Deutschland

Impfpflicht: Darauf kommt es bei einer Gewissens-Entscheidung im Bundestag an

Lesezeit: 7 min
05.12.2021 13:01  Aktualisiert: 05.12.2021 13:01
Warum die Abgeordneten von Modellen einer allgemeinen Impfpflicht für die Bevölkerung vorerst Abstand nehmen sollten, erläutert DWN-Autor Prof. Dr. Werner Thiede.
Impfpflicht: Darauf kommt es bei einer Gewissens-Entscheidung im Bundestag an
Der Bundesadler. (Foto: dpa)

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Am 1. September hatte ich in den DWN die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht bald nach der Bundestagswahl prophezeit, obwohl das damals in weiten Kreisen noch als sehr unwahrscheinlich galt. Doch jetzt hat der desig­nierte Kanzler - noch vor seiner parlamentarischen Wahl - das Vorhaben eines ent­spre­chen­den Projekts angekündigt. Er tat das just an jenem 30. November, an dem das nach­träglich absegnende Urteil des Bundesverfassungsgerichts betreffs früherer Coro­na-Ausgangs- und Kon­taktsperren erging. Die Tendenz dieses Urteils lässt vermu­ten, dass auch eine gesetz­liche oder ver­ordnete all­gemeine Impfpflicht in Deutsch­land höchstrichterlich bejaht werden wird. Denn als maßgeblich gelten da der ange­führte Lebens- und Gesund­heits­schutz sowie die „Aufrechterhaltung eines funk­tions­fä­higen Gesundheits­systems“ als überragend wichtige Gemein­wohl-Be­lange. Prompt wird also jetzt unverhohlen eine generelle Impfpflicht an­ge­strebt – und zwar inhaltlich sogar mit einer Wiederholungsimpfpflicht! Olaf Scholz schlägt vor, die Abgeordneten von der Fraktionsdisziplin zu entbin­den, also tat­sächlich individuell nach ihrem Gewissen entschei­den zu lassen wie in ande­ren Fällen ethischer Fragen von Rang auch. Was aber bedeutet in die­sem Zu­sam­men­hang eine solch folgenreiche Gewis­sens­entscheidung?

Im Begriff „Gewissen“ steckt das Wort „Wissen“, und das lateinische Äquivalent con­scientia bedeutet wörtlich „Zusammenwissen“. Ganzheitlich könnte man sagen: Es geht bei Gewissensentscheidungen um die umsichtige und gemeinsame Be­rücksichtigung grundlegender Faktoren. Theologisch gesehen wäre das spirituelle Miteinander von Gott, Welt und Ich im Selbstbewusstsein konstitutiv für einen tragfähigen Gewissens­be­fund. Hingegen wären einseitig aufgenommenes „Wissen“, vorsortierte Erkenntnis oder reduktionistische Berücksichtigung von „Fakten“ Anzeichen für ein korrumpiertes Ge­wissen.

Sollen Abgeordnete in Kürze über eine wichtige ethische Frage frei nach ihrem Gewissen entschei­den, so wäre dafür zu fordern, dass sie möglichst umfassend und keinesfalls einseitig über den betreffenden Sachverhalt informiert sind. Das aber ist offenbar in Sachen all­gemeiner Impfpflicht keineswegs selbstverständlich. Denn nicht nur die Ge­sellschaft erweist sich in dieser Frage als gespalten, sondern auch die Wissenslage – und beides hat miteinander zu tun. Drei Parteiungen lassen sich ausmachen: Zum ersten sind da die Impfpflicht-Befürworter, die mittlerweile die dominante Mehrheit ausmachen. Deren Argumente bekommt man in den öffentli­chen Medien laufend zu hören – insbe­sondere das Stichwort „Solidarität“ als morali­sierendes Argument, wie es sich bei­spielsweise auch die neue EKD-Ratsvor­sitzende Annette Kurschus zu eigen gemacht hat. Zweitens gibt es die sogenannten Impf-Skep­tiker, die ihrerseits sachlich zu argumen­tie­ren pflegen, aber in den öffentlichen Medien deutlich weniger zu Worte kommen, wie etwa der Medizinethiker Prof. Axel Bauer. Und drittens machen die radikalen, mit­unter ver­schwörungs­theoretisch gepolten Impfgegner von sich reden; sie bewegen sich argu­men­tativ fast ausschließlich in ihren eigenen Zir­keln. Zu ihren teils recht abstrusen „Erzäh­lun­gen“ oder „Mythen“ zählt neuerdings sogar ein Buch von Thomas Mayer mit dem Titel „Corona-Impfungen aus spiritueller Sicht“, dem­zufolge die Auswirkungen bis hin­ein in „das nachtodliche Leben“ reichen! Damit wird mit hochproblematischen Argumenten Angst verbreitet.

