Finanzen

Yanis Varoufakis: Solidarität mit den Deutschen - macht endlich Schluss mit den Milliarden-Transfers nach Griechenland!

Lesezeit: 4 min
22.08.2020 13:00
Griechenlands ehemaliger Finanzminister Yanis Varoufakis fordert Solidarität mit den vielen Millionen Deutschen, die kein Vermögen haben, und dennoch für die Milliarden Euro aufkommen müssen, die in den Süden Europas transferiert werden.
Yanis Varoufakis: Solidarität mit den Deutschen - macht endlich Schluss mit den Milliarden-Transfers nach Griechenland!
Yanis Varoufakis. (Foto: dpa)

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Während der schlimmsten Auseinandersetzungen zwischen der griechischen und der deutschen Regierung mitten in der Eurokrise versuchte ein offizieller Vertreter Deutschlands, mir auszureden, auf einen Schuldenerlass für Griechenland zu beharren. Er tat das mit dem Argument, dass Deutschland zwar reich sei, eine Mehrheit der Bevölkerung jedoch arm. In diesem letzten Punkt hatte er recht.

Eine kürzlich durchgeführte Studie bestätigt, dass die Hälfte der deutschen Bevölkerung nur 1,5 Prozent der Vermögenswerte des Landes besitzt, während sich 20 Prozent des Vermögens im Eigentum der obersten 0,1 Prozent befinden. Und die Ungleichheit verschärft sich. Während der letzten zwei Jahrzehnte ist das real verfügbare Einkommen der ärmsten 50 Prozent gesunken, während die Einkünfte des obersten 1 Prozent gemeinsam mit Immobilienpreisen und Aktienkursen rasch angestiegen sind.

Die Stimmung in der deutschen Öffentlichkeit, insbesondere der Widerstand der Bevölkerung gegen die Idee einer Fiskalunion in der Eurozone, muss vor dem Hintergrund dieser starken und zunehmenden Ungleichheit verstanden werden.

Die deutschen Arbeiter, die zunehmend Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen, verweigern sich verständlicherweise der Idee, ständig riesige Geldsummen in Richtung der Bürger anderer Länder fließen zu lassen. Die Tatsache, dass Deutschland insgesamt reicher wird, ist für sie irrelevant. Aus Erfahrung wissen sie, dass alles nach Italien oder Griechenland fließende Geld wohl von ihnen kommen wird und nicht von den obersten 0,1 Prozent – ganz abgesehen davon, dass es wahrscheinlich in den Taschen widerlicher griechischer Oligarchen oder privater deutscher Unternehmen landen wird, die griechische Vermögenswerte für ein Butterbrot erworben haben.

Aus diesem Grund droht der kürzlich vereinbarte, als „Next-Generation-EU“ bekannte und mit 750 Milliarden Euro dotierte Pandemie-Wiederaufbau-Fonds der Europäischen Union die Trennlinien innerhalb Europas eher zu vertiefen, anstatt als Balsam der Einheit zu wirken, wie sich das zahlreiche Kommentatoren erträumen. Abgesehen davon, dass der Wiederaufbau-Fonds makroökonomisch kaum Wirkung entfalten wird, muss er aus der Perspektive eines typischen deutschen Arbeitnehmers aus den unteren 50 Prozent betrachtet werden.

Seine Regierung, so wird dem typischen deutschen Arbeitnehmer mitgeteilt, wird für 100 Milliarden Euro an neuen Schulden haften, mit denen die EU anderen europäischen Bürgern helfen will, sich von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu erholen. „Die Italiener werden 80 Milliarden Euro aus dem Europäischen Wiederaufbaufonds erhalten“, hört er. „Die Spanier bekommen 78 Milliarden Euro und sogar die Griechen werden 23 Milliarden kassieren.“

Und was bekommt er? Weniger als nichts. Da sich seine Regierung bereits im Modus der Haushaltskonsolidierung befindet und versucht, bis 2021 wieder einen kleinen staatlichen Haushaltsüberschuss zu erzielen, hat er nur stagnierende Löhne und noch mehr Sparmaßnahmen für örtliche Krankenhäuser, Schulen, Straßen und andere Infrastruktur-Einrichtungen zu erwarten.

Obwohl er zwar Mitleid mit den Italienern und Spaniern hat, die so viele Mitmenschen durch Covid-19 verloren haben, wird er einen weiteren Versuch der Vergemeinschaftung von Schulden im Namen der Süd- oder Osteuropäer nie akzeptieren. Die Solidarität der deutschen Arbeitnehmer, denen gegenüber sich niemand solidarisch zeigt, hat ihre Grenzen – und das ist verständlich.

