Politik

In den letzten 500 Jahren ist die Weltbevölkerung stetig gewachsen

In den letzten 500 Jahren ist die Bevölkerung stetig gewachsen. Das bedeutet, dass es in der gesamten Geschichte des modernen Industrialismus und Kapitalismus immer einen Überschuss an Arbeitskräften gegeben hat. Zum ersten Mal seit 500 Jahren kehrt sich diese Situation um.
19.06.2021 11:45
Lesezeit: 2 min
In den letzten 500 Jahren ist die Weltbevölkerung stetig gewachsen
Ein Meer von Hochhäusern prägt das Bild der südamerikanischen Metropole Sao Paulo in Brasilien (Archivfoto vom 20.03.2005). (Foto: dpa) Foto: Ralf Hirschberger

Es steht außer Frage, dass die Bevölkerung der meisten europäischen Länder in der nächsten Generation zurückgehen wird, und im Falle Deutschlands und Russlands wird der Rückgang dramatisch sein. Tatsächlich geht die gesamte globale Bevölkerungsexplosion zu Ende. In praktisch allen Gesellschaften, von den ärmsten bis zu den reichsten, ist die Geburtenrate der Frauen rückläufig. Um die Bevölkerungsstabilität zu erhalten, muss die Geburtenrate bei 2,1 Geburten pro Frau bleiben. Wenn die Geburtenrate unter 2,1 fällt, kommt es zu einem Bevölkerungsrückgang. In der fortgeschrittenen Industriewelt liegt die Geburtenrate bereits deutlich unter 2,1. In Ländern der Mittelschicht wie Mexiko oder der Türkei sinkt die Geburtenrate, wird aber erst zwischen 2040 und 2050 2,1 erreichen, berichtet der US-Informationsdienst „Stratfor“.

In den ärmsten Ländern wie Bangladesch oder Bolivien sinkt die Geburtenrate ebenfalls, doch erst am Ende des aktuellen Jahrhunderts werden diese Länder eine Geburtenrate von 2,1 erreichen. Der Vorgang ist im Wesentlichen irreversibel. Es geht in erster Linie um Urbanisierung. In landwirtschaftlichen und niederen Industriegesellschaften sind Kinder ein produktives Gut. Kinder können im Alter von 6 Jahren zu landwirtschaftlichen Arbeiten oder einfacher Werkstattarbeit eingesetzt werden. Kinder werden zu einer Einnahmequelle. Ebenso wichtig, da es in solchen Gesellschaften keine andere Altersvorsorge als die Familie gibt, kann eine große Familie die Eltern im Alter leichter unterstützen.

In einer Stadtgesellschaft sinkt der wirtschaftliche Wert von Kindern. Tatsächlich werden Kinder von Produktionsinstrumenten zu Objekten des massiven Konsums. In der urbanen Industriegesellschaft werden nicht nur die Beschäftigungsmöglichkeiten in jungen Jahren eingeschränkt, auch die Bildungsanforderungen steigen dramatisch. Kinder müssen viel länger unterstützt werden, manchmal bis Mitte 20. Kinder kosten enorm viel Geld mit begrenzter Rendite für die Eltern. Dadurch haben die Menschen weniger Kinder. Die Geburtenkontrolle lieferte lediglich die Mittel für das, was wirtschaftlich notwendig war. Für die meisten Menschen wäre eine Familie mit acht Kindern eine finanzielle Katastrophe. Daher haben Frauen im Durchschnitt zwei oder weniger Kinder. Dadurch schrumpft die Bevölkerung. Natürlich gibt es noch andere Gründe für diesen Rückgang, aber der urbane Industrialismus steht im Mittelpunkt.

Die Schrumpfung der Bevölkerung, insbesondere in der Übergangszeit vor dem Aussterben der älteren Generationen, wird eine relativ kleine Zahl von Arbeitnehmern eine sehr große Gruppe von Rentnern unterstützen müssen, insbesondere wenn die Lebenserwartung in den fortgeschrittenen Industrieländern steigt. Außerdem werden die Schulden der älteren Generation der kleineren, jüngeren Generation überlassen, um sie zu begleichen.