Inzwischen aber wird kaum noch gefragt, wie es sein konnte, dass Bun­deskanzlerin Ange­la Merkel einst im Einklang mit anderen führenden Politikern ausdrücklich garan­tiert hat, in dieser Pandemie werde keine generelle Impfpflicht kommen. Wohlgemerkt, sie hatte das uneingeschränkt erklärt, weil sie sich einen entsprechend harten Ein­griff in die Grundrechte offenbar überhaupt nicht vorzustellen wagte – auch nicht unter kaum von vorn­herein auszuschließenden epidemiologischen Zuspitzungen! Wie konnte es also ge­sche­hen, dass die Wahrheit und das Gewissensempfinden von gestern heute offenbar mehr­heitlich Makulatur ist? Dass man sich noch vor zwei Monaten überwiegend kaum ausmalen wollte, das Bundesverfassungsgericht werde zu einer allgemeinen Impfpflicht Ja sagen, wäh­rend inzwischen die Stimmung – nicht zuletzt unter dem Einfluss von meist auffällig einseitig be­setz­ten und geleiteten Talkshows in ungefähr allen großen Sen­dern – weithin gekippt ist? Schützt denn das Grundgesetz nicht gerade Minder­hei­ten? Wür­de eine hochgradige indirekte Impfpflicht nicht genügen? Warum müssen ausge­rechnet Deutschland und Österreich die ersten Länder in Europa sein, die eine generelle Impfpflicht verordnen wollen, obwohl namentlich Deutschland keineswegs im Spitzenfeld der europäischen Inzidenzen liegt? Nicht einmal in der so strengen Volksrepublik China besteht eine allgemeine Impfpflicht!

In den USA stürmt derzeit ein Buch von Robert F. Kennedy Jr. die Bestsellerlisten: Es zeigt detailliert auf, wie Anthony Fauci, Bill Gates und andere einflussreiche Größen ihre Kontrolle über Medien, wissenschaftliche Fachzeitschriften und wichtige staatliche Ein­richtungen nutzten, um Kritiker einer rigorosen Impfpolitik zum Schweigen zu brin­gen. In Deutschland, wo jenes Buch im Februar erscheinen wird, hat der Ex-Präsident des Bundesver­fassungs­gerichts, Hans-Jürgen Papier, betont, es gelte für die an Ent­schei­dun­gen Beteiligten, die Karten auf den Tisch zu legen und für Trans­parenz hin­sicht­lich be­stehender und kommender Problemstellungen zu sorgen[i].

Steht im Bundestag bis Weihnachten eine Abstimmung über die Einführung einer allge­meinen Impf­pflicht, ja einer Wiederholungsimpfpflicht, also über einen sehr schweren Eingriff in die Grund­rechte an, so ist Transparenz und breite Wis­sensorientierung in der Sache die eigentlich unabdingbare Voraussetzung für wirklich gewissenhafte Ent­schei­dungen. Nicht Verschwörungs-My­then dürfen da von Einfluss sein, aber auch keine Monopolauskünfte bestimmter Wis­sen­schaftler, während politisch eher unwillkommene Resultate aus universitärer For­schung unter den Tisch gekehrt werden. Darum ist es jetzt enorm wichtig, neuere, wis­senschaftlich seriöse Studienergebnisse öffentlich und auch im Bundestag mit zu be­den­ken, die gerade deshalb im Interesse der Allgemeinheit Gehör verdienen, weil sie Kern­probleme der bisherigen Impfstoffe kritisch benennen. Denn eine vielleicht anderslau­tende Mehrheitsmeinung in der Wissenschaft ist noch keine Garantie auf Wahrheit – zu­mal in Zeiten immer offenkundigerer Fremdeinflüsse auf viele wissenschaftliche For­schungs­ergebnisse.

