Wirtschaft

„Die Container sind rappelvoll“: Der Seehandel steht am Rande des Kollaps

Der trans-pazifische Seehandel ist akut überhitzt. Die Liefer-Kapazitäten sind bis zum Anschlag ausgelastet. Droht vor Weihnachten ein Liefer-Chaos?
01.11.2020 13:00
Lesezeit: 5 min
 „Die Container sind rappelvoll“: Der Seehandel steht am Rande des Kollaps
Containerterminal im Hafen von Qingdao: Die chinesische Exportwirtschaft floriert. Und zwar so sehr, dass die Reedereien kaum noch hinterherkommen. (Foto: dpa)

„Die Schiffe sind vollständig mit Containern gefüllt und die Container sind rappelvoll. Schiffs-Container sind ausverkauft. Der gesamte Container-Lieferzyklus operiert gerade am Anschlag. Auch unsere Kapazitäten sind voll ausgelastet.“ Jeremy Nixon, Vorstandsvorsitzender von „Ocean Network Express“ (ONE/Singapur), einer der größten Containerlinien der Welt, zeigte sich bei einem virtuellen Treffen der Internationalen Schifffahrts-Kammer ziemlich besorgt über die zunehmend schwieriger werdende Kapazitäts-Situation im internationalen Seehandel, wobei der Auslöser der Problematik das rasant wachsende Volumen des trans-pazifischen (also primär amerikanisch-chinesischen) Seehandels ist.

Marktbeobachter hatten erwartet, dass das Frachtvolumen infolge der chinesischen Feriensaison im Oktober leicht zurückgehen würde. Das ist bisher nicht eingetreten.

China kommt nicht mehr nach mit Container-Produktion

Ein Indikator für überhitzte Containermärkte ist eine hohe Nachfrage nach den stählernen Boxen. Die Produktion wird von wenigen Firmen aus China dominiert, und das Fachportal „FreightWaves“ berichtete bereits im September, dass die chinesischen Container-Hersteller teilweise bis Februar ausgebucht waren.

Hohe Preise für unmittelbare Lieferungen (Spot Rates) sind ein weiterer Indikator dafür, dass der See-Handel überhitzen könnte. Denn bei einer hohen Kapazitäts-Auslastung steigen tendenziell die Transportpreise, also die Frachtraten, für Schiffs-Container:

Der „Freightos Baltic Daily Index“ (der weltweit führende Frachtraten-Index für Container) ist im August und September stark gestiegen und liegt etwa 50 Prozent höher als zu Jahresanfang. Im Oktober bleiben die durchschnittlichen Spot-Preise immerhin bisher relativ konstant.

Hauptfaktor: Importe aus den USA

Einen kleinen Beitrag zu den gestiegenen Preisen leisten der Handel von den Mittelmeer-Ländern nach Asien und der Handel von China nach Nordeuropa. Ganz besonders heiß gelaufen ist jedoch zuletzt der trans-pazifische Handel zwischen China und Amerika. Die durchschnittlichen Spotpreise im containerbasierten Seehandel vom Reich der Mitte in die USA haben sich innerhalb weniger Monate fast verdreifacht und bewegen sich bei Marken um die 4.000 Dollar pro 40-Fuß-Äquivalent (FEU). An einem einzigen Tag (1. Oktober) stiegen die Preise auf einer der Routen um rund 40 Prozent!

Der Handel von den USA nach China ist dagegen im selben Zeitraum etwas abgekühlt. Interessant ist in diesem Kontext, dass:

  • in den USA im August ein 14-Jahres-Rekord beim Handelsdefizit anfiel und die offizielle Inflationsrate im Hochsommer über ein Prozent erreichte.
  • die chinesische Konjunktur der Coronakrise trotzt und 2020 nach IWF-Prognosen sogar um circa zwei Prozent wachsen wird (wovon die meisten führenden Industrienationen nur träumen können). Zu verdanken ist das vor allem dem Exportsektor, der in den letzten vier Monaten kontinuierlich steigende Erträge generierte.

Die US-Importe sind also der zentrale Treiber für die derzeitige Lage, und der aktuelle Trend bei den Zolldaten deutet nicht darauf hin, dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern wird. Die Arbeitslosenzahlen in den USA steigen derweil wieder, aber noch macht sich das nicht in einer gesunkenen Nachfrage bemerkbar. Die Konsumausgaben stiegen im September um 1,9 Prozent, Expertenschätzungen hatten nur mit einem halb so hohen Zuwachs gerechnet. Die Güter-Nachfrage steht aktuell sechs Prozent höher als vor Beginn der Corona-Krise. „Die Erholung der Konsumenten-Nachfrage ist weiterhin in voller Blüte und der Container-Handel reflektiert das“, wird ein Analyst zitiert.

