gefährdet so unsere Arbeitsplätze", heißt es in dem am Donnerstag im Internet veröffentlichten Schreiben. Darin richtet die Gewerkschaft direkt auch an Konzernchef Herbert Diess die Frage, wer dafür verantwortlich sei, dass es bei Technik und Marketing hake. Aufsichtsrat und Unternehmen lehnten einen Kommentar ab.

"Wer übernimmt die Verantwortung für das Produktdesaster unserer aktuellen Modellpalette?", hieß es in dem Brief. "Und wie wollen Sie zukünftig vermeiden, dass hier im Konzern unnötig Geld verbrannt wird, weil hier keine eindeutigen Konzernstrategien erkennbar sind?" Die IG Metall führt eine ganze Reihe von Kritikpunkten an, darunter auch die aus ihrer Sicht misslungene Kommunikation zur Instagram-Werbung für den neuen Golf, bei dem sich VW mit Rassismusvorwürfen konfrontiert sieht. Dieses sei nur ein Beispiel für eine ganze Kette von Managementfehlern, die das Unternehmen viel Geld kosteten.

Für Diess kommt die Veröffentlichung zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Denn der Brief dürfte damit auch ein Thema im Aufsichtsrat sein, der am Donnerstagnachmittag in Wolfsburg zusammenkam. Dabei dürfte einem Insider zufolge auch ein Magazinbericht über den angeblichen Wunsch des Konzernchefs nach einer vorzeitigen Verlängerung seines bis 2023 laufenden Vertrags zur Sprache kommen. Das "Manager-Magazin" berichtete, Diess habe nach der Einstellung des Verfahrens wegen Marktmanipulation im Diesel-Skandal diese Gedanken IG-Metall-Chef Jörg Hofmann vorgetragen, der als Aufsichtsratsvize in diesem Fall dafür zuständig war. "Für Diess ist das keine gute Geschichte", sagte die Person aus dem Umfeld des Kontrollgremiums. "In dieser Situation eine Vertragsverlängerung zu verlangen, ist nicht klug."

Grund für den jetzt in die Öffentlichkeit dringenden Streit ist die übertriebene Fokussierung auf Elektroantrieb und Digitalisierung der Autos, welche VW jetzt auf die Füße fällt. Dass Elektroautos keineswegs wettbewerbsfähig sind und auch der Umwelt nicht nutzen, schreiben die Deutschen Wirtschaftsnachrichten seit Jahren. Schuld hat auch die EU-Kommission, welche es den europäischen Autobauern vorschreibt, künftig zunehmend digitalisierte Fahrzeuge mit allerlei "intelligenten" Systemen zu bauen, welche überdies massive Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre der Fahrer aufwerfen. Die zunehme Überwachung im Auto haben die DWN hier, hier und hier beleuchtet.

Die Nachrichtenagentur dpa analysierte die massiven technischen und Software-Probleme bei VW vor einigen Tagen folgendermaßen:

Wenn nichts anderes mehr geht, hilft manchmal nur noch der Griff zur Ratsche. Mit dem höchst analogen Drehwerkzeug soll so mancher VW-Mitarbeiter in Wolfsburg derzeit versuchen, den als digitales Meisterstück gepriesenen Golf 8 auf den letzten Metern flott zu bekommen. Ein Abklemmen der Batterie als Kaltstart, wie das Drücken der Reset-Taste am Computer - in der Hoffnung, dass die Software dann ohne Fehler frisch hochfährt. Die tieferen Ursachen im komplexen neuen IT-System zu finden, ist aber eine ganz andere Sache.

Einzelne sprechen hinter vorgehaltener Hand von einer zunehmend gefährlichen Lage. Was passiert, falls Volkswagen die Schwierigkeiten bei seinem Kernprodukt nicht abstellen kann? Die Führungsetage wolle zu viel Neues auf einmal - und reiche große Teile der Verantwortung einfach nach unten durch. Betriebsratschef Bernd Osterloh schäumte schon im März im Rückblick auf die ehrgeizigen Ziele: "Die Folgen dieser unrealistischen Planungen sind ein völlig überzogener Druck auf die Kolleginnen und Kollegen an den Montagelinien." 2019 wurden nicht mal zehn Prozent der zuerst angepeilten 100 000 Golf 8 gebaut.

Vorstandschef Herbert Diess müsse bei der Sitzung des Aufsichtsrats am Donnerstag nun dezidiert auf die anhaltenden Probleme eingehen, heißt es aus Kreisen der Kontrolleure. Dass die Software in vielen Exemplaren des Autos eine Art Sollbruchstelle ist, ist bereits länger deutlich. Öffentlich schwärmte Diess, der VW in die digitale Zukunft führen will, von einem der besten Anläufe, die es je gegeben habe. Manch ein Kollege an der Linie empfindet das als beinahe zynisch.

