Wirtschaft

EU verweigert Polen 60 Milliarden Euro aus Anti-COVID-Fonds

Eigentlich ist Polen, einer der größten Außenhandelspartner Deutschlands, relativ gut durch die Pandemie gekommen. Doch jetzt kommt Sand ins Getriebe.
03.09.2021 13:00
Lesezeit: 2 min
EU verweigert Polen 60 Milliarden Euro aus Anti-COVID-Fonds
Die polnische Fahne weht zwar hier gemeinsam mit der EU-Flagge. Doch trügt der Schein: Warschau und Brüssel streiten sich wieder massiv. (Foto: dpa) Foto: Patrick Pleul

EU-Wirtschaftskommisar Paolo Gentiloni will Polen insgesamt 57 Milliarden Euro aus einem besonderen EU-Programm zur Bekämpfung der Pandemie nicht zahlen, die eigentlich für das Land vorgesehen sind.

Die Begründung: Die nationalkonservative Regierung in Warschau verstoße gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien der EU - ein uralter, mittlerweiler sehr komplizierter Streit, der die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und Polen seit einem halben Jahrzehnt belastet. Warschau stellt unter anderem in Frage, ob die polnischen Gerichte europäisches Recht anerkennen müssen.

Jetzt geht es um Gelder aus dem Wiederaufbaufonds "Next Generation EU" (NGEU), der die EU-Mitgliedsländer dabei unterstützen soll, die Folgen der COVID-Krise zu mildern. Dabei handelt es sich zum einen um knapp 24 Milliarden Euro, die dem Land bis 2023 direkt gezahlt werden sollen, sowie zum anderen um Darlehen von 34 Milliarden Euro, die damit verbunden sind. So hat das polnische Nachrichtenmagazin "Wprost" die Gesamtsumme von 57 Milliarden Euro errechnet.

„Die polnische Führung weiß sehr wohl, dass es in der Debatte und in der Diskussion [um den Wiederaufbaufonds] auch um Fragen geht, ob das EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht hat, und welche Konsequenzen dies für den polnischen Wiederaufbau-Plan hat“, begründete das italienische Mitglied der EU-Kommission Gentiloni die Entscheidung seines Gremiums.

Die nationalkonservative Regierung schlug in einer ersten Reaktion erst einmal moderate Töne an: „Das sind nur bürokratische Mechanismen im Rahmen der EU, die alles in die Länge ziehn", sagte Regierungssprecher Piotr Mueller im polnischen TV-Sender "Polsat", der davon ausgeht, dass die Gelder doch bis Dezember ausgezahlt werden. "Doch dafür ist der gute Wille der Kommission notwendig“, so der Sprecher.

Die Verweigerung der EU, die Mittel auszuzahlen, kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt für die Wirtschaft des Landes. Denn sie befindet sich gerade auf dem Erholungspfad. Das polnische Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat im ersten Halbjahr um knapp fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr zugelegt. Damit sind die Polen zwar etwas hinter dem EU-Durchschnitt geblieben. Doch waren ihre Einbrüche während der Pandemie nicht so groß wie in anderen Ländern.

Polen sollte eigentlich das meiste Geld aus dem Fonds bekommen

Die Mittel hätte die Ökonomie gut gebrauchen könnten, um sich weiter zu stabilieren. Zumal Polen im Ländervergleich außergewöhnlich viel aus dem Sondertopf erhält. Bei einem BIP-Anteil von rund vier Prozent an der EU bekommt es bis 2023 sieben Prozent der vorgesehenen Mittel. Doch ist die Verweigerung der Mittel kein rein polnisches Problem: Wenn es dem östlichen Nachbarn Deutschlands schlechter geht, wirkt sich dies auch auf die deutsche Wirtschaft aus, weil Polen einer der größten Außenhandelspartner ist.

Und es sieht auch nicht danach aus, dass die Gelder doch so schnell gezahlt werden. Denn der Streit ist mit Sicherheit noch nicht ausgestanden, weil aus dem Land auch sehr scharfe Töne zu hören sind: "Dies ein ganz offener Druck auf Polen, der in dieser Form noch nie auf ein anderes Land ausgeübt worden ist. Es ist der Versuch, sich in die Unabhängigkeit unseres Rechtssystems einzumischen", erklärte die Europa-Abgeordnete, Beata Szydlo. Als ehemalige Premierministerin verfügt sie im Land immer noch über eine erhebliche Reputation und kann es sich leisten, das zu sagen, was sie denkt, weil sie keine Führungsverantwortung mehr hat.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Immobilien
Immobilien Baufinanzierung Zinsen: Entwicklung des Bauzinses 2025 - und wie es 2026 weitergeht
06.12.2025

Nachdem die Zinsen – darunter der Bauzins – in Deutschland seit 2019 eine gewisse Schieflage erreicht haben, scheint nun Ruhe...

DWN
Finanzen
Finanzen Marktausblick 2026: Internationale Aktien und Small-Cap-Aktien sind am besten positioniert
06.12.2025

KI treibt Teile der Weltwirtschaft nach vorn, während andere Branchen stolpern. Gleichzeitig locken Staaten mit neuen Ausgabenprogrammen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schiene unter Druck: Expertenrunde soll Bahnverkehr stabilisieren
06.12.2025

Wegen anhaltender Probleme im Zugverkehr arbeitet eine neue Taskforce an kurzfristigen Lösungen für mehr Pünktlichkeit und Stabilität...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Automobilindustrie erholt sich: Nachfrage kehrt zurück
06.12.2025

Die europäischen Neuzulassungen ziehen spürbar an und signalisieren eine langsame, aber stabile Erholung der Automobilindustrie. Doch...

DWN
Technologie
Technologie Bidirektionales Laden in Schweden: E-Autos und Solaranlagen bieten neue Energie für Haushalte
06.12.2025

In Schweden entwickelt sich eine neue Form der dezentralen Energieversorgung, bei der Haushalte Strom selbst erzeugen und intelligent...

DWN
Politik
Politik Benelux-Einigung: Wie ein radikaler Zusammenschluss Europa herausfordern würde
06.12.2025

Mitten in einer Phase wachsender geopolitischer Spannungen nehmen belgische Politiker eine Vision wieder auf, die lange undenkbar schien...

DWN
Politik
Politik Trumps US-Sicherheitsstrategie und die Folgen für Europa
05.12.2025

Donald Trumps neue US-Sicherheitsstrategie rückt Europa ins Zentrum – allerdings als Risiko. Das 33-seitige Papier attackiert...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs schließt über 24.000 Punkten: Erholung geht am Freitag weiter
05.12.2025

Der deutsche Aktienmarkt legt zum Wochenschluss spürbar zu und der Dax überschreitet eine wichtige Schwelle. Doch der Blick richtet sich...