Politik

USA warnen Europa: Russland erwägt Invasion der Ukraine

Lesezeit: 4 min
12.11.2021 10:30
US-Diplomaten haben ihren europäischen Kollegen mitgeteilt, dass Russland eine Invasion der Ukraine in Erwägung ziehe. Moskau weist diese Vorwürfe zurück. Doch worum geht es wirklich bei diesem politischen Kostümball mit Säbelrasseln? Und was haben Deutschland und Frankreich damit zu tun?
USA warnen Europa: Russland erwägt Invasion der Ukraine
Russische Truppen und Kriegsgeräte um die Ukraine herum. (Grafik: Google Maps/DWN/Cüneyt Yilmaz)

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Die US-Regierung ist der Ansicht, dass Russland eine Invasion in der Ukraine in Erwägung zieht, führt „Bloomberg“ in einem Bericht mit dem Titel „U.S. Warns Europe That Russian Troops May Plan Ukraine Invasion“ aus. In Diplomatenkreisen sollen US-Beamte diese Warnung an ihre europäischen Kollegen weitergeleitet haben. Allerdings ist bisher noch keine offizielle Warnung bei den Staats- und Regierungschefs der EU eingegangen. Genau das müsste geschehen, bevor die EU eine „kollektive Reaktion“ beschließt.

Anfang November 2021 hatte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, gesagt, dass es unweit der ukrainischen Grenze auf dem russischen Territorium „ungewöhnliche“ militärische Bewegungen geben würde. „Wir beobachten dies weiterhin genau. Ohne jetzt näher ins Detail zu gehen, denke ich, dass es wirklich eine Frage des Maßstabs ist. Es kommt auf die Größe der Einheiten an, die wir sehen. Jede eskalierende oder aggressive Aktion Russlands wäre sehr besorgniserregend“, zitiert „Voice of America“ Kirby. Es seien etwa 90.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine stationiert.

Die krimtatarische Nachrichtenagentur „Qırım Haber Ajansı“ („QHA“) meldet, dass Russland mindestens ein T-80U-Panzer-Bataillon in die Oblast Woronesch verlegt habe. Von dort aus soll das Bataillon in Richtung des Pogonovo-Trainingsgeländes verlegt und dort stationiert werden.

US-Außenminister Anthony Blinken teilte am 10. November 2021 nach Angaben der „New York Times“ mit: „Unsere Sorge ist, dass Russland einen schwerwiegenden Fehler machen könnte, wenn es das macht, was es 2014 gemacht hat, als es Truppen entlang der Grenze mobilisierte, in souveränes ukrainisches Territorium eindrang und dies tat, indem es fälschlicherweise behauptete, es sei provoziert worden.“

15 republikanische Vertreter des US-Repräsentantenhauses fordern US-Präsident Joe Biden in einem Offenen Brief auf, US-Truppen in die Ukraine zu entsenden. Aus dem Offenen Brief geht hervor: „Darüber hinaus fordern wir Sie (Joe Biden, Anm.d.Red.) dringend auf, unverzüglich eine angemessene US-Militärpräsenz in der Region in Betracht zu ziehen und geeignete Aktivitäten zum Austausch von Informationen zwischen den USA und der Ukraine einzuleiten, um eine weitere Eskalation der Situation zu verhindern.“

Ein britischer Regierungsbeamter sagte der US-Zeitschrift „Foreign Policy“ unter der Bedingung der Anonymität, dass die russischen Militärbewegungen „besorgniserregend“ und „nicht hilfreich“ seien. Großbritannien und die USA hätten ähnliche Ansichten über die Situation.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow antwortete: „Russland hält seine Truppenpräsenz auf seinem Territorium aufrecht, wo immer es für notwendig erachtet wird.“

Russland weist Vorwürfe zurück – kritisiert NATO und USA

Russland bestreitet jegliche aggressive Absichten. Stattdessen wirft der Kreml der US-Regierung provokative Absichten vor, weil die Amerikaner in der ersten November-Woche Kriegsschiffe in das Schwarze Meer entsendet hatten. Die Entsendung der Schiffe wurde von der Webseite „Military.com“ dokumentiert.

Am 11. November 2021 teilte der Pressesprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Generalmajor Igor Konaschenkow, in einem Video mit: „Das russische Verteidigungsministerium verzeichnet verstärkte militärische Aktivitäten der USA und ihrer NATO-Verbündeten in der Schwarzmeerregion (…) Vier NATO-Aufklärungsflugzeuge wurden in den letzten 24 Stunden von Flugabwehrradaren der russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte entdeckt und eskortiert. Die U-2S, RC-135 Aufklärungsflugzeuge und zwei P-8A ,Poseidon‘ Basispatrouillenflugzeuge überflogen den nordwestlichen und zentralen Schwarzmeer-Luftraum. Zwischen 12 und 15 Uhr versuchte ein RC-135-Aufklärungsflugzeug der britischen Luftwaffe, sich der Staatsgrenze der Russischen Föderation in der Nähe des südwestlichen Teils der Halbinsel Krim zu nähern. Ein Su-30-Kampfjet der russischen Luft- und Raumfahrtwaffe wurde aus dem Dienst gehoben, um seinen Einsatz zu überwachen. Etwa 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt näherte sich ein russischer Su-30-Kampfjet dem Aufklärungsflugzeug, woraufhin das britische Flugzeug seinen Kurs weg von der russischen Grenze änderte. Die USS ,Porter‘ und das Stabsschiff ,Mount Whitney‘ fahren nun weiter westlich des Schwarzen Meeres. Die US-Schiffe werden vom Kreuzer ,Moskva‘ und der Fregatte ,Admiral Essen‘ überwacht.

