Die fallenden Ölpreise, die Pandemie, die sich immer weiter ausgebreitet hat, und jetzt auch noch ein Streit über neue Steuern und Abgaben, mit denen die russische Regierung insbesondere den Rohstoff-Giganten Gazprom zur Kassen bitten will: Das sind die wesentlichen Faktoren, die derzeit an den russischen Börsen die Szenerie beherrschen. Der russische Index RTS, der als wesentlicher Indikator für den Handelsplatz gilt, hat im vergangenen Jahr einen Rückgang um ein Drittel auf Niveaus um 1.200 Punkte hinnehmen müssen.
Dass sich die russische Börse so schlecht entwickelt hat, entspricht der Performance, die der Großteil der Welt-Handelsplätze in den vergangenen zwölf Monate abgegeben haben. Ein Grund dafür war die Pandemie, die sich in den Ländern in unterschiedlichem Tempo ausgebreitet hat:
So hat auch der EUROSTOXX zehn Prozent abgegeben. Die mächtigen Indizes aus London und Paris FTSE 100 und CAC40 brachen um 20 Prozent beziehungsweise um 15 Prozent ein. Allerdings hat es auch Märkte gegeben, die sich besser entwickelten: Beispielsweise der US-Dow Jones Industrial, der stagnierte, und der deutsche Dax, der sogar leicht um fast drei Prozent zulegte.
RTS bei Marktkapitalisierung noch weit hinter dem Westen
Zur Einordnung: Der RTS verfügt aktuell über eine Marktkapitalisierung von etwa 150 Milliarden Euro. Damit liegt das russische Aktienbarometer zwar noch weit hinter den etablierten Indizes aus dem Westen. So bringt Dow Jones Industrial zwischen sieben und acht Billionen Euro auf die Waage. Und auch der FTSE 100 wird mit 1,7 Billionen Euro gewichtet, während der Dax auf 1,2 Billionen Euro kommt. Doch sind hier wichtige Unternehmen gelistet, die eine weltweite Bedeutung haben wie Gazprom, Lukoil oder Rosneft.
Dabei ist der Gas-Gigant für die gesamte russische Börse von besonderer Wichtigkeit, weil der Konzern im RTS das größte Gewicht hat. Die Aktie krachte um rund 40 auf Werte um 3,70 Euro ein – entwickelte sich also noch schlechter als der Markt. Neben dem fallenden Ölpreis und die ständigen politischen Konflikte um den Bau der Gasleitung „Nordstream 2“ belasten eine neue Diskussion um zusätzliche Steuern und Abgaben den Gas-Koloss.
Und Gazprom eignet sich als Weltmarktführer seiner Branche grundsätzlich dafür besonders gut. Der neueste Vorschlag stammt vom Energieministerium und sieht vor, dass das Unternehmen seinen Aktionären weniger Dividende zahlt. Damit soll ein regionales Gas-Programm finanziert werden. Eine andere Option ist, die Steuern für Gazprom zu reduzieren, die es für die Förderung von Mineralien oder für Immobilien entrichten muss. Bisher hat allerdings das Finanzministerium, das dafür zuständig ist, noch nicht darauf reagiert.
„Die Dividendenpolitik ist Gazprom ist immer sehr wichtig für die Aktionäre“, zitiert das russische Fachportal „BCS-Express.ru“ die Analysten des einheimischen Investmenthauses BCS Global Markets. „Wir glauben zwar nicht, dass das Finanzministerium diesen Vorschlägen zustimmen wird, doch sollte der Markt diese Gefahr ins Kalkül zieht“, betonen die Fachleute.
Hintergrund: Die Ausschüttung der Dividende ist in den vergangenen Jahren durchwachsen verlaufen. So hat der Konzern für 2019 15,24 Rubel (nach aktuellem Kurs: 0,17 Euro) je Anteilsschein gezahlt. Im Vorjahr waren es noch 16,61 Rubel (0,18 Euro) – also rund acht Prozent mehr. 2017 gab es für die Investoren allerdings nur 8,40 Rubel oder 0,09 Euro.
Doch sind die Mittel, die Gazprom möglicherweise für das regionale Gasprogramm aufbringen muss, nicht die einzige Belastung, die unter Umständen auf den Konzern zukommt.
So sucht das russische Finanzministerium seit dem Sommer neue Einnahmen, um den Haushalt zu restrukturieren. Wie die Tageszeitung „Kommersant“ berichtet, muss sie in den kommenden drei Jahren zusätzliche 200 Milliarden Rubel (2,2 Milliarden Euro) eintreiben.
Davon wäre allerdings nicht nur Gazprom betroffen, sondern auch Lukoil und Rosneft. Die Aktien haben sich in den vergangenen zwölf Monaten auch entsprechend entwickelt. Sie brachen um 15 Prozent auf Werte um 4.600 Rubel (etwa 50 Euro) beziehungsweise zehn Prozent auf 380 Rubel (rund vier Euro) ein.
Wie der gesamte Markt performt, dürfte nicht zuletzt davon auch abhängen, wie das russische Finanzministerium die Lasten für die neuen Steuern und Abgaben auf die einzelnen Unternehmen verteilt.