Deutschland

Reihenweise am Ende: Im deutschen Modehandel rollt die Insolvenzwelle

Die Corona-Krise zwingt immer mehr Textilhändler in die Knie. Nach Galeria Karstadt Kaufhof, Sinn und Appelrath Cüpper muss jetzt auch Adler Rettung im Insolvenzverfahren suchen. Und weitere Modegeschäfte dürften folgen.
11.01.2021 18:20
Aktualisiert: 11.01.2021 18:20
Lesezeit: 3 min

Von Erich Reimann und Michael Donhauser, dpa

Esprit, Galeria Karstadt Kaufhof, Sinn, Appelrath Cüppers, Hallhuber und jetzt auch noch Adler: Reihenweise haben bekannte deutsche Modehändler seit Beginn der Corona-Krise Rettung in Insolvenzverfahren suchen müssen. Und weitere dürften schon bald folgen. Davon gehen sowohl der Kreditversicherer Euler Hermes als auch der Handelsverband Textil (BTE) aus.

Jüngstes Opfer der Corona-Krise im Textilhandel ist die traditionsreiche Modekette Adler. Wegen Überschuldung stellte die Adler Modemärkte AG beim Amtsgericht Aschaffenburg einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung. Ein Gutachter sei damit beauftragt worden, zu prüfen, ob die Abwicklung der Insolvenz in Eigenverantwortung möglich sei, sagte der zuständige Insolvenzrichter am Montag.

Mehr zum Thema: Knockout: Harter Lockdown wird dramatische Insolvenzwelle auslösen

Das Unternehmen hofft, sich über einen Insolvenzplan sanieren zu können, wie es zuletzt etwa den Wettbewerbern Galeria Karstadt Kaufhof, Sinn oder Appelrath Cüpper gelang. Deshalb soll der Geschäftsbetrieb - soweit coronabedingt möglich - auch in vollem Umfang fortgeführt werden. Adler betreibt 171 Geschäfte, davon 142 in Deutschland, sowie einen Online-Shop.

Grund für den Insolvenzantrag sei der zweite Corona-Lockdown, betonte Adler. Die erheblichen Umsatzeinbußen durch die seit Mitte Dezember 2020 andauernden Schließungen der meisten Verkaufsfilialen sei für das Unternehmen nicht mehr zu verkraften gewesen.

Ähnliche Probleme dürften allerdings auch zahlreiche andere Modehändler haben. «Viele Unternehmen haben auf das Weihnachtsgeschäft gesetzt, um sich mit einem kleinen Puffer bis zum Frühjahr zu retten», sagte der Deutschland-Chef des Kreditversicherers Euler Hermes, Ron van het Hof der Deutschen Presse-Agentur. Mit dem Lockdown sei diese Hoffnung allerdings zerstoben. «Insofern erwarten wir weitere Insolvenzen in diesem Bereich.»

Auch beim Handelsverband Textil (BTE) heißt es mit Blick auf den Adler-Insolvenzantrag: «Das wird nicht der Letzte sein.» Die Unternehmen der Branche benötigten aktuell viel Geld, um die Ware für das Frühjahr und den Sommer zu bezahlen. Doch Geld sei knapp - wegen des Lockdowns, aber auch weil bislang keine nennenswerten Hilfen des Staates in der Branche angekommen seien. Der BTE befürchtet, das Zehntausende Modegeschäfte und über 100 000 Arbeitsplätze gefährdet sind.

Mehr zum Thema: Corona: Die Gesundheitspolitiker haben versagt - und uns den Lockdown eingebrockt

Auffällig ist: Bisher sind es vor allem die Großen, die trotz der Teil-Aussetzung der Insolvenzantragspflicht Schutz im Insolvenzverfahren suchen. Euler Hermes registrierte im textilen Einzelhandel allein in den ersten neun Monaten 2020 insgesamt acht sogenannte «Großinsolvenzen» von Unternehmen mit einem Umsatzvolumen von mehr als 50 Millionen Euro. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es nur drei. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Branchenriesen eher noch als kleinere Wettbewerber die Insolvenzverfahren auch als Sanierungswerkzeug nutzen, um Schulden loszuwerden, aus langlaufenden, teuren Mietverträgen herauszukommen und sich leichter von Mitarbeitern zu trennen.