Angesichts dessen ist mit einer großen wirtschaftlichen Verwerfung zu rechnen. Der Zuzug von jungen Migranten, die als Arbeitskräfte in verschiedenen Sektoren zum Einsatz kommen, wird diesen beschriebenen Prozess schwerlich aufhalten können – insbesondere in Europa.

Die Weltbevölkerung war bis Mitte des 16. Jahrhunderts konstant. Die Wachstumsrate nahm um 1750 zu und stieg bis Anfang des 20. Jahrhunderts stetig an, als sie in die Höhe schoss. Anders ausgedrückt, beginnend mit dem europäischen Imperialismus bis hin zum 20. Jahrhundert ist die Bevölkerung immer gewachsen. In den letzten 500 Jahren ist die Bevölkerung stetig gewachsen. Das bedeutet, dass es in der gesamten Geschichte des modernen Industrialismus und Kapitalismus immer einen Überschuss an Arbeitskräften gegeben hat.

Zum ersten Mal seit 500 Jahren kehrt sich diese Situation um. Erstens werden weniger Menschen geboren, was bedeutet, dass die Anzahl der Arbeitskräfte schrumpft und die Preise für alle Arten von Arbeit steigen. Das hat es in der Geschichte des Industriellen noch nie gegeben. Analog ausgedrückt bedeutet dies, dass wir in eine Zeit eintreten werden, in der Geld billig und Arbeitskräfte immer teurer werden. Der einzige Umstand, unter dem dies nicht der Fall wäre, wäre ein so starkes Produktivitätswachstum, dass ein Überschuss an Arbeitskräften entstehen würde. Natürlich würden wir in diesem Fall in eine revolutionäre Situation geraten, in der sich das Verhältnis von Arbeit und Einkommen verschieben müsste. Das würde bedeuten, dass sich neben einem steigenden Pro-Kopf-BIP auch die tatsächliche Vermögensverteilung verschieben würde. Wir befinden uns derzeit in einer Phase, in der sich die Anhäufung von Reichtum dramatisch in weniger Hände verlagert hat und auch die Kluft zwischen der oberen Mittelschicht und der Mittelschicht hat sich vergrößert.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Demokratie unter Dauerstress: Der globale Trend zur Autokratie
26.12.2025

2026 könnte zum Wendepunkt werden: Von Washington bis Berlin geraten liberale Demokratien unter Druck. Autokraten gewinnen Einfluss,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Prognose: Startet die deutsche Wirtschaft 2026 endlich durch?
25.12.2025

Drei Jahre Flaute, kaum Wachstum – doch 2026 könnte die deutsche Wirtschaft endlich drehen. Prognosen deuten auf leichte Erholung,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Zahlungen per Smartphone steigen sprunghaft an
25.12.2025

Immer mehr Menschen zücken zum Bezahlen das Smartphone. Hinter den allermeisten Transaktionen stecken heute noch Debitkarten. Das könnte...

DWN
Finanzen
Finanzen Bankenpleite: Was passiert mit meinem Geld?
25.12.2025

Es ist eine tiefe Angst vieler Menschen – die eigene Bank, der man sein Erspartes anvertraut hat, geht bankrott. Erfahren Sie hier, wie...

DWN
Finanzen
Finanzen Stablecoins vs. Digitaler Euro: Wie digitales Geld den globalen Zahlungsverkehr verändert
25.12.2025

Digitale Zahlungsmittel gewinnen zunehmend an Bedeutung und verändern, wie Geld transferiert und gespeichert wird. Stablecoins dringen in...

DWN
Finanzen
Finanzen Private Debt im Fokus: Steigt das Risiko einer Finanzkrise an den US-Börsen?
25.12.2025

Die jüngsten Insolvenzen in der Autoindustrie haben an den internationalen Finanzmärkten eine neue Debatte über versteckte Risiken im...

DWN
Panorama
Panorama Initiative Jobsuche: Weshalb die Weihnachtszeit perfekt ist
25.12.2025

Während viele glauben, der Arbeitsmarkt schlummere zum Jahresende, öffnen sich gerade jetzt heimlich Türen. Eine erfahrene Coachin...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Tech-Aktien: Tech-Konzerne überflügeln Börsen und gewinnen neue Dominanz
25.12.2025

Die rasant steigenden Bewertungen der US-Techkonzerne verschieben die Kräfteverhältnisse an den globalen Finanzmärkten. Doch wie...