In der Firmenzeitung "Mitbestimmen" ging Osterloh das Top-Management frontal an: "Hier wollten überehrgeizige Vorstände zu schnell zu viel Technik in ein Fahrzeug stopfen." Die von der Führung nachjustierte "flache Anlaufkurve" ändere nichts daran, dass der Start der 8er Reihe für den größten Industriekonzern Europas missraten sei. Die Zahlen seien ein Trauerspiel. Und: "Wer so mit dem Golf spielt, spielt auch mit den Arbeitsplätzen der Beschäftigten."

Starker Tobak für die VW-Welt, in der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite in Kernfragen häufig an einem Strang ziehen - auch im Aufsichtsratspräsidium, dem Osterloh ebenso angehört wie Vertreter des Porsche/Piëch-Clans und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Beim Aushandeln des Sparprogramms "Zukunftspakt" hatte es zwar heftigen Zank mit Diess gegeben, den Osterloh auch schon mal scherzhaft "Onkel Herbert" nennt. Aber zuletzt war so etwas wie ein Stillhalteabkommen im Interesse der gemeinsamen Sache entstanden: des Wandels vom klassischen Hersteller zum E-Auto- und Digitalkonzern.

Die IT-Probleme reißen jedoch nicht ab, sondern sollen unverändert hoch sein. Gerade erst kamen Funktionsstörungen beim elektronischen Notrufassistenten des Golf hinzu. VW droht ein Rückruf, der Tochter Skoda ebenso, und auch Modelle bei Audi und Seat könnten betroffen sein. Ursache für mögliche Ausfälle des "eCall": eine fehlerhafte Datenübertragung am Steuergerät, für den Golf und Skoda Octavia gilt ein Lieferstopp. Dabei können die Hersteller weiter anschwellende Lager zurzeit überhaupt nicht gebrauchen. Die Absatzflaute ist wegen der eingebrochenen Nachfrage in der Corona-Krise schon groß genug.

Wie es in der Golf-Fertigung offenbar zugeht, zeigen auch zusätzliche Details, über die das Online-Wirtschaftsmagazin "Business Insider" unter Berufung auf Daten aus der VW-Qualitätskontrolle berichtete. Demzufolge sollen etwa an einem Beispieltag im März weniger als 40 Prozent der Golf-8-Exemplare einwandfrei das Band verlassen haben. Es falle "sehr viel Nacharbeit" an, ist aus dem Werk zu hören. Auch bei Zwischenabnahmen sei die Fehlerquote hoch, ähnlich beim Durchmessen der Softwarefunktionen am Schluss. Die Zahl der täglich insgesamt festgestellten Mängel liege weit jenseits der Toleranzschwelle.

Wäre das unter dem als "Mr. Qualität" geachteten wie gefürchteten, detailversessenen Ex-Chef Martin Winterkorn passiert? Unabhängig von dessen Rolle im Dieselskandal und anderen heiklen Themen glauben einige bei VW: nein. Es könnte also enger werden für Diess. Auch wenn sich Betriebsrat und IG Metall beeilten, zu versichern: An Gerüchten über einen angeblichen Umsturzplan gegen den im Sommer 2015 von BMW gekommenen Manager sei nichts dran. "Quatsch", meinten Osterloh und Gewerkschaftschef Jörg Hofmann, der auch im VW-Aufsichtsrat sitzt.

Die Probleme treffen dennoch einen neuralgischen Punkt - symbolisch ist kaum ein anderes Modell so wertvoll für den Konzern. "Der Golf wird zunehmend an Bedeutung verlieren, je mehr die Elektromobilität hochfährt", glaubt NordLB-Branchenexperte Frank Schwope. "Noch ist er aber das Aushängeschild von Volkswagen." Weitere Verzögerungen kämen daher "imagetechnisch einer Katastrophe" gleich. Wenn sich die Lage stabilisiere, könnte das auch in der Außenwirkung bald wieder besser aussehen. Wenn nicht, drohe ein "Abstrahlen auf andere Modelle".

Der aktuelle Chef müsse den Golf jetzt endlich wirklich zur Chefsache machen, heißt es auch aus der Belegschaft. Die Problemlösung dürfe dabei nicht immer nur an zwischengeschaltete Ebenen und die bereits zahlreichen Taskforces delegiert werden. Diess solle häufiger selbst das Heft in die Hand nehmen und neues Vertrauen aufbauen. VW erklärte dazu offiziell, es ließen sich immer Dinge verbessern - aber der Golf 8 sei in vielerlei Hinsicht eben auch ein komplett neues Projekt. Im Vergleich zu manchen anderen Modellanläufen sei man "sehr zufrieden".

Ob das am Ende auch für den ID.3 als zweites Großprojekt gilt, bleibt abzuwarten. Das E-Auto soll die neu konzipierte Reihe begründen, die VW ins Elektro-Zeitalter führt. Auch hier gibt es schon Verzögerungen und einen zunächst abgespeckten Funktionsumfang. Grund: die Software.

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