Konaschenkow wörtlich: „Das russische Verteidigungsministerium betrachtet die militärischen Aktivitäten der USA und ihrer Verbündeten in der Schwarzmeerregion als eine Probeübung im Zusammenhang mit dem zu erwartenden Kriegsschauplatz für den Fall, dass die Ukraine eine ,Gewaltlösung‘ für den Konflikt im Südosten vorbereitet. Diese außerplanmäßige Übung in der Nähe unserer Grenzen ist eine völlig unprovozierte aggressive Aktion der USA, die eine Bedrohung für die regionale Sicherheit und strategische Stabilität darstellt.“

Russlands Vize-Außenminister Sergej Rjabkow sagte nach Informationen der Nachrichtenagentur „Interfax“: „Die Risiken eines Zusammenstoßes im Schwarzen Meer wachsen. Das ist ein weiterer Versuch Russland auf seine Stärke hin zu prüfen.“ Doch wie wirken sich die aktuellen Spannungen auf die Ukraine-Politik der Deutschen und Franzosen aus?

Das Normandie-Format könnte einem „Hirntod“ erliegen

Deutschland und Frankreich sind darum bemüht, Gespräche mit Russland im Rahmen des Normandie-Formats zu führen. Das Normandie-Format ist ein Friedensgesprächsformat über den Krieg in der Ukraine, bestehend aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine. Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Emmanuel Macron und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj führten am 11. Oktober 2021 ein Telefongespräch, um die Vorbereitungen für einen möglichen zukünftigen Gipfel im Normandie-Format zu erörtern.

Merkel, Macron und der russische Präsident Wladimir Putin führten am selben Tag ein separates Telefonat und vereinbarten, die Voraussetzungen für die Abhaltung eines Gipfels im Normandie-Format festzulegen. Merkel, Macron und Putin führten zuletzt im Mai 2019 im Vorfeld des letzten Gipfeltreffens im Normandie-Format ein ähnliches Dreiergespräch. Während die USA mit dem Hinweis, dass Russland eine Invasion in der Ukraine erwäge, Druck auf Deutschland und Frankreich machen, hat sich in diesem Zusammenhang auch der russische Außenminister Sergej Lawrow zu Wort gemeldet.

Im Hinblick auf ein Treffen der Außen- und Verteidigungsminister Russlands und Frankreichs am 12. November 2021 sagte Lawrow einen Tag vor dem Treffen: „Ich betrachte die Warnung Frankreichs vor seinen Plänen, die Ukraine-Frage anzusprechen, als Beweis dafür, dass unsere französischen Kollegen erkennen, dass sie sich morgen – und im Allgemeinen – der Verantwortung für das, was ihre Schützlinge in Kiew tun, nicht entziehen können. Ich meine damit das Regime des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.“

„Wir werden ein sehr ernsthaftes Gespräch darüber führen“, sagte er und fügte hinzu, dass Frankreich und Deutschland Kiew erlauben, „alle Ratschläge und das Minsker Abkommen zu untergraben und offen und konsequent zu ignorieren“. Er meint, dass Deutschland und Frankreich die Ukraine gewähren lassen würden, wodurch sie auch verantwortlich seien für Kiews Position gegenüber Russland, berichtet die Moskauer Online-Zeitung „Lenta.ru“.

Einordnung der Geschehnisse

Die aktuellen Entwicklungen sind aus zweierlei Blickwinkeln besonders interessant. Zum einen wollen die USA, dass Deutschland und Frankreich (und die EU im Allgemeinen) gegenüber Russland eine harte Position einnehmen – mit dem Hinweis auf den Ukraine-Konflikt. Zum anderen macht der russische Chefdiplomat Lawrow Paris und Berlin für die politischen Aktionen Kiews im Ukraine-Konflikt verantwortlich.

Damit wird auch deutlich: Wenn die Friedensgespräche im Rahmen des Normandie-Formats wiederbelebt werden sollten, wird Moskau klare Bedingungen stellen, denen die Ukraine wahrscheinlich nicht zustimmen wird. Spätestens dann wäre dieses Format – und nicht in etwa die NATO – regelrecht „hirntot“.

Als große Spieler in der Ukraine würden dann die USA und Russland unter einer stillen und aktiven Beteiligung Großbritanniens übrigbleiben. Dass es im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt einen diplomatischen und militärischen Konsens zwischen Moskau und Washington gibt, ist sehr wahrscheinlich. Eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Mächten und ein „all-out-war“ in der Ukraine sind auszuschließen.

                                                                                ***

Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.


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