Deutschland

Corona: Die Mafia übernimmt Teile des deutschen Mittelstands

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Aktivitäten der Organisierten Kriminalität in Deutschland aus? Diese und weitere Fragen beantwortet Eike Bone-Winkel vom Bund Deutscher Kriminalbeamter im großen DWN-Interview.
19.06.2020 15:00
Lesezeit: 4 min
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Corona: Die Mafia übernimmt Teile des deutschen Mittelstands
Angeklagte bei einem Drogenprozess in Karlsruhe. (Foto: dpa)

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Haben sich im Zuge der Corona-Krise die Aktivitäten der OK in Deutschland geändert?

Eike Bone-Winkel: Zunächst ist dazu zu sagen, dass die Corona-Pandemie auch Folgen für die Organisierte Kriminalität hatte und hat. Man denke an die weggebrochenen Transportwege durch die Schließung von Grenzen sowie den stark eingeschränkten Flugverkehr. Außerdem sind sowohl Absatzmärkte im Bereich des Rauschgifthandels, als auch die Beschaffung von Rohstoffen zur Herstellung von Betäubungsmitteln von den staatlichen Maßnahmen betroffen. Allerdings gelingt es der OK viel besser als den staatlichen und legalen Institutionen, sich den neuen Bedingungen anzupassen. Sie erschließt sich schnell neue kriminelle Tätigkeitsfelder. So konnte im Zuge der Corona-Pandemie der Bedarf an Medikamenten durch die dafür zuständigen Stellen teilweise nicht gedeckt werden. Die Organisierte Kriminalität nutzte dies und brachte gefälschte und meist unwirksame Produkte auf den Markt. Im Bereich der Rauschgiftkriminalität sind nach einer Auswertung von Europol die Preise für Betäubungsmittel in ganz Europa zum Teil extrem stark angestiegen, was natürlich wieder Folgen für die Konsumenten hat.

Vor allem aber bleibt festzuhalten, dass die OK durch zahlreiche kriminelle Aktivitäten in sämtlichen Phänomen-Bereichen über massenhaft Geld verfügt, das gewaschen werden will, um es in den legalen Kreislauf zu bringen. Auch hier sind der OK Einnahmequellen wie Restaurants, Bars, Nachtclubs, etc. teilweise weggebrochen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Befürchten Sie, dass sich die OK verstärkt in kleine und mittlere Betriebe einkauft, die durch die Corona-Krise von der Insolvenz bedroht sind?

Eike Bone-Winkel: Das kann man durchaus bejahen. Denn die OK macht das Angebot, und die Wirtschaft hat die entsprechende Nachfrage nach Liquidität. Die Corona-Krise trifft einige Unternehmen äußerst hart, so dass auch in den kommenden Monaten mit einer zunehmenden Zahl von Insolvenzen zu rechnen sein wird. Der OK kommen Unternehmer, die über keine oder kaum finanzielle Möglichkeiten verfügen, da sie aktuell auch keine Kredite von den Banken bekommen, gerade recht. Hier werden von Seiten der OK Kredite angeboten, die entweder unübliche Zinsen beinhalten, oder es wird durchgesetzt, dass Teile des Unternehmens offiziell an Personen aus dem kriminellen Milieu in Form von Anteilen oder Funktionen übertragen werden. Für die OK eine ideale Situation.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Möglichkeiten haben Sie, derartige Aktivitäten zu erkennen und zu verhindern?

Eike Bone-Winkel: Das ist für die Polizei eine äußerst schwierige Aufgabe. Wir würden uns wünschen, dass wir mit Hilfe von Wissenschaftlern Untersuchungen und Kriterien an der Hand bekämen, mit denen wir gezielter hinschauen können. Allerdings ist es um die Geldwäsche-Prävention und die Erkennung von verdächtigen Fällen in Deutschland seit einigen Jahren schlecht bestellt, weil seit Mitte 2017 die hierfür zuständige „Financial Intelligence Unit“ (FIU) im Chaos versunken ist.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Inwiefern ist die FIU im Chaos versunken?

Eike Bone-Winkel: Die Bearbeitung der Geldwäsche-Verdachtsmeldungen hat vor drei Jahren die FIU des Zollkriminalamtes (die Zentrale des Zollfahndungsdienstes auf Bundesebene – Anm. d. Red.) von den Länderpolizeien aus politischen Gründen übernommen. Leider hat die Politik trotz unserer Warnungen erhebliche strukturelle Fehler bei der Konstruktion dieser Einheit gemacht. Vor allem ist die FIU personell viel zu schwach aufgestellt, und es fehlen zum Teil Ermittlungsbefugnisse, was die Arbeit zusätzlich erschwert. Im Moment liegen dort Tausende unbearbeitete Verfahren auf den Tischen. Durch die Corona-Krise sind weitere Tausende Verdachtsmeldungen hinzugekommen, die sich beispielsweise auf die gewährten staatlichen Soforthilfen beziehen. Auch hier war die OK nicht untätig und erzielte vermutlich einige Gewinne durch falsche Angaben.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie können Inhaber kleiner und mittlerer Betriebe im Vorfeld erkennen, dass potentielle neue Investoren und/oder Geschäftspartner Verbindungen zur OK haben?

