Politik

Der Drosten Schwedens: Wir haben bei Corona Recht behalten

Kommende Woche fallen in Schweden fast alle noch verbleibenden Corona-Beschränkungen, die weitaus geringer waren als in Deutschland. Anders Tegnell, der führende Epidemiologe des Landes, zieht ein positives Fazit des schwedischen Sonderwegs.
26.09.2021 12:06
Aktualisiert: 26.09.2021 12:06
Lesezeit: 2 min
Der Drosten Schwedens: Wir haben bei Corona Recht behalten
Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell kann sich weiterhin auf der Straße blicken lassen, ohne angefeindet zu werden. (Foto: dpa) Foto: ---

Der schwedische Sonderweg in der Corona-Krise war geprägt von Maßnahmen, die weitaus zurückhaltendenr waren als in Deutschland. Am 29. September werden nun fast alle noch verbleibenden Corona-Beschränkungen aufgehoben. Anders Tegnell, der führende Epidemiologe des Landes, fühlt sich durch die Entwicklungen der letzten 18 Monate bestätigt. Er betrachtet den schwedischen Umgang mit der Krise, den er entscheidend geprägt hat, im Rückblick als den richtigen.

"Ich denke, wir haben von Anfang an versucht zu argumentieren, dass wir lernen müssen, mit dieser Krankheit zu leben", so Tegnell im Interview mit Unherd. Immer mehr Länder würden jetzt diesen Standpunkt vertreten. Denn man könne die Krankheit kontrollieren, sie aber nicht ausrotten. "Wir müssen ein gewisses Maß an Verbreitung in der Gesellschaft akzeptieren. Wir müssen wahrscheinlich akzeptieren, dass es in unseren Krankenhäusern auf absehbare Zeit einige Fälle von Covid-19 geben wird, genauso wie wir einige Fälle von Grippe oder vielen anderen Krankheiten akzeptieren."

Im Hinblick auf die Impfungen gegen Corona steht der schwedische Chef-Epidemiologe im Einklang mit den meisten seiner ausländischen Kollegen. Er betrachtet sie als "fantastisch", da sie seiner Ansicht nach einen gewaltigen Unterschied im Kampf gegen Covid-19 ausmachen. "All die anderen Dinge, die wir ausprobiert haben, werden nicht mehr so wichtig sein, denn die Erreichung einer hohen Impfquote ist der einzige Weg, wie wir diese Pandemie überwinden können. Einen anderen Weg scheint es wirklich nicht zu geben."

Tegnell geht davon aus, dass der kommende Winter viel leichter sein wird, als der letzte Winter. "Denn 95 oder 96 Prozent der Menschen, die im letzten Winter schwer erkrankten, sind jetzt geimpft und haben einen guten Schutz. Und ich denke, wir haben allen Grund zu der Annahme, dass dieser Schutz den Winter über bestehen bleibt. Es könnte Gruppen geben, die eine weitere Impfung benötigen. Wir haben genügend Impfstoffe und Ressourcen. [...] Es wird definitiv einige Fälle geben, die im Krankenhaus behandelt werden müssen."

Tegnell räumt ein, dass Corona im letzten Winter gefährlicher war, als er erwartet hatte. "Aber viele nordische Länder hat es viel schlimmer erwischt. Wenn man sich die Übersterblichkeit ansieht, hat Schweden zum Beispiel gar nicht so schlecht abgeschnitten, vielleicht vier oder fünf Plätze über den Schlusslichtern in der Europäischen Union. Aber es war definitiv ein viel höheres Maß an Immunität in einer Bevölkerung erforderlich, die sich nur durch Impfung wirklich verändern kann, um diese Krankheit in irgendeiner vernünftigen Weise zu kontrollieren."

Den Sonderweg Schwedens im Hinblick auf Corona erklärt Tegnell mit dem "hohen Maß an Respekt und Vertrauen", dass die Schweden ihrer Regierung und ihren Behörden entgegenbringen. "Deshalb konnten wir auf freiwilliger Basis ziemlich viel bewirken."

