Deutschland

Wirtschaftsverbände schüren Corona-Angst zur Kontrolle der Arbeiter

Lesezeit: 2 min
02.11.2021 16:19  Aktualisiert: 02.11.2021 16:19
Im Kampf gegen Corona wollen führende deutsche Wirtschaftsverbände für die großen Unternehmen mehr Macht über die Beschäftigten durchsetzen. Dazu schüren sie erneut Corona-Ängste.
Wirtschaftsverbände schüren Corona-Angst zur Kontrolle der Arbeiter
BDI-Präsident Siegfried Russwurm bereitet weitere Anschläge auf die deutschen Arbeitnehmer vor. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Wirtschaft schlägt wegen der steigenden Corona-Zahlen Alarm. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft verlangte, dass Arbeitgeber den Impfstatus ihrer Beschäftigten erfragen dürfen. Industriepräsident Siegfried Russwurm forderte Bund und Länder auf, deutlich mehr zu tun. «Die Politik droht den gleichen Fehler zu machen wie im Herbst vorigen Jahres, als die Politik vor konsequenten und zentral wirksamen Maßnahmen zurückschreckte», sagte Russwurm der Deutschen Presse-Agentur.

«Bund und Länder müssen rasch gemeinsam eine klare bundesgesetzliche Grundlage schaffen, damit die Unternehmen in den kommenden Wochen Schutzmaßnahmen auf 3G-Basis nachvollziehbar und planvoll für ihre Mitarbeitenden anwenden können», sagte Russwurm. «So lassen sich Arbeitsabläufe wieder weitestgehend normalisieren, die Beschäftigten von belastenden Hygienevorgaben befreien, und kreative Zusammenarbeit wird wieder uneingeschränkt möglich.»

Markus Jerger, Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft sagte der dpa, ein gesetzlich geregelter Abfrageanspruch der Arbeitgeber über den Impfstatus ihrer Beschäftigten würde dringend gebotene Rechtssicherheit schaffen. «Entscheidend ist, dass die Geschäftsabläufe in den Betrieben, die unter den Folgen von Pandemie und Lockdown leiden, nicht gestört werden oder gar zum Erliegen zu kommen», so Jerger. Er appelliere dringend an Beschäftigte, sich impfen oder regelmäßig testen zu lassen. «Ein weiterer Lockdown, selbst wenn dieser auch nur regional begrenzt wäre, könnte für die betroffenen Unternehmen das Ende bedeuten.»

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger forderte einen zeitnahen Impfgipfel. Es sei eine klare und eindeutige Grundlage für die Fortentwicklung von betrieblichen Schutzkonzepten nötig, sagte Dulger . Das Auskunftsrecht des Arbeitgebers über den Impf- oder Genesenenstatus müsse endlich gesetzlich festgelegt werden. «Wer da zögert, riskiert ein Weniger an Gesundheitsschutz in unseren Betrieben.»

Bisher können nur Beschäftigte in Kitas, Schulen und Pflegeheimen vom Arbeitgeber gefragt werden, ob sie geimpft sind. Die Arbeitgeber hatten bereits ein Fragerecht für alle Branchen und Betriebe gefordert.

Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, sagte weiter: «Ob 2G oder 3G: Welche Regelungen für Betriebe praktikabel sind, muss jedes Unternehmen für sich entscheiden. Wie so oft gilt die Praxisregel: Betriebe vor Ort wissen am besten, was sinnvoll für ihre Beschäftigten und den Betrieb ist.»

Russwurm kritisierte, die Entscheidung über eine Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite sei das falsche Signal: «Angesichts rasant steigender Infektionszahlen wird es dem Ernst der Lage nicht gerecht, öffentlich den bevorstehenden Normalzustand anzudeuten», sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

SPD, Grüne und FDP, die über eine neue Regierung verhandeln, wollen die Rechtsbasis für drastische Corona-Einschränkungen wie Ausgangssperren zum 25. November auslaufen lassen. Bis zum Frühjahr sollen den Ländern weniger umfassende Vorgaben möglich sein.

Russwurm kritisierte, es sei falsch, dass die Bundesregierung gerade jetzt die Verantwortung für ein koordiniertes Krisenmanagement an die Bundesländer delegieren wolle. «Anstatt mit einer länderübergreifenden Steuerung und konsequenten Eindämmungskonzepten die Welle zu brechen, droht erneut ein ineffizienter Flickenteppich uneinheitlicher Ländermaßnahmen.»

