Finanzen

Türkei: Lira nach Zinssenkung im freien Fall, Opposition fordert bargeldlose Gesellschaft

Lesezeit: 2 min
21.10.2021 14:20  Aktualisiert: 21.10.2021 14:20
Die Türkische Lira befindet sich nach einer drastischen Zinssenkung im freien Fall. Die Opposition macht Erdoğan für den Absturz verantwortlich. In der Türkei tobt in Wirklichkeit kein Kampf um die Zinspolitik, sondern ein Krieg zwischen Bargeld-Gegnern und Bargeld-Befürwortern. Die Opposition fordert eine bargeldlose Gesellschaft.
Türkei: Lira nach Zinssenkung im freien Fall, Opposition fordert bargeldlose Gesellschaft
Auch die Türkei steuert auf eine bargeldlose Gesellschaft zu. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die türkische Zentralbank hat ihren Leitzins überraschend deutlich gesenkt. Die Währungshüter kappten den geldpolitischen Schlüsselsatz am Donnerstag auf 16 von 18 Prozent – um 200 Basispunkte. Von Reuters befragte Ökonomen hatte nur mit einem Wert von 17,5 Prozent gerechnet. Der Spielraum für eine weitere Senkungen bis Jahresende sei begrenzt, erklärte die Notenbank.

Staatschef Recep Tayyip Erdoğan ist ein erklärter Zinsgegner und hat bereits die letzten drei Notenbank-Gouverneure aufgrund von Differenzen hinsichtlich der Geldpolitik vor die Tür gesetzt. Mitte März hatte er überraschend Notenbankchef Naci Ağbal entlassen und durch Şahap Kavcıoğlu ersetzt – einen erklärten Gegner einer straffen Geldpolitik.

Die Zentralbank teilt auf ihrer Webseite mit: „Trotz der Erholung der Weltwirtschaft in der ersten Jahreshälfte haben die zuletzt veröffentlichten Vertrauensindizes aufgrund der Auswirkungen der Pandemie begonnen zu sinken. Dennoch halten neue Varianten trotz steigender Impfraten die Abwärtsrisiken für die Weltwirtschaft am Leben. Eine Erholung der weltweiten Nachfrage, hohe Rohstoffpreise, Angebotsengpässe in einigen Sektoren und gestiegene Transportkosten haben international zu steigenden Erzeuger- und Verbraucherpreisen geführt.“

Zum Inflationsanstieg führt die Zentralbank aus: „Der jüngste Inflationsanstieg wurde durch angebotsseitige Faktoren wie steigende Nahrungsmittel- und Importpreise, insbesondere bei Energie, sowie Angebotsengpässe, Anstieg der administrierten Preise und Nachfrageentwicklungen aufgrund der Wiedereröffnung angetrieben. Es wird davon ausgegangen, dass diese Effekte auf vorübergehende Faktoren zurückzuführen sind. Andererseits ist die verlangsamende Wirkung der geldpolitischen Straffung auf die Kreditvergabe und die Binnennachfrage zu beobachten.“

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu hatte vor dem Zinsentscheid gesagt, dass die Zentralbank unter keinen Umständen „Befehle“ des türkischen Präsidenten entgegennehmen dürfe, berichtet „Bloomberg“. Kılıçdaroğlu, der am Freitag ein überraschendes Treffen mit Kavcıoğlu hatte, forderte Erdoğan auf, „die institutionelle Identität der Zentralbank zu respektieren“ und Zinsentscheidungen „qualifizierten Personen“ zu überlassen. Zwischen der Opposition und der Regierung tobt nicht nur ein Machtkampf um die Zentralbank, sondern auch ein regelrechter Kryptowährungs-Krieg.

Die Opposition fordert, dass Bitcoin und andere Kryptowährungen in die Reserven der Zentralbank aufgenommen werden, während die Regierung diesen Ansatz vor wenigen Tagen im Amtsblatt verboten hat. Die Opposition fordert eine vollständige Digitalisierung der Finanzmittel und stellt sich gegen die Nutzung von Bargeld, während sich die Regierung und der türkische Präsident gegen diesen Ansatz stellen. Die Chefin der Oppositionspartei „IYI“, Meral Akşener, fordert eine bargeldlose Gesellschaft. Die Sozialdemokraten und Linken unterstützen diesen Ansatz.

Somit ist der „Zentralbank-Streit“ zwischen der Regierung und der Opposition nur ein kleiner Abriss von dem, was wirklich stattfindet.

Es stehen sich die Verfechter der totalen Digitalisierung und das Bargeld-Lager gegenüber. Die Opposition gehört in das erste Lager, während die Regierung in das zweite Lager gehört. Welches Lager sich am Ende durchsetzen wird, hängt vor allem damit zusammen, wie der globale Kampf zwischen Bargeld-Befürwortern und den Bargeld-Gegnern ausgeht.

Wenn die türkische Regierung digitale Kryptowährungen zulassen sollte, würde sie dies nicht in Form von dezentralen, sondern zentralen Kryptowährungen tun. Es geht also auch um den Kampf um die Ausgabe von digitalen Zentralbankwährungen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...