Die radikalislamischen Taliban-Milizen haben bei ihrer seit Wochen andauernden Offensive in großem Umfang Waffen der Amerikaner und derer Verbündeten erbeuten können. Wie der Nachrichtensender Sky News in einer Reportage berichtet, fielen den Taliban in einer kürzlich eroberten Basis der Regierungstruppen in der Provinz Wardak mehr als 900 Schnellfeuerwaffen,Munition, dutzende Raketenwerfer, mehr als 30 Humvee-Einsatzfahrzeuge und 20 Pickup-Lastwagen aus amerikanischen Beständen in die Hände. Viele der Waffen waren noch immer in verschlossenen Kisten verstaut, als sie gefunden wurden.
Abzug im Schutze der Nacht
Die Erbeutung zurückgelassener Waffen aus amerikanischer Produktion wirft Fragen auf. Zum einen könnte es ein Hinweis auf die Schnelligkeit und Überlegenheit sein, welche die Taliban bei ihrem Vormarsch einsetzen. Zum anderen könnte das Zurücklassen bedeutender Waffenarsenale auch dafür sprechen, dass die US-Armee und ihre afghanischen Verbündeten die Stützpunkte überstürzt verlassen mussten.
Zuletzt sorgte der Abzug der US-Armee aus dem wichtigen Luftwaffenstützpunkt Bagram für Schlagzeilen. Wie AP berichtet, zogen die Amerikaner mitten in der Nach überstürzt ab, ohne die örtlichen Regierungstruppen darüber im Vorfeld in Kenntnis zu setzen.
AP berichtet:
„Die USA haben den afghanischen Flugplatz Bagram nach fast 20 Jahren verlassen, indem sie den Strom abstellten und sich in der Nacht davonschlichen, ohne den neuen afghanischen Kommandanten der Basis zu benachrichtigen, der den Abflug der Amerikaner erst mehr als zwei Stunden nach ihrer Abreise entdeckte, sagten afghanische Militärbeamte. (...) Die USA gaben am Freitag bekannt, dass sie ihren größten Flugplatz des Landes vor dem endgültigen Abzug vollständig geräumt hatten, welcher laut Pentagon bis Ende August abgeschlossen sein wird.
‚Wir hörten einige Gerüchte, dass die Amerikaner Bagram verlassen hätten … und schließlich um sieben Uhr morgens verstanden wir, als bestätigt wurde, dass sie Bagram bereits verlassen hatten‘, sagt General Mir Asadullah Kohistani, der neue Kommandant von Bagram.
Bevor die afghanische Armee die Kontrolle übernehmen konnte, wurde der Flugplatz, kaum eine Autostunde von der afghanischen Hauptstadt Kabul entfernt, von Plünderer durchsucht, welche Baracke um Baracke und riesige Lagerzelte durchwühlten, bevor sie nach Angaben afghanischer Militärbeamter vertrieben wurden. ‚Zuerst dachten wir, es wären vielleicht Taliban‘, sagte ein Soldat. Er sagte, die USA hätten vom Flughafen Kabul aus angerufen und gesagt: ‚Wir sind hier am Flughafen in Kabul‘.“
Die US-Armee hinterließ auch auf der Bagram-Basis Ausrüstung. Dazu zählen „hunderte gepanzerte Fahrzeuge“ sowie Zivilfahrzeuge und kleinere Waffen samt Munition. Die größeren Waffen wurden mitgenommen, deren Munition kontrolliert gesprengt, berichtet AP.
Der unangekündigte Abzug mitten in der Nacht löste bei afghanischen Soldaten Verwunderung und Ärger aus. „In nur einer Nacht verloren sie all das Wohlwollen von zwanzig Jahren, indem sie so abgezogen sind, wie sie es getan haben - in der Nacht, ohne den afghanischen Soldaten Bescheid zu geben, die draußen vor der Basis patrouillierten“, wird ein Soldat zitiert.
Bagram Air Base - Symbol für den Einsatz in Afghanistan
Die Schließung von Bagram hat Symbolkraft. Bagram war über die Jahre für viele Afghanen zum Symbol des US-Einsatzes in Afghanistan geworden. Ursprünglich war der Flugplatz in den 1950-er Jahren von der Sowjetunion gebaut worden. Als die USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in Afghanistan einmarschierten, war die Basis rund eine Autostunde nördlich von Kabul weitgehend zerstört.
Über die Jahre wurde sie massiv ausgebaut und beschäftigte Tausende Afghanen, die täglich teils eine Stunde oder länger in Schlangen in Sicherheitsschleusen verbrachten, um morgens auf die Basis zu kommen. Berühmt-berüchtigt ist ein auf Bagram betriebenes Gefängnis. Immer wieder gab es Vorwürfe von Folter und unrechtmäßigen Inhaftierungen. Immer wieder wurden auch Afghanen, die in Bagram arbeiteten, am Weg zur Basis von militant-islamistischen Taliban getötet.
Gleichzeitig kamen über Bagram unzählige westliche Güter ins Land, die in der Folge in Kabul am „Bush-Bazar“ landeten - von Proteinshakes bis zu Parmesan. Benannt wurde der Basar nach US-Präsident George W. Bush, der den Einmarsch in Afghanistan angeordnet hatte, Zuletzt geriet Bagram in die afghanischen Schlagzeilen, weil täglich Dutzende Lastwägen mit Schrott von zerstörten Fahrzeugen und Ausrüstung der US-Truppen den Flugplatz verließen. Viele Afghanen ärgerten sich darüber, dass das US-Militär derartige Mengen verschrottete und nicht den Sicherheitskräften überließ. Die Militärs begründeten dies unter anderem damit, dass die Ausrüstung nicht in feindliche Hände fallen solle.