Der Zusammenbruch der globalen Lieferketten infolge der Corona-Krise hat auch den Goldmarkt erheblich durcheinander gebracht. Die sich daraus ergebenden Preisdifferenzen haben den Transport von Goldbarren nach New York äußerst lukrativ gemacht. Dadurch ist in den vergangenen zwei Monaten einer der größten Transfers von physischem Gold ausgelöst worden, der jemals stattgefunden hat.
"Die Lieferungen nach New York sind beispiellos", zitiert Bloomberg Allan Finn vom globalen Logistikunternehmen Malca-Amit. Seine Mitarbeiter in New York haben rund um die Uhr gearbeitet, um mit der Nachfrage Schritt halten zu können, während sie es zugleich mit Sperrungen, Flugunterbrechungen und Kontaktsperren zu tun hatten.
Zwar wird auf den Finanzmärkten täglich Gold im Wert von Zehnmilliarden Dollar gehandelt. Doch die Menge physischen Goldes, die zwischen den Tresoren von Handelsplätzen wie London, Zürich und New York transferiert wird, ist gewöhnlich viel kleiner gewesen. Doch das begann sich zu ändern, als die Corona-Krise die Lieferketten beeinträchtigte und den Händlern eine lukrative Arbitrage ermöglichte.
In den letzten Monaten ist daher massiv physisches Gold in die USA importiert worden. Seit Ende März wurden den Lagerbeständen der New Yorker Rohstoffterminbörse Comex etwa 550 Tonnen Gold im Wert von aktuell rund 28 Milliarden Euro hinzugefügt. Dies entspricht etwa der weltweiten Minenproduktion in diesem Zeitraum. Hunderte Tonnen kamen aus dem Ausland.
Als Ende März die Flugzeuge am Boden blieben und die Schweizer Raffinerien geschlossen wurden, waren die Händler besorgt, dass sie das Gold nicht rechtzeitig nach New York bringen könnten, um gegen Terminkontrakte zu liefern. Dies führte dazu, dass Terminkontrakte, die normalerweise nahe dem Londoner Spotpreis gehandelt werden, einen Aufschlag um bis zu 70 Dollar pro Unze erhielten.
Diese Preisdifferenz schuf eine teils erhebliche Arbitragegelegenheit für Händler. Denn sie konnten einen garantierten Profit machen, indem sie irgendwo auf der Welt Goldbarren zu Preisen kauften, die niedriger waren als an der Comex, und es dann nach New York verschifften, wo sie es über Spotpreis verkaufen konnten.
Das Ausmaß dieses Arbitragehandels zeigt sich in den Börsenberichten sowie in den Import- und Exportdaten einiger der führenden Logistikfirmen für Edelmetalle. Am letzten Donnerstag gaben Händler an, dass sie 2,8 Millionen Unzen Gold gegen den Comex-Kontrakt vom Juni liefern werden. Dies war die größte tägliche Lieferankündigung in den Börsendaten seit dem Jahr 1994.
Die Schweizer Goldexporte in die USA sind im April sprunghaft auf 111,7 Tonnen angestiegen. Dies ist der höchste jemals verzeichnete Wert. Bereits im März hatten die US-Goldimporte 3 Milliarden Dollar erreicht und somit den höchsten Stand seit mindestens einem Jahrzehnt. Selbst Raffinerien in Australien haben die Produktion von an der Comex üblichen Kilobarren aufgenommen, um sie nach New York zu verschiffen.
Auch Mark Woolley, Geschäftsführer des Logistikunternehmens Brink's, hat noch nie eine so starke Nachfrage nach Goldtransporten erlebt. Die Menge, die Brink's nach New York transferiert habe, "ist wahrscheinlich nicht weit entfernt von der Gesamtmenge des Metalls, die in diesem Zeitraum abgebaut wurde", sagte er letzte Woche bei einem Webinar, das von der London Bullion Market Association veranstaltet wurde.
Die Coronakrise hat in New York eine interessante Neuerung mit sich gebracht. Die CME Group, die Eigentümerin der Comex ist, hat auf die jüngsten Marktverwerfungen mit der Einführung eines neuen Terminkontrakts reagiert, der die Lieferung von 400-Unzen-Barren ermöglicht, wie sie in London gehandelt werden.
Der enorme Transfer von Gold war für die Logistikunternehmen durchaus eine Herausforderung. Denn nicht nur wurden die Passagierflüge, mit denen die Sendungen normalerweise transportiert werden, am Boden gehalten. Außerdem war New York, wo sich viele Comex-Lagerhäuser befinden, ein Hotspot für das Coronavirus.
Um die Transfers bewältigen zu können, hat der Edelmetallspediteur Loomis International U.K. zusätzliche Tresorkapazitäten eröffnet. Das Logistikunternehmen Malca-Amit hat zwischenzeitlich in Erwägung gezogen, statt New York Flughäfen in Boston und Philadelphia zu nutzen. Doch das ist laut seinem globalen Rohstoffchef Allan Finn bisher nicht nötig gewesen.
Zwar habe es wegen der starken Gold-Nachfrage durchaus Lieferverzögerungen gegeben. Doch ein Großteil der Aufpreise für Terminkontrakte gegenüber dem Sprotpreis im März sei übertrieben gewesen. "Meine persönliche Meinung ist, dass alle Einschätzungen, wonach es unmöglich gewesen sein soll, Gold zu bekommen, damals auf schlechten Informationen und eher auf Annahmen als auf Tatsachen beruhten", so Finn.
Die großen Goldlieferungen nach New York haben inzwischen dazu geführt, dass die Juni-Terminkontrakte an der Comex letzte Woche auf einen Preisabschlag gegenüber dem Spotpreis gefallen waren. Allerdings sind später datierte Kontrakte weiterhin mit einem Preisaufschlag gegenüber dem Spotpreis versehen.
Da das Interesse der Anleger an Silber und Platin wieder zugenommen hat, wurden Terminkontrakte zuletzt auch hier mit einem Aufschlag gegenüber den Spotpreisen gehandelt. "Die Jungs in New York haben großartige Arbeit geleistet", sagte Brian Hayward, Leiter von Loomis International U.K. "Wir sehen gerade eine Menge Silber, das in dieser Richtung unterwegs ist".