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ATTACKE AUF DEN STAAT, ERSTER TEIL Weimar lehrt uns: Wenn der Rechtsstaat schwach ist, stürzen Extremisten die Republik

Lesezeit: 7 min
26.12.2020 12:20
Die Erfahrungen aus der Weimarer Republik zeigen, dass sich Extremisten von einem schwachen und nachlässigen Rechtsstaat ermutigen lassen. Am Ende steht immer ein legaler oder illegaler Umsturz. Zwischen Weimar und den heutigen Zuständen gibt es einige Parallelen.
ATTACKE AUF DEN STAAT, ERSTER TEIL Weimar lehrt uns: Wenn der Rechtsstaat schwach ist, stürzen Extremisten die Republik
Bilder der verstorbenen Christdemokraten Walter Lübcke (l) und Thomas Schäfer stehen beim 115. Landesparteitag der CDU Hessen. (Foto: dpa)
Foto: Swen Pförtner

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Die Frage des Umgangs des Rechtsstaats mit Extremisten beschäftigt seit längerer Zeit die deutsche Öffentlichkeit. Während einige Kreise den Sicherheitsbehörden und der Judikative einen mangelhaften Kampf gegen den Extremismus vorwerfen, hüllen sich andere Kreise in die Opferrolle, um dem Rechtsstaat eine selektive Wahrnehmung im Kampf gegen den Extremismus vorzuwerfen. Tatsächlich gibt es Zirkel in Deutschland, die den deutschen Staat mit ihren weitgefächerten Netzwerken bedrohen. Deshalb werden die heutigen Zustände immer wieder mit den Zuständen in der Weimarer Republik verglichen.

Es lohnt sich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, um zu schauen, wie der deutsche Staat im Verlauf der Weimarer Republik im Kampf gegen den Extremismus vorgegangen ist.

Im Rahmen dieser Analyse werden Ereignisse aus der Weimarer Republik abschnittweise mit der Gegenwart verglichen.

Walter Rathenau und Walter Lübcke – Hat der Rechtsstaat zweimal versagt?

Vergleich A: Als am 24. Juni 1922 in Berlin der Reichsaußenminister Walter Rathenau von Mitgliedern der rechtsextremistischen Organisation „Consul“ mit fünf Schüssen getötet wurde, verfielen die Eliten der Weimarer Republik, die innerhalb des Staatswesens viele Gegner hatten, in Schockstarre.

Als Reaktion auf diesen politischen Mord wurde das Erste Republikschutzgesetz („Erstes Gesetz zum Schutze der Republik“) erlassen, das am 23. Juli 1922 in Kraft trat. Aus §1 Abs.1 des Gesetzes geht hervor: „Wer an einer Vereinigung oder Verabredung teilnimmt, zu deren Bestrebungen es gehört, Mitglieder der republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes durch den Tod zu beseitigen, wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder mit lebenslangem Zuchthaus bestraft.“

Deutschlandweit wurden 37 rechtsextreme und kommunistische Parteien verboten. Doch bei der Verurteilung von Einzelpersonen hatte es die Justiz vor allem auf linke Autoren und Politiker abgesehen, die als Verfassungsfeinde eingestuft wurden. Die extreme Rechte kam bei der Verurteilung von Einzeltätern sehr gut weg, was auch damit zu tun hatte, dass die Justiz und die Sicherheitsbehörden mit Personen besetzt gewesen sind, die unter einer weiten Auslegung des Ersten Republikschutzgesetzes selbst als Verfassungsfeinde eingestuft werden konnten. Der Rechtsstaat war in gewissem Maße ein „rechter Staat im Staate“, was vor allem mit der psychologischen Wirkung des erniedrigenden „Friedensvertrags von Versailles“ zu tun hatte. Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) führt aus: „In der Weimarer Republik gab es eine politische Justiz, die ,auf dem rechten Auge blind‘ war, um mit dem linken umso schärfer hinzusehen. Bezeichnend für die Nachsicht gegen rechts ist der Prozess gegen Adolf Hitler und weitere Angeklagte wegen des Putschversuchs am 8./9. November 1923 in München, als Hitler und General Erich Ludendorff versuchten, in Bayern die Macht an sich zu reißen und mit einem Marsch auf Berlin die Regierung Stresemann zu stürzen. Die Anklage lautete auf Hochverrat.“

