An diesem Wochenende muss es eine Trendwende geben, ließ Markus Söder in der vergangenen Woche verlauten: Es käme dabei nicht auf Stilnoten an. An Stillosigkeit hatte das Wochenende ohne Zweifel einiges zu bieten: Während sich die SPD lange Zeit selbst zerlegte, suchen CDU und CSU ihren Markenkern, indem sie den politischen Gegner diskreditieren. Ein Stück in zwei Akten.
Inszenierung die Erste: Armin Laschet auf dem CSU-Parteitag
Zuweilen beschäftige ich mich mit der Frage, welchen meiner Aphorismen ich für den wichtigsten halte, um Sachverhalte zu analysieren, Orientierung zu geben oder Werte zu vermitteln. Ohne Zweifel hat nach der Rede von Armin Laschet vor den Abgeordneten der CSU der vom Schein und Sein seinen Marktwert bei mir erheblich gesteigert.
Da der Schein das Sein bestimmt, folgt das Sein dem Schein.
In den ersten Minuten der Rede fragte ich mich wirklich, ob der Beifall und die Jubelrufe zu Beginn vom Band kamen, denn weder ließ sich das aus den zurückliegenden Äußerungen erklären noch über die Kameras beweisen. Über Monate profilierte sich Markus Söder auf Kosten von Armin Laschet. Noch zwei Tage zuvor hatte CSU-Generalsekretär Markus Blume den Spitzenkandidaten im SPIEGEL abgewatscht und wollte man mit Blick auf die Umfragewerte ein diffuses Bild von Geschlossenheit vermitteln, aber nicht mit einer Niederlage in Verbindung gebracht werden.
Während des Einmarsches der beiden Protagonisten konzentrierten sich die Kameras auf das Gewusel um sie herum und nur einmal gab es eine kurze Einstellung, aus der man vielleicht erahnen konnte, dass der Saal gefüllt war. Doch die gehörte Begeisterung, die vergleichbar war mit dem, wenn die Stones auf die Bühne kommen und größer war als die, als Barack Obama 2008 an der Siegessäule und 2013 vor dem Brandenburger Tor sprach, war so nicht erklärbar. Und so konnte man auch nicht prüfen, ob sich die Delegierten bei Ihrem Beifall ähnlich verhielten wie Armin Laschet, als er jüngst der Flutopfer gedachte. Später gab es immer wieder einen Blick in die ersten Reihen, doch es waren nicht die zu entdecken, die sich lautstark äußerten.
Nimmt man jedoch an, dass die Beschallung real war, stellt sich die Frage, welchen Wert solche Äußerungen haben und wovon sie Zeugnis ablegen. Getrieben von den Umfragewerten lieferte die CSU eine ähnliches Bild wie die SPD, als sie Martin Schulz 2017 mit 100% zu ihrem Vorsitzenden wählte. Das dürfte auch dann gelten, wenn sich die Umfragen am 26. September bestätigen. Der Mangel an Glaubwürdigkeit, der solchen Inszenierungen eigen ist, wenn sie eine Summe von Fehlleistungen überdecken sollen, denen nicht ausreichend Demut entgegengebracht wurde, bedarf offensichtlich erst einer gesiegelten Quittung, um ihren Wert zu offenbaren.
Werte vergehen, wenn sie nicht aufgegriffen und gelebt werden. Wertloses breitet sich aus, wenn man es einfach hinnimmt.
Hört man sich dann die Rede an, so wäre sie wohl zum Aschermittwoch bei Weißbier und Weißwurst für den einen oder anderen Schenkelklopfer gut gewesen, doch es erscheint fraglich, ob sich in dieser Weise ein zukünftiger Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland präsentieren kann, der einer stoischen Angela Merkel folgen will, dessen Partei 16 Jahre mit der von ihm angegriffenen SPD regiert hat und der auf einen Olaf Scholz trifft, der nicht nur die Raute macht, sondern sie auf hanseatische Weise auch lebt.
Fast geschenkt die an Geschichtsklitterung und Verharmlosung grenzende Trivialität, aus der größten „Niederlage des westlichen Bündnisses seit seinem Bestehen“ die Logik abzuleiten, „wir brauchen mehr europäische Gemeinsamkeit, um mal selbst in der Lage zu sein, einen Flughafen wie den Flughafen in Kabul zu sichern“. Bei dieser Aktion haben sicher nicht 59 deutschen Soldaten ihr Leben verloren, sind sicher nicht hunderttausende Afghanen getötet oder verletzt und über zwei Billionen Dollar verbrannt worden. Doch wird es zu viel, wenn die trotz steigender Rüstungsausgaben bestehenden Ausrüstungsmängel der Bundeswehr der SPD angelastet werden, denn der letzte Verteidigungsminister aus der SPD war bis 2005 Peter Struck: Eine Drohne sichert noch keinen friedlichen Frühling und viele auch so schon wütende Soldaten dürften geschluckt haben, wie auf ihrem Rücken weiter Politik gemacht wird, als Armin Laschet behauptete, Olaf Scholz, SPD und Grüne würden in der Bundesregierung zu weniger Sicherheit in Deutschland führen.
