Vermehrte Photovoltaik (PV) soll nach dem Willen einiger Länderregierungen demnächst die Stromnetze bei der dezentralen Energieversorgung entlasten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder plädiert sogar für eine baldige nationale PV-Pflicht bei neuen Dächern. Dass eine gesetzliche Pflicht zu PV auf dem eigenen Dach eine rundum gute Lösung darstellt, bezweifeln jedoch viele Bürgerinnen und Bürger – und zwar nicht nur mit Blick auf Rentabilität, Ästhetik, Brandgefahr und Entsorgung der ausgedienten Anlagen. Vor allem geht der Streit auch um mögliche Gesundheitsschäden durch Elektrosmog, der mit PV-Anlagen mehr oder weniger verbunden sein dürfte. Legitimiert das politische Ziel des Klimaschutzes künftig etwa Abstriche beim Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit im privaten Wohnbereich? Und können industrienahe Abwiegelungsversuche hinsichtlich der gesundheitlichen PV-Problematik bei genauerem Hinsehen wirklich überzeugen? Oder machen einschlägige Texte im Internet nicht im Gegenteil schon deshalb misstrauisch, weil sie fast alle in Bestell-Formulare münden?
Während Solarthermie, also die Erzeugung von Warmwasser mittels Dachmodulen als gesundheitlich unbedenklich gilt, ist die Diskussionslage bei der Stromerzeugung durch PV eine andere. Wer sich hier im Netz kundig machen will, stößt rasch auf eine ganze Reihe von Portalen, die im offenkundigen Interesse von Industrie und Wirtschaft ungefähr alle Sorgen zu zerstreuen suchen und am Ende ersichtlich auf Kundenfang aus sind. Sogar manche Auskünfte von baubiologischer Seite klingen – im Interesse des Klimaschutzes – zum Teil beruhigend: Wenn nur genügend abgeschirmt, gefiltert und Abstand gehalten werde, sei PV kaum ernsthaft bedenklich und bringe nicht mehr elektromagnetische Belastung als ein Radio auf dem Nachttisch.
Nun sollte es der bürgerlichen Freiheit allemal vorbehalten bleiben, selbst zu entscheiden, ob man überhaupt die E-Smog-Belastung eines Radios am Bett haben möchte. Doch die Gesundheitsfragen sind bei PV-Anlagen insgesamt keineswegs so rasch vom Tisch zu fegen, wie es zunächst den Anschein haben mag. Gerade baubiologisch wird ja in der Regel betont, dass der Körper nachts am empfindlichsten auf elektromagnetische Emissionen reagiere und diese daher tunlichst zu vermeiden seien. Namentlich Hoch- und Elektrosensible haben deshalb oft sämtliche derartigen E-Smog-Quellen aus ihrer nächtlichen Umgebung verbannt. Neue Gesetze verstärken aber künftig den Druck zur Akzeptanz einer gesundheitlich nicht unproblematischen Technologie im Wohnbereich. Dabei kann das verbreitete Schön- und Wegreden von PV-Risiken für die Gesundheit bei genauerem Hinsehen kaum überzeugen.
Gewisse Gefahren werden von industrienaher Seite sogar durchaus eingeräumt, um sie anschließend zu bagatellisieren oder ihre Beseitigung als einfach darzustellen. Solche Relativierungsversuche sind meist pauschaler Art und nehmen individuelle Wohnsituationen nicht ernsthaft genug in den Blick. Das betrifft insbesondere die Frage der räumlichen Nähe. So liest man auf www.energie-experten.org: „Der Elektrosmog einer Photovoltaik-Anlage hat nur dann einen spürbaren Effekt, wenn man sich der Anlage stark annähert (z.B. Dachgeschoss).“ Ein Meter Abstand sei folglich zu empfehlen, erfährt man auch auf einigen anderen Portalen, sofern Differenzierung überhaupt so weit geht. Dagegen ist aber Mehreres einzuwenden.