Eike Bone-Winkel: Das ist eine schwierige Frage. Das Problem ist, dass das selbst Behörden, und da schließe ich die Sicherheitsbehörden durchaus mit ein, dies im Zweifel nicht erkennen können. Aber anzuraten ist, den gesunden Menschenverstand zu benutzen, auf zweifelhafte Angebote nicht einzugehen, „Überrumpelungstechniken" zu durchschauen und stattdessen die Fakten in Ruhe

zu prüfen. Auch ist genau zu prüfen, auf welchen Webseiten man Angeboten etwa zur Soforthilfe-Zahlungen nachgeht, da auch im Netz zahlreiche Fake-Webseiten erstellt wurden, die sich nur minimal von den offiziellen Webseiten der Behörden unterscheiden. Außerdem ist es wichtig, dass Unternehmer sich an das „Know-Your-Customer-Prinzip“ halten, also eine intensive Prüfung vornehmen, wer hinter einer Firma beziehungsweise einem Firmenkonstrukt steckt.

Im Zweifel droht dann die sehr schmerzhafte und auch mit persönlichen Folgen behaftete, aber immerhin geordnete Insolvenz, die immer noch besser ist, als sich mit der OK einzulassen. Denn wer diesem Milieu eine Rate des gewährten Kredites schuldet, dem drohen ganz andere Konsequenzen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was raten Sie den Inhabern kleiner und mittlerer Betriebe, die im Nachhinein erkennen, dass ihre neuen Investoren beziehungsweise Geschäftspartner Verbindungen zur OK haben?

Eike Bone-Winkel: Auf jeden Fall den Gang zur Polizei. Alle weiteren Maßnahmen müssen dann in Bewertung des Einzelfalles erfolgen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Gibt es kriminelle Vereinigungen, die besonders stark in deutsche Firmen investieren?

Eike Bone-Winkel: Wer in der Krise wie und in welcher Höhe „investiert“, wird man vermutlich erst zu einem späteren Zeitpunkt sagen können. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die üblichen „Player“ auch in der Corona-Krise ihren Aktivitäten nachgegangen sind. Von der italienischen Mafia wissen wir, dass Deutschland ein wichtiger Investitionsraum ist. Der leitende Anti-Mafia Staatsanwalt in Palermo, Roberto Scarpinato, prägte aus guten Gründen den Satz: „Wenn ich Mafioso wäre, würde ich mein Geld in Deutschland waschen.“

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Mit welchen Behörden im In- und Ausland arbeiten Sie zusammen, um die OK in Deutschland zu bekämpfen?

Eike Bone-Winkel: Zunächst ist festzustellen, dass Länder- oder Behördenzuständigkeiten für kriminelle Aktivitäten jeder Art grundsätzlich völlig irrelevant sind. Das bedeutet im Umkehrschluss für uns Sicherheitsbehörden, dass auch bei uns eine enge und unbürokratische Zusammenarbeit erforderlich ist, um mit dem Tempo der OK mithalten zu können. Hierzu ist der Ausbau sicherheitsbehördlicher Netzwerke erforderlich, damit wir entsprechende Erkenntnisse gewinnen und uns schnell austauschen können. Im Hinblick auf wirtschaftliche Aktivitäten der OK, beispielsweise im Bereich der Geldwäsche, haben wir in Deutschland große rechtliche und organisatorische Defizite, wie ich bereits am Beispiel der FIU verdeutlichen wollte. Hier würden wir uns wünschen, dass die Politik auf unsere langjährigen Forderungen endlich eingeht und die Geldwäschebekämpfung endlich ernst nimmt.

Über unsere nationalen Grenzen hinaus tauschen wir uns in entsprechenden Gremien regelmäßig aus. Die Mitglieder unseres europäischen Netzwerks befassen sich ja mit den gleichen oder ähnlichen Kriminalitäts-Phänomenen, so dass wir voneinander lernen können oder aber von frühzeitigen Aktivitäten krimineller Akteure Kenntnis erlangen. Hier würden wir uns natürlich mehr politische Aufmerksamkeit und entsprechende Maßnahmen wünschen, um gerade grenzüberschreitende Kriminalität besser erkennen und bearbeiten zu können. Fehlende Rechtsgrundlagen sind dabei oft hinderlich. Gerade im Bereich der OK, wozu auch Formen der Korruption, Geldwäsche sowie der Wirtschafts- und Umweltkriminalität zu zählen sind, ist dieser Umstand ja bekannt und wird bewusst ausgenutzt. Letztlich muss EUROPOL zu einem European Bureau of Investigations (EUBI) ausgebaut werden. Daher werden wir darauf achten, was die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr diesbezüglich voranbringt. EUROPOL steht auf der Tagesordnung.

Info zur Person: Eike Bone-Winkel verfügt über mehrjährige Ermittlungserfahrungen in den Bereichen Wirtschaftskriminalität und Cybercrime. Er ist Dozent für den Bereich Cybercrime/IT an der „Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege“ in Güstrow, Mitglied im Bundesvorstand des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und kommissarischer Vorsitzender im BDK-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern.

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