Verwunderung dürfte bei vielen Bürgern hervorgerufen haben, dass sich Armin Laschet – der mit seinem Bemühen, sich von Markus Söder zu emanzipieren, große Verantwortung für die Entwicklung des Infektionsgeschehens in Deutschland während der Corona-Pandemie trägt – daran abarbeitete, die linken Parteien würden mit Steuererhöhungen den Wohlstand gefährden, wenn neben vielen anderen selbst das MANAGER MAGAZIN diesen Parteien im Gegensatz zur CDU/CSU Steuersenkungen bei gleichzeitiger Steigerung der Steuereinnahmen bescheinigt. Ähnlich dürften die Bürger auf die Bemühungen der Staatsanwaltschaften schauen, Wahlkampfhilfe durch die Durchsuchung des Bundesfinanzministeriums zu leisten, sich aber gleichzeitig bei den Maskenaffären still zu verhalten. Und wenn er nicht davor zurückschreckte, den Bürgern Angst zu machen, auch die Bekämpfung der Kinderpornographie wäre mit den anderen Parteien nicht mehr gewährleistet – und dafür mit besonders anhaltendem Beifall belohnt wurde –, so offenbarte er einen Umgang mit dem politischen Gegner wie auch den Wählern, der jedem Donald Trump unter seinen Anhängern zur Ehre gereicht hätte.
Als Armin Laschet sich dann dem Klimaschutz zuwandte, dabei die Transformation im Ruhrgebiet von der Steinkohle mit 500.000 Bergleuten und keinem einzigen Studenten im Jahre 1965 zum Bildungsstandort mit 280.000 Studierenden und 0 Bergleuten beschrieb und die Leistung von Kurt Biederkopf hervorhob – der 1966 in die CDU eintrat und als 37-jähriger Rektor der Ruhr-Universität Bochum wurde, aber schon 1971 in den Henkel-Konzern wechselte – ignorierte er geflissentlich, dass der Strukturwandel in der überwiegenden Zeit von SPD-Regierungen gestaltet wurde. Anschließend beschrieb er von Prinzip her die auf der IAA in München demonstrierenden Umweltaktivisten als Straßenkämpfer der SPD und Grünen und disqualifizierte den seit 2011 in Baden-Württemberg regierenden Winfried Kretschmann, die Landwirtschaft, die Industrie und die Facharbeiterschaft in ihrer Substanz zu gefährden. Ob er im Nachhinein bedauert hat, an den Instinkt von Bundeskanzlern in besonderen geschichtlichen Momenten zu erinnern – wie den von Helmut Kohl bei der deutschen Einheit –, kann man nur spekulieren.
Auch zum Schluss fiel keine Kameraeinstellung auf die jubelnden Teilnehmer des Parteitages in den offensichtlich hinteren Reihen. Den vorderen Reihen aber muss bewusst gewesen sein, für welche Scheinwelt sie gerade dem Wähler als Statisten gedient hatten, denn der langanhaltende Beifall erschien doch mehr als gezwungen.
Inszenierung die Zweite: Das Triell
Entgegen meiner ursprünglichen Annahme kann der zweite Teil kurz abgehandelt werden. Da das Training am Sonnabend nicht unter Wettkampfbedingungen erfolgte und Armin Laschet weder noch mal gefordert noch mit Ideen stabilisiert wurde, versagte er im Wettkampf. Die Angriffe auf die politischen Gegner prallten ab, da sie herbeigeredet und so ohne Aufwand entkräftet werden konnten. Inhaltlich gab es kein Thema, mit dem sich die CDU von den anderen Parteien absetzen konnte. Zu sehr ist der ganze Wahlkampf auf eine Personen- statt eine Themenwahl ausgerichtet, so dass es schwerfällt, ihn auf der Ziellinie noch mit Substanz zu füllen.
Deutlich wurde das auch später bei ANNE WILL, als sich Jens Spahn vergeblich bemühte, mit der Rote- Socken-Kampagne und persönlichen Verantwortungen von Olaf Scholz zu punkten. Es ist anzunehmen, dass die nächsten Tage von der Art noch einiges bereithalten werden – möglicherweise mit einem von Armin Laschet beim letzten Triell am 19. September vorzutragenden Highlight. Doch diesmal scheint es so, dass der Wähler sagt: Wir haben verstanden. Wobei die Mündigkeit des Wählers sicher durch das am Montag vorgestellte Sofortprogramm auf den Prüfstand gestellt wird.
Was ich schon im November 2019 als mögliche Entwicklung feststellte – und Norbert Röttgen mit systemischer Erschöpfung begründete –, fängt nun langsam an, Gestalt anzunehmen: Die CDU folgt der Entwicklung der SPD. Es dürfte schwer werden, aus der Scheinwelt der Alternativlosigkeit in die Wirklichkeit der Opposition zu kommen, da man primär gewohnt ist, dem Gegner Versagen vorzuwerfen – was sich sowohl nach außen äußern als auch in innerparteilichen Grabenkämpfen entfalten wird. Das sich alle Parteien mühen, den Wählern ihre Kompetenz zu vermitteln, die großen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen zu können – und den Wähler nur insofern zu benötigen, als er ihm dafür den einen oder anderen Euro zur Verfügung stellen muss, ihm dieser aber auf anderem Weg wieder zugeführt wird – ist ein Thema, das hier nicht behandelt werden kann.