Erstens ist es ein realistischer Wohnumstand, dass sich im Dachgeschoss oft Büroräume, vor allem aber Kinder- und Schlafzimmer befinden, wo manche Schreibtische oder Betten passend just so unter Dachschrägen stehen, dass der 1-Meter-Abstand durchaus unterschritten wird. Da geraten dann Arbeitende oder Schlafende zwangsläufig in eine durchaus bedenkliche E-Smog-Belastung. Dass übrigens die Empfehlung des Mindestabstands von einem Meter wohl deutlich zu gering bemessen ist, weil da recht fragwürdige Kriterien angesetzt sind, darauf wird zurückzukommen sein.
Problematische Wechselrichter
Gerade die gesteigerte körperliche Empfindlichkeit gegenüber elektromagnetischen Emissionen zu nächtlicher Zeit sollte in einem Land, in dem Schlafstörungen mittlerweile stark zugenommen haben, ernsthafter bedacht werden. Dabei kann über das Betroffensein von Schlafenden auch das Pauschalargument nicht hinwegtäuschen, PV-Anlagen würden ja nur bei Sonnenschein arbeiteten, also „nachts“ nicht schaden können. Sind denn nicht zumindest im Sommer die Nächte kurz? Zudem erstreckt sich bei nicht wenigen Zeitgenossen die Schlafenszeit aus beruflichen oder persönlichen Gründen wenig, mitunter gar nicht auf nächtliche Uhrzeiten. Obendrein bleibt zu bedenken, dass einige belastende Emissionen von PV-Anlagen sich unter Umständen über 24 Stunden hinweg auswirken können.
Das Bedenklichste sind laut Expertenauskunft jene Emissionen, die von den sogenannten Wechselrichter-Geräten ausgehen. Die nämlich erzeugen ebenso wie die wechselstromführenden Leitungen hohe magnetische, nicht abschirmbare Wechselfelder. Besänftigend wird hierzu gern angeführt, dass ja die Wechselrichter meist im Keller installiert seien und daher die Schlafzimmer nicht tangieren würden. Was aber, wenn manche Wohnenden – aus welchen Gründen auch immer – ihren Schlafraum im Keller eingerichtet haben? Gerade Elektrosensible haben sich oft dafür entschieden, weil dort unten am wenigsten Mobilfunkstrahlung hinzugelangen pflegt. Das Problem der Wechselrichter, die Gleichstrom und Gleichspannung der Solargeneratoren in 50 Hz-Wechselstrom- und Wechselspannung umwandeln, reicht aber unter Umständen deutlich über den Keller hinaus. Denn entweder handelt es sich um billigere Wechselrichter ohne Trafo; von denen trennen aber manche nicht sauber zwischen der Wechselspannungs- und der Gleichstromseite, was ein selbst durch Erdung des Rahmens nicht ganz zu beseitigendes elektrisches Wechselfeld auf den Solarmodulen zur Folge hat. Oder die Wechselrichter sind mit einem Hochfrequenz-Trafo versehen; dann haben sie zwar geringere magnetische Wechselfelder, dafür jedoch hochfrequente Felder, wie man sie ähnlich vom Mobilfunk kennt. Die ließen sich „relativ leicht“ abschirmen, wird hier gern abgewiegelt; doch was „Energie-Experten“ hier mit dem Wörtchen „relativ“ bezeichnen, davon wissen Baubiologen ein Lied zu singen: Reflektierendes Material kann nämlich Probleme mitunter sogar verstärken, wenn es ungünstig angebracht wird oder andere Strahlenquellen hinzukommen. Aufhorchen lassen sollte insbesondere auch der von den Experten eingeräumte Umstand, dass die von Wechselrichtern erzeugten Rückwirkungen ins Stromnetz durch das „Zerhacken“ des Gleichstroms und dessen Umformen in Wechselstrom hochfrequente Oberwellen, also Störspannungen erzeugen.
