In der Türkei tobt aktuell eine hitzige Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe. Wenige Tage zuvor hatten sich der Parlamentspräsident Mustafa Şentop und der Vorsitzende der Nationalen Aktionspartei (MHP), Devlet Bahçeli, offen für die Todesstrafe eingesetzt. „Ich glaube, dass die Todesstrafe für Verbrechen vorsätzlichen Totschlags, Sexualverbrechen gegen Minderjährige und Frauen in Betracht gezogen werden kann“, sagte Şentop.
„Die Wiedereingliederung der Todesstrafe in unsere Rechtsvorschriften kann die Begehung abscheulicher und primitiver Verbrechen verhindern“, so Bahçeli.
Am 1. Oktober 2020 äußerte sich dann auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan über den Vorschlag. „Wenn das Parlament ein derartiges Gesetz zur Todesstrafe erlässt, wird mir die Vorlage vorgesetzt werden, oder nicht? Dann würde ich es auch unterzeichnen“, sagte Erdoğan.
Naci Bostancı, Vorsitzender der Fraktion der „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“ (AKP) in der türkischen Nationalversammlung, zeigte sich zuvor zurückhaltend. „Um wieder über die Todesstrafe für verschiedene Verbrechen sprechen zu können, ist ein sehr hoher Konsens in Gesellschaft und Parlament erforderlich. Ohne eine solche Vereinbarung wäre es nicht richtig, Schritte zu unternehmen“, so Bostancı.
Er warnt vor voreiligen Schlüssen, denn die sozialen Medien würden eine große Rolle bei der gezielten Emotionalisierung der Menschen spielen. Im Internet habe sich mittlerweile eine Kultur des Lynchmordes durchgesetzt, was er mit Sorge verfolge. „Das Gesetz ist niemals Teil einer Lynchkultur. Das Gesetz bewertet die Beziehung zwischen Verbrechen und Bestrafung im Rahmen von Beweisen - ruhig und rational“, meint der Fraktionschef.
Die Opposition ist weitgehend gegen die Todesstrafe. Faik Öztrak, Vize-Chef der „Republikanischen Volkspartei“ (CHP), meint: „Wir, als CHP, sind gegen die Todesstrafe. Die „Demokratische Partei der Völker“ (HDP) ist der Auffassung, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe zwangsläufig die Beziehungen zur EU und zur „demokratischen Welt“ zerstören würde. Die HDP weist darauf hin, dass die Türkei ein Mitglied des Europarats ist. Die vorsitzender der „Guten Partei“ (IYI Parti), Meral Akşener, zählt zu den Unterstützern der Wiedereinführung der Todesstrafe.
In der türkischen Nationalversammlung sitzen 586 Abgeordnete. Um eine Wiedereinführung der Todesstrafe vornehmen zu können, müssten 400 Abgeordnete mit „Ja“ stimmen. Doch im Jahr 2017 hatte der türkische Präsident erwähnt, dass ihm eine Volksabstimmung über die Wiedereinführung der Todesstrafe am liebsten wäre. Um das Volk über die Todesstrafe abstimmen zu lassen, werden im Parlament 360 „Ja“-Stimmen benötigt. Die AKP hat 291 und die MHP 37 Sitze.