Hitler kam mit einer fünfjährigen Festungshaft davon, wobei er im Jahr 1924 vorzeitig entlassen wurde. Dem Ersten Republikschutzgesetz zufolge hätte Hitler als Ausländer, denn zu diesem Zeitpunkt besaß er lediglich die österreichische Staatsbürgerschaft, abgeschoben werden müssen. Doch das geschah nicht. Das Gericht begründete dies mit folgenden Worten: „Auf einen Mann, der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler (...) kann nach Auffassung des Gerichts die Vorschrift (...) des Republikschutzgesetzes (...) keine Anwendung finden.“

Insgesamt war die Weimarer Republik eine Zeit, in der viele politische Morde und Attentate stattfanden. Der Unwille des Rechtsstaats, gegen militante Rechtsextreme vorzugehen, aber auch die ausländische Unterstützung des militanten Rechtsextremismus in Deutschland, führte schlussendlich dazu, dass die Weimarer Republik, die schlichtweg viel zu viele Gegner in ihren eigenen Reihen hatte, zu Grabe getragen wurde. Der Rechtsstaat der Weimarer Republik kann zweifellos als „Totgeburt“ bezeichnet werden. Denn die junge Republik hatte die gesamte Beamtenschaft des Kaiserreichs übernommen. Diese war weitgehend monarchistisch und rechtsnational eingestellt, was sich auch in der Praxis widerspiegelte. Der zweite Fehler lag offenbar darin, dass in der Weimarer Republik der gesamten Richterschaft eine Unabsetzbarkeit garantiert wurde. Im Zusammenspiel mit der Weigerung der Staatsanwaltschaften, Anklagen gegen reaktionäre Gruppen zu erheben, kam der Rechtsstaat vollständig zum Erliegen.

Walter Lübcke, ehemaliger Regierungspräsident im Regierungsbezirk Kassel, wurde am 1. Juni 2019 auf der Veranda seines Hauses durch Kopfschuss getötet. Urheber dieses politischen Mordes sollen Rechtsextremisten gewesen sein. Als Tatmotiv werden Lübckes Äußerungen angesichts der Flüchtlingskrise 2015 gehandelt. Lübcke hatte die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verteidigt, woraufhin er Morddrohungen erhalten haben soll. Als Reaktion auf diesen politischen Mord verabschiedete der Bundestag am 18. Juni 2020 das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“, das am 3. Juli 2020 vom Bundesrat gebilligt wurde. Die Gesetzgeber argumentierten, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Hetze im Internet und dem Mord an Lübcke bestehen würde.

Die EU-Kommission führt zum Inhalt des Gesetzes aus: „Neben Verschärfungen im nationalen Strafrecht werden die im deutschen NetzDG bestehenden Compliance-Pflichten für Anbieter sozialer Netzwerke zur effektiveren Strafverfolgung von Hasskriminalität erweitert. Die Anbieter sollen Inhalte, die ihnen im Rahmen einer Beschwerde von Nutzer als strafbar gemeldet wurden, sowie die IP-Adresse des Nutzers, für den der Inhalt hochgeladen wurde, an eine Zentralstelle beim Bundeskriminalamt weiterleiten. Dort soll dann die zuständige Staatsanwaltschaft ermittelt werden, um die effektive Strafverfolgung von Hass-Postings zu ermöglichen. Die Weiterleitungspflicht ist auf bestimmte demokratiefeindliche und unter Strafe stehende Delikte beschränkt. Die Pflicht ist bußgeldbewehrt. Als zuständige Verwaltungsbehörde nach § 36 OWiG bestimmt der Entwurf das Bundesamt für Justiz.“

Im Strafgesetzbuch werden die Tatbestände der „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ (§ 126 StGB), der „Belohnung und Billigung von Straftaten“ (§ 140 StGB) und der „Bedrohung“ (§ 241 StGB) erweitert. Öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften getätigte Beleidigungen (§ 185 StGB) unterliegen künftig einer höheren Strafandrohung. Ferner wird klargestellt, dass der besondere Schutz von im politischen Leben des Volkes stehenden Personen vor übler Nachrede und Verleumdung (§ 188 StGB) bis hin zur kommunalen Ebene reicht, so das Bundesjustizministerium. Mit diesem Gesetz soll der Rechtsstaat ein Instrument erhalten, um Hetze in den sozialen Medien, die zu politischen Morden und Attentaten führen können, verhindern.