Doch kaum hatte man „Next-Generation-EU“ verabschiedet, wurde das Programm auch schon als Europas erster Schritt in Richtung Fiskalunion gepriesen. Die eifrigen Verfechter dieses Gedankens versäumten allerdings, den Puls der Mehrheit der deutschen Bevölkerung zu messen. Wenn überhaupt, wird sich die Art und Weise, wie sich die Vergemeinschaftung der Schulden in die Finanzierung von „Next -Generation-EU“ eingeschlichen hat, als tödlicher Schlag für eine funktionierende Fiskalunion erweisen.

Der Grund dafür ist nicht schwer zu verstehen. Die Vergemeinschaftung der Schulden ist zweifellos eine notwendige (wenn auch nicht ausreichende) Bedingung, um die Eurozone auch im Interesse der deutschen Arbeitnehmer in eine Region des gemeinsamen Wohlstands zu verwandeln. Aber das muss ordnungsgemäß durchgeführt und überzeugend kommuniziert werden. An dieser Stelle wollen wir uns einmal die Fiskalunion vorzustellen, die die Bundesrepublik Deutschland bildet, und sie anschließend jener Struktur gegenüberstellen, die der Europäische Rat gerade geschaffen hat.

Gerät der deutsche Kapitalismus aus irgendeinem Grund in die Krise, erhöht sich das Bundeshaushaltsdefizit automatisch, da die Leistungen überproportional in jene Bundesländer fließen, die vom größten Anstieg der Arbeitslosigkeit und dem stärksten Rückgang der Staatseinnahmen betroffen sind. Das Schöne an dieser funktionierenden Fiskalunion ist, dass kein deutscher Politiker entscheiden muss, welches deutsche Bundesland welche Transferleistungen erhält.

Man stelle sich den Horror vor, müsste der Deutsche Bundestag oder ein Forum aus Ministerpräsidenten der Bundesländer verhandeln, wie viel Geld jedes der reicheren Länder wie Bayern und Baden-Württemberg jedem der ärmeren Länder wie Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zu überweisen hätte. Und man stelle sich darüber hinaus vor, der bayerische Ministerpräsident könnte vor der Auszahlung der Finanzmittel die für Thüringen bestimmten Gelder bis zu drei Monate blockieren, um die öffentlichen Finanzen Thüringens zu prüfen. Die deutsche Einheit wäre dahin und das Land gelähmt.

Damit habe ich gerade die verhängnisvolle Entzweiung beschrieben, die in „Next -Generation-EU“ festgeschrieben wurde. Wie ich schon an anderer Stelle festhielt, präsentiert sich die Situation so, als wäre die ganze Sache von einem raffinierten Euroskeptiker konzipiert worden.

Wenn „Next-Generation-EU“ in den nächsten Jahren aktiviert ist, werden Deutschlands Eliten die öffentlichen Finanzen Italiens, Spaniens und Griechenlands unter die Lupe nehmen. Das wird dabei helfen, die Wut der deutschen Arbeitnehmer über die Sparmaßnahmen, unter denen sie (gemeinsam mit italienischen, griechischen und spanischen Arbeitnehmern) leiden, auf ihre Leidensgenossen in Italien, Griechenland und Spanien umzulenken – die die Animositäten natürlich erwidern werden. So etwas ist kein Rezept für die Einigung Europas, sondern ein Plan für die Spaltung von Menschen, die eigentlich die gleichen Interessen haben.

Wer Europa wirklich einigen will, hat die Pflicht, zunächst Solidarität mit jener Hälfte der deutschen Bevölkerung zu zeigen, die nur 1,5 Prozent des Vermögens besitzt. Bevor wir über Eurobonds reden, müssen wir uns zunächst für höhere deutsche Löhne, ein Verbot von Aktienrückkäufen sowie drastisch eingedämmte Bonuszahlungen in Unternehmen einsetzen.

Als nächstes müssen wir unseren deutschen Freunden zeigen, dass die aktuelle EU-Politik das Wohlstandsgefälle in Deutschland verstärkt, weil sich der Reichtum der 0,1 Prozent ebenso vergrößert wie die Probleme der Mehrheit. Schließlich müssen wir ihnen erklären, was eine echte Fiskalunion ausmacht: nämlich nicht den Wohlstandstransfer von Deutschland und den Niederlanden nach Griechenland und Italien, sondern von der Lombardei, von Nord-Athen und von Hamburg nach Kalabrien, nach Thrakien und nach Mecklenburg-Vorpommern.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Yanis Varoufakis, ehemaliger griechischer Finanzminister, ist Parteivorsitzender der "MeRA25" und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Athen.

www.project-syndicate.org

Zum Autor: Yanis Varoufakis war im Jahr 2015 kurzfristig griechischer Finanzminister. Er ist Vorsitzender der Partei MeRA25 und Professor für Volkswirtschaft an der Universität Athen.


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