"Der andere Aspekt ist, dass wir durch das bestehende Rechtssystem gezwungen sind, uns auf Bereiche zu konzentrieren, wo wir wirklich eine hohe Bedrohung sehen, wo ein hohes Übertragungsrisiko besteht. Daher haben wir Restaurants sehr stark reguliert und andere Bereiche der Gesellschaft offener gelassen. Wir konnten nämlich feststellen, dass sich die Krankheit in Restaurants ausbreitete. Aber wir konnten nicht feststellen, dass sich die Krankheit durch junge Leute verbreitet hätte, die Fußball spielten oder ähnliches."

Mehr zum Thema: Deutsche Corona-Flüchtlinge wandern nach Schweden aus

Besonders stolz ist Tegnell darauf, dass die Schulen in Schweden offen geblieben sind. "In den Schulen haben wir definitiv keine große Verbreitung gesehen. Wenn man schwedische Kinder fragt, sind sie definitiv von der Pandemie betroffen, aber in einem viel geringeren Ausmaß, als es der Fall gewesen wäre, wenn wir die Schulen geschlossen hätten. [...] Auf globaler Ebene weisen die Vereinten Nationen und viele andere darauf hin, dass die geschlossenen Schulen für die Kinder eine der größten Katastrophen sind, die diese Pandemie hervorgebracht hat."

Ein entscheidender Vorteil des schwedischen Sonderwegs bestand laut Tegnell darin, dass es in Schweden relativ friedlich war. "Wir hatten keine so große Spaltung wie in den USA und anderen Ländern, ob man nun die Maske aufsetzen sollte oder nicht." Zwar gebe es die übliche Kritik an der Regierung, und viele Leute hätten ihm in Emails geschrieben, dass sie einige Maßnahmen für falsch halten, so Tegnell. "Aber wenn ich auf die Straße gehe, gibt es nur Daumen nach oben."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Wettbewerbskompass: Kurskorrektur bei Technologiewettbewerb dringend nötig!
19.04.2025

Europa steht vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen: Der globale Technologiewettbewerb spitzt sich zu, geopolitische Krisen...

DWN
Finanzen
Finanzen Digitalisierung im Bürgeramt: Passfotos ab Mai nur noch digital erlaubt
19.04.2025

Ab dem 1. Mai sind in Deutschland im Grunde nur noch digitale Passfotos erlaubt. Das neue Verfahren soll Fälschungen vorbeugen. Wer denkt,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Italienische Luxusunternehmen: Prada übernimmt und trägt nun auch Versace
19.04.2025

Über einen möglichen Kauf war seit mehreren Monaten spekuliert worden: Der Luxuskonzern Prada schluckt den Konkurrenten Versace. Damit...

DWN
Technologie
Technologie „Mein alter Job als Softwareentwickler ist weg“ – Jentic-Chef über selbstprogrammierende KI-Agenten
19.04.2025

Der irische Tech-Unternehmer Sean Blanchfield ist überzeugt, dass KI-Agenten menschliche Programmierer und Softwareentwickler zunehmend...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt „We don’t believe in Outsourcing“ – Klöber zeigt, wie Produktion in Deutschland wieder gelingt
18.04.2025

Sitzen, aber richtig: Der Büromöbelhersteller aus Owingen setzt auf Inhouse-Produktion, recycelte Materialien und digitale Innovation –...

DWN
Finanzen
Finanzen S&P 500 und die Illusion von sicheren, langfristigen Renditen
18.04.2025

Der amerikanische Aktienmarkt befindet sich in turbulenten Zeiten. Angesichts der unvorhersehbaren Handelspolitik von Präsident Donald...

DWN
Finanzen
Finanzen Wertvoller Schmuck im Fokus: So sichern Sie Ihre teuren Schmuckstücke ab
18.04.2025

Die Absicherung wertvoller Schmuckstücke wird immer wichtiger – Hausrat reicht oft nicht aus. Experten raten zu gezieltem...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnen in Dänemark: Wie Sie mit etwas Hygge ein Haus günstig kaufen können
18.04.2025

Nachdem es 2023 und 2024 in Deutschland zum ersten Mal seit 2013 spürbare Wertverluste auf dem Immobilienmarkt gab, kündigten Experten...