Fragwürdige Grenzwerte
Verharmlost wird die PV-Problematik schließlich gern durch den Hinweis, es sei ja alles amtlich genehmigt und durch internationale Vorsorgewerte so abgesichert, dass Gesundheitsgefahren ausgeschlossen blieben. Maßgeblich sind hierzulande die Grenzwerte der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung, die sich nach der Grenzwertbestimmung durch einen in München eingetragenen, nicht regierungsamtlichen Verein definieren: die Internationale Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP). Das ist allerdings kein wirklich beruhigender Umstand, wenn man weiß, dass die ICNIRP laut dem einstigen Europa-Parlamentarier Jean Huss „sehr enge Verbindungen zu den Branchen hat, deren technische Neuentwicklungen von möglichst hoch angesetzten, zulässigen Grenzwerten in allen Frequenzbereichen elektromagnetischer Felder profitieren“. 2019 haben Mitglieder des pan-europäischen Journalistenteams Investigate Europe, das sich mit aufwendig recherchierten Enthüllungen hervorgetan hat, im Berliner Tagesspiegel dargelegt, dass Mitarbeiter der ICNIRP viele unbequeme Erkenntnisse ausblenden. Zwar sind die ICNIRP-Richtlinien von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) förmlich anerkannt und vor über zwei Jahrzehnten auch von der EU übernommen worden. Doch 2020 haben die beiden EU-Abgeordneten Klaus Buchner (ÖDP) und Michèle Rivasi (Europe Écologie) den kritischen Report „Die Internationale Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung: Interessenkonflikte, ‚Corporate Capture‘ und der Vorstoß zum Ausbau des 5G-Netzes“ in Brüssel veröffentlicht, der seit Frühjahr 2021 auch als Heft 14 der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e.V. erhältlich ist. Und nicht von ungefähr hat kürzlich in den Niederlanden ein Gericht entschieden, dass die von der ICNIRP vorgeschlagenen und in vielen europäischen Ländern gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte den Schutz der Gesundheit nicht sicherstellen.
Daraus lässt sich folgern, dass die oben erwähnte Empfehlung eines Mindestabstands von einem Meter zur PV-Anlage auf dem Dach, die mit ICNIRP-Richtlinien zusammenhängt, in Wahrheit zu gering bemessen ist. Baubiologen empfehlen mindestens das Doppelte. Wenn zudem behauptet wird, die viel niedriger angesetzten Grenzwerte aus dem Bereich der Baubiologie seien nicht maßgeblich, weil nicht hinreichend wissenschaftlich abgesichert und „nur“ erfahrungsbasiert, so bleibt darauf zu erwidern: Sind nicht vielmehr die ICNIRP-basierten Grenzwerte aus den genannten Gründen recht fragwürdig?
Kurz und gar nicht gut: PV-Anlagen können genauer betrachtet durchaus ein gesundheitliches Risiko darstellen. Klimaschutz für morgen muss so funktionieren, dass er nicht heute die körperliche Unversehrtheit zur Disposition stellt. Eine pauschale gesetzliche PV-Pflicht auf alle Dächer sollte es insofern keinesfalls geben – oder sie muss korrigiert werden. Das dringliche Ziel der Entlastung von Stromnetzen ließe sich im Übrigen durchaus auf anderen Wegen anpeilen, nämlich durch gesetzliche Einschränkungen diverser nicht lebensnotwendiger, aber hochgradiger Energiefresser der digitalen Transformation wie etwa das Streamen von Filmen. Die Professoren Harald Lesch und Thomas Schwartz betonen in ihrem klugen Buch „Unberechenbar“ zurecht, dass „das Konzept der Technisierung als lineare Fortschrittsgleichung nicht nur zu Abhängigkeit führt, sondern auch zu Zwang.“ Stellt nicht ein gesetzlicher Zwang zu PV auf neuen oder zu erneuernden Dächern am Ende eine bittere Frucht desselben „Technikwahn(sinn)s“ dar, der für die Klimakatastrophe entscheidend mitverantwortlich sein dürfte?