Zusätzlich wurden in regelmäßigen Abständen Razzien gegen Personen und Organisationen durchgeführt, denen Vorbereitungen von staatsgefährdenden Gewalttaten vorgeworfen wurden. Anders als in der Weimarer Republik, wurden auch Ermittlungen gegen Personen durchgeführt, die als Beamte tätig sind oder waren. In der Bundeswehr wurde die 2. KSK-Kompanie unter dem Vorwurf des Rechtsextremismus aufgelöst. Ende 2018 wurde in Frankfurt am Main ein rechtsextremes Netzwerk von Polizeibeamten gesprengt. In Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Sachsen und weiteren Bundesländern wurden Ermittlungen gegen Polizisten eingeleitet, die rassistische Chats eingerichtet haben sollen. Polizeibeamte sollen in mehreren Ländern auf sensible Daten von Menschen zugegriffen haben, um Drohbriefe an jene Personen zu versenden. Zu Beginn des Jahres 2020 wurden zwei Terrorverdächtige festgenommen. Die SZ wörtlich: „Nach der Zerschlagung einer mutmaßlichen rechten Terrorzelle mit Razzien in Nordrhein-Westfalen ist gegen die ersten beiden Festgenommenen in Karlsruhe Haftbefehl erlassen worden. Dabei handelt es sich um ein mutmaßliches Mitglied der Gruppe, den 39-jährigen Tony E. aus Niedersachsen, und einen mutmaßlichen Unterstützer aus Sachsen-Anhalt (…) Insgesamt werden den Ermittlungsrichtern des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe zwölf Verdächtige vorgeführt. Bei dem Termin entscheidet sich, ob alle in Untersuchungshaft kommen oder jemand möglicherweise wieder freigelassen werden muss. Die Gruppe soll Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime ins Auge gefasst haben, um bürgerkriegsähnliche Zustände auszulösen.“

Nach dem Attentat in Hanau sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer, „dass vom Rechtsextremismus die größte Bedrohung in unserem Land ausgeht.“ Das wahre Ausmaß dieser Bedrohung für den Rechtsstaat und die innere Sicherheit in Deutschland ist wahrscheinlich größer, als vielen Bürgern bewusst ist. Denn zahlreiche Gerichtsverfahren in der Vergangenheit haben gezeigt, dass Rechtsextremisten mit verhältnismäßig milden Urteilen davongekommen sind. Der Rechtsstaat hat hier objektiv gesehen versagt, behaupten Kritiker. Dieses rechtsstaatliche Defizit beobachten wir nach Angaben von Kritikern auch bei Prozessen gegen militante Islamisten, während die Judikative bei Prozessen gegen Linksextremisten erstaunlicherweise die gesamte Bandbreite der Strafmaße ausschöpft.

Ob der militante Rechtsextremismus in Deutschland in den kommenden Jahren das politische und gesellschaftliche Ruder übernehmen wird, wird sehr stark davon abhängen, wie sich die wirtschaftliche und soziale Lage in diesem Land entwickeln wird. Die Sicherheitsbehörden müssen ihr Augenmerk vor allem auf die paramilitärische Bedrohung durch militante Islamisten und Rechts- und Linksextremisten legen. Diese drei Gefahrenbereiche sind allesamt ernst zu nehmen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Extremisten sich insgeheim mit Waffen aus dem Ausland eindecken. Ein wichtiges Drehkreuz für den internationalen Waffenschmuggel ist das ehemalige Jugoslawien. Unter anderem das Kosovo (HIER), Kroatien (HIER) und Serbien (HIER). Dieses regionale Drehkreuz spielte in der Vergangenheit bei mehreren weltweiten Bürgerkriegen als Logistikzentrum für den Waffentransport ins Ausland eine wichtige Rolle.

Lesen Sie morgen: Attacke auf den Staat, zweiter Teil: Die großen Flüchtlingskrisen 1915 und 2015

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Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.


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