Die Überhitzung im trans-pazifischen Markt schlägt auf den gesamten Containerhandel durch, was sich an Rekordniveaus weiterer globaler Frachtraten-Indizes zeigt. In einem aktuellen Marktbericht des Verbands Deutscher Reeder (VDR) heißt es: „Der Drewy’s World Container Index und der Shanghai Containerised Freight Index zeigen sich auf historischen Höhen. Ein simples Erklärmuster für den Erfolg gibt es noch nicht, da die Frachtraten in 2008/09 genau anders reagierten. So könnte das bessere Datenmanagement (Digitalisierung), die stärkere Konzentration der Anbieter oder tatsächlich gelernte Lektionen als Erklärung dienen.“ US-Importe von Konsumgütern hat man indirekt als wichtigen Faktor identifiziert: „Belastbar ist bislang aber vor allem die Beobachtung, dass Haushaltsausgaben umgeschichtet wurden und davon Güter, die in Containern transportiert werden, eher profitiert haben.“

Nach dem Import müssen die Güter vom Hafen aus weitertransportiert werden und tatsächlich bekräftigen die Verkaufszahlen von Lastwagen-Anhängern in den USA die obige Einschätzung. 52.000 Einheiten wurden im September vorbestellt, was den dritthöchsten Wert aller Zeiten und den höchsten Wert seit knapp drei Jahren darstellte.

Die Lager sind leer und müssen jetzt wieder gefüllt werden

Die US-Investmentbank "Jefferies" kommentierte die Lage folgendermaßen: „Die Wirtschaftserholung in den USA korrespondierte in der Sommer- und Herbstzeit mit außergewöhnlich hohen Verkaufszahlen im Häuser- und Konsumgüter-Bereich. Weil das Angebot nicht mehr mit der Nachfrage mithalten kann, ist das Verhältnis von Inventar und Verkäufen [im Einzelhandel, Anm. d. Red.] auf historisch niedrige Werte gesunken.“ Experten machen dafür vor allem die Corona-bedingten Lieferprobleme verantwortlich. Aber die Produzenten waren wohl auch nicht optimal auf das Szenario vorbereitet.

Laut Jefferies-Chefökonomin Aneta Markowska könnte das nur der Auftakt gewesen sein: „Um das Verhältnis von Verkäufen und Lagerhaltung wieder zu normalisieren, bedarf es Produktion und Importe – und das nicht zu knapp. Wir sind am Anfang von etwas, was wahrscheinlich einer der größten, wenn nicht sogar der größte Lager-Wiederauffüllungs-Zyklus in der US-Geschichte sein wird.“ Der würde ihrer Einschätzung nach zwei bis drei Quartale an Zeit in Anspruch nehmen und die US-Importe noch weiter nach oben treiben. Die geringe Lagermenge bestehe hauptsächlich aus Konsumgütern, welche wiederum zum Großteil aus China importiert werden.

Ein Negativfaktor könnten aber die derzeit auf Eis gelegten Arbeitslosen-Hilfszahlungen von 600 Dollar pro Woche werden. Diese und andere fiskalischen Maßnahmen der US-Administration haben den Einkommensverlust durch Corona mehr als ausgeglichen. Das Geld fließt teilweise auch in Importe. Sollten die Zahlungen dauerhaft eingestellt werden, würde sich das negativ im trans-pazifischen Containerhandel bemerkbar machen.

Liefer-Chaos vor Weihnachten?

Es sieht so aus, als würden die globalen Lieferketten (vor allem im transpazifischen Handel) zur Weihnachts-Saison enorm unter Druck geraten. Der Schiffscontainer-Handel macht etwa 90 Prozent des globalen Handels aus.

Sollten Importe und Exporte tatsächlich ins Stocken geraten, dann kann das schnell in chaotische Zustände münden. Wenn die Wirtschaftserholung also weiter läuft wie bisher, dann könnten den Container-Reedereien die Aufträge um die Ohren fliegen. Kapazitätserhöhungen wären die Lösung, soweit es die weltweiten Corona-Maßnahmen und insbesondere das Container-Angebot aus dem Reich der Mitte eben zulassen.

Die derzeitige Situation stellt auch für Käufer und Verkäufer ein Risiko dar: „Es alles andere als unwahrscheinlich, dass die Hersteller vorsichtiger agieren und ihre Produktion von just-in-time zu just-in-case umstrukturieren werden“, so Markowska.

Was jetzt schon geschieht ist, dass sehr viel Fracht auf Termin gebucht wird. Der HARPEX-Index (Container-Frachtraten auf Basis aller Abschlüsse am weltweiten Termin-Chartermarkt) steigt unaufhaltsam, und das schon seit Mitte Juni.

Termin-Lieferungen schaffen Sicherheit, aber das Preisniveau ist momentan durch die hohe Nachfrage zunehmend unattraktiv. Die Frachtraten für die trans-pazifische Schiffsroute von China nach Amerika sind auf einem Rekordhoch. „Aktuell ist die schlechteste Zeit, um sich Lieferungen für die beiden nächsten Quartale zu sichern“, so der Xeneta-Chef Patrik Berglund. Auf seiner Plattform sind die längerfristigen Terminpreise zuletzt um bis zu 30 Prozent gestiegen und solange die Spot-Preise ebenfalls hoch sind, wird es seiner Einschätzung nach auch noch weiter nach oben gehen.

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