Die Gewerkschaft IG Metall warnte vor dem Anfang einer neuen Infektionswelle in Betrieben. Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban sagte, die Corona-Arbeitsschutzverordnung sei an die epidemische Lage von nationaler Tragweite gekoppelt. Sollte diese nicht verlängert werden, würden auch Regelungen zum Schutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz entfallen. Betriebliche Schutzmaßnahmen würden in der Breite aber häufig erst dann umgesetzt, wenn es rechtliche Verpflichtungen dazu gebe, wie etwa im Fall von Testangeboten durch die Arbeitgeber.

Russwurm sagte, die Politik müsse alles daran setzen, dass die Impfzahlen weiter steigen und Auffrischungsimpfungen systematisch durchgeführt werden. Die Länder seien gefordert, jetzt ihre Impfzentren zu reaktivieren, wenn die Impfkapazitäten in Arztpraxen für ein rasches Auffrischen nicht ausreichten.

«Es darf nicht sein, dass eine kleine Gruppe von Impfverweigerern in den kommenden Monaten eine ganze Gesellschaft mit mehrheitlich Geimpften lähmt», sagte der Industriepräsident. «Es ist allerhöchste Zeit, über eine Impfpflicht für alle Berufstätigen mit regelmäßigen Kontakten zu vulnerablen Gruppen in Pflegeheimen, Schulen und Kitas nachzudenken.»

Angesichts sprunghaft steigender Inzidenzen drohten in den kommenden Wochen Schließungen von Schulen und Kindergärten, so Russwurm. «Neben den negativen Auswirkungen für die Kinder ergeben sich daraus für Beschäftigte, die auf eine funktionierende Kinderbetreuung angewiesen sind, empfindliche Auswirkungen, die wir im vergangenen Winter erleben mussten.»


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Die Ampel auf Rot: Warum die deutsche Wirtschaft abwandert
08.05.2024

Der Frust des deutschen Mittelstands ist gewaltig. Immer mehr Unternehmer denken über Verlagerung ihrer Produktionsbetriebe nach. Nach...

DWN
Finanzen
Finanzen KfW: Deutlich weniger Förder-Kredite, aber mehr Gewinn zum Jahresauftakt
08.05.2024

Nach mehreren Krisenjahren hat sich das Kreditgeschäft der staatlichen Förderbank wieder normalisiert. Gleichwohl verdient die...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Insolvenzen in Deutschland steigen weiter dramatisch an - Zukunftsaussichten bleiben düster
08.05.2024

Im April verzeichnete Deutschland erneut einen starken Anstieg der Firmeninsolvenzen - ein bedenklicher Trend, der bereits seit 10 Monaten...

DWN
Technologie
Technologie Abzocke an der Ladesäule? E-Auto laden unterwegs teurer als Benzin E10
08.05.2024

Die Begeisterung für Stromer hat in Deutschland schon arg gelitten. Die Ampel gewährt keine Zuschüsse mehr bei der Anschaffung - und nun...

DWN
Unternehmen
Unternehmen BMW mit Gewinnrückgang - Konzernchef Zipse bleibt extrem optimistisch
08.05.2024

Der Autobauer BMW musste im ersten Quartal trotz des florierenden Luxussegments Gewinneinbußen verbuchen. Konzernchef Oliver Zipse bleibt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Siemens Energy beendet Misere und startet Sanierungsplan für Windkraftsparte Gamesa
08.05.2024

Beim kriselnden Energietechnikkonzern Siemens Energy scheint sich der Wind zu drehen. Nach einem guten zweiten Quartal mit schwarzen Zahlen...

DWN
Finanzen
Finanzen Anlagevermögen in Deutschland 2023 um 10 Prozent gewachsen
08.05.2024

Deutsche Kapitalanleger sind trotz schwacher Weltkonjunktur reicher geworden. Eine erfreuliche Nachricht für die Vermögensverwalter, die...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft LNG: EU-Sanktionen bedrohen Russlands Energiegeschäfte
08.05.2024

Russland steht vor möglichen schmerzhaften EU-Sanktionen im Zusammenhang mit seinen Geschäften im Bereich Flüssigerdgas (LNG). Die...