Im Oktober haben Hui Jiang und Ya-Fang Mei mit einer von Geldgebern ex­plizit unbe­ein­fluss­ten Corona-Studie nach­gewiesen, dass die DNA-Reparatur im Zellkern durch das vollständige Spike-Protein – und zwar auch durch künstlich erzeugte Spike-Prote­ine – ge­hemmt wird[ii]. Zu ihrer Überra­schung fanden die Forscher das Spike-Protein nicht nur im Zellinne­ren, sondern auch im Zellkern selbst – sogar mehr als in der Zell­mem­bran. Sie unter­streichen von daher die Möglichkeit von Nebenwirkungen und bedenk­lichen Fol­gen solcher Impf­stoffe. Allerdings be­legt ihre lediglich im Labor (in-vitro) er­folgte For­schung keineswegs eindeutig, dass mRNA-Gentherapien im mensch­li­chen Körper zwangs­läu­fig die DNA-Reparaturfunktion stö­ren und zu Immun­schwäche oder Krebser­krankungen führen[iii]. Doch ist da­mit eben diese düstere Möglich­keit durchaus er­öffnet, weshalb tatsächlich erst die Langzeit­per­spektive mehr Klarheit brin­gen kann.

In ähnliche, noch bedenklichere Richtung weist jetzt ein Forschungs­ergebnis aus der Universität Stock­holm: Eine peer-review-überprüfte Studie zeigt auf, dass das Spike-Pro­tein von SARS-CoV-2 in den Zell­kern eindringen und dort die Fähigkeit der DNA zur Selbstreparatur schädigen kann[iv]. Darin sehen die Wissenschaftler nicht nur eine mögli­che Erklärung für schwere COVID-19-Infektionen, sondern auch für eventuelle Neben­wirkungen der aktuellen Impfstoffe, die die Produktion von Spike-Proteinen anregen. Von daher schlagen sie vor, bei Impf­stoffen an­stelle des voll­ständigen Proteins nur noch be­stimmte Teile des Spike-Proteins zu ver­wenden. So könnten neue Stra­tegien für Imp­fungen entwickelt werden, die wirk­samer und siche­rer sein dürften.

Diese Forschungsresultate und Perspektiven sollten Bundestagsabgeordnete gewis­sen­haft zur Kenntnis nehmen und abwägend einbeziehen, wenn sie demnächst über die Frage einer allgemei­nen Impfpflicht abzustimmen haben. Schließlich geht es dann nicht darum, Impf­gegner um die von ihnen angeblich beanspruchten „Sonderrechte“ – so der Grünen-Politiker Cem Özdemir in unsachlicher Polemik – zu bringen, sondern Impf­skep­ti­kern ihre Grund­rech­te möglichst weiterhin zuzugestehen und im Miteinander darum zu rin­gen, die All­ge­meinheit vor falschen Wegen zu bewahren. Zurecht warnt aktuell der Ökonom Mar­cel Fratzscher, die Einführung einer all­gemeinen Impfpflicht würde unsere Gesell­schaft noch stärker polarisieren, und eine Impf­-Kampagne, die ausschließlich auf mehr Druck und Zwang setze, könnte ihre Ziele verfehlen[v]. Ähnlich mahnte bereits in der „Tagesschau“ am 23. November ein Kommentar von Thomas Berbner: „Ausgrenzung und Zwang sind der falsche Weg.“[vi] Und der Jurist und einstige Innenminister Otto Schily (SPD) betonte am 2. Dezember: „In einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie darf sich der Staat nicht anmaßen, dem einzelnen Menschen eine bestimmte ärztliche Behandlung aufzuzwingen, das gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass es sich um neu entwi­ckelte Impfmethoden handelt, deren Langzeitfolgen nach einem relativ kurzen Zeitab­schnitt der Anwendung keineswegs abschließend verlässlich beurteilt werden können. Eine allgemeine Impfpflicht ist schlicht verfassungswidrig.“[vii] Gleichwohl bleibt zu be­rücksichtigen, dass von Seiten des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte kei­ne Einwände gegen die nationale Einführung einer eigenen Impfpflicht bestehen[viii].

Und es sieht ganz so aus, als würde dieser Weg jetzt in Deutschland radikal einge­schla­gen – wobei nicht zuletzt psychologische Faktoren eine kaum zu verkennende Rolle spielen. Mittels keineswegs klarer Zahlen werden Ungeimpfte pauschal zum Sündenbock für die anhaltende Pandemie erklärt. Wäre aber eine Impfpflicht, die mit Strafan­dro­hungen gegen die auf ihre Grundrechte Bestehenden durchge­setzt wird, wirklich moralisch gut zu heißen? Würde sie nicht Mil­