Rasche Besserung für die Branche ist nicht in Sicht, selbst wenn es im Laufe des Jahres gelingen sollte, die Pandemie dank der inzwischen entwickelten Impfstoffe in den Griff zu bekommen. Eine Rückkehr auf das Vorkrisenniveau erwartet Euler Hermes im Modehandel erst im Laufe des Jahres 2023 - und somit später als in den meisten anderen Sektoren. «Es ist also eine lange Durststrecke, die die Unternehmen meistern müssen. Es trennt sich die Spreu vom Weizen», meinte Ron van het Hof.

Dabei stand die Branche schon vor der Pandemie unter Druck. Die Umsätze im stationären Modehandel sind seit Jahren rückläufig. Gut liefen die Geschäfte vor allem für Online-Händler und Fast-Fashion-Anbieter wie Primark. Die Anzahl der Betriebe in der Bekleidungsbranche sank nach einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PwC zwischen 2010 und 2019 um fast ein Drittel (31 Prozent). Vor allem viele kleinere Betriebe mit weniger als 100 Beschäftigten verschwanden vom Markt.

Mehr zum Thema: Fusionen voraus: Der Moment der Wahrheit für Europas Banken ist gekommen

Die Corona-Krise traf also eine angeschlagene Branchen. Die Krise beschleunigte die Veränderung der Branche. Nur wer mit innovativen Konzepten die Bedürfnisse der Kunden treffe, werde überleben, prophezeit PwC-Handelsexperte Stefan Schwertel. «Wir beobachten, dass Marktteilnehmer ohne strategische Neuausrichtung verschwinden und für hohe Leerstände in deutschen Innenstädten sorgen.»

Für die Verbraucher hat die aktuelle Branchenkrise allerdings auch etwas Gutes. Schon Ende Januar dürften sich nach Schätzungen des BTE eine halbe Milliarde unverkaufter Modeartikel in den Läden auftürmen. Dabei handelt es sich zum großen Teil um Winterware, die angesichts des nahenden Frühlings Tag für Tag an Wert verliert. Branchenkenner Ron van het Hof rechnet nach der Wiedereröffnung der Läden deshalb mit regelrechten «Rabattschlachten».

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Frankreichs Schulden bedrohen Europa: Kommt jetzt die Eurokrise zurück?
23.11.2025

Steigende Zinsen, explodierende Schulden, nervöse Märkte: Europa erlebt ein gefährliches Déjà-vu. Immer mehr Experten warnen vor einer...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft 645 Millionen Euro Verlust: Cannabis-Betrug und Geldwäsche-Netzwerk erschüttern Europa
23.11.2025

Europa ist von einem der größten Cannabis-Investmentbetrugsfälle der letzten Jahre erschüttert worden, der Anleger in mehreren Ländern...

DWN
Finanzen
Finanzen Ukraine-Friedensplan: Welche Aktien vom Ende des Ukraine-Krieges profitieren könnten – und welche nicht
23.11.2025

Frieden bedeutet nicht nur geopolitische Stabilität, es zieht auch ein gigantisches Investitionsprogramm nach sich. Wer auf die richtigen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kritische Rohstoffe: Ein Fund in Grönland sorgt für Streit
23.11.2025

In einer abgelegenen Mine in Westgrönland wurden gleich mehrere kritische Rohstoffe entdeckt, die für Mikrochipproduktion, Rüstung und...

DWN
Finanzen
Finanzen Europa-Aktien im Aufschwung: Welche Chancen Anleger jetzt nutzen können
23.11.2025

Die Kapitalmärkte befinden sich im Umbruch, Investoren suchen verstärkt nach stabilen Alternativen. Europa gewinnt dabei durch Reformen,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Autoindustrie in der Krise: Warum die Lage dramatisch ist
23.11.2025

Europas Autohersteller stecken in existenziellen Nöten und Beobachter sprechen schon von einem drohenden Niedergang. Neben den Problemen...

DWN
Technologie
Technologie Experten warnen vor 2035: Plug-in-Hybride sind ein Weg ins Nichts
23.11.2025

Ein neuer französischer Bericht rüttelt an der europäischen Autoindustrie. Plug-in-Hybride gelten darin als teurer, klimaschädlicher...

DWN
Unternehmen
Unternehmen NATO-Ostflanke: Drohnenhersteller Quantum Systems unterstützt die Bundeswehr-Brigade in Litauen
22.11.2025

Der deutsche Drohnenhersteller Quantum Systems expandiert nach Litauen und baut dort ein umfassendes Wartungs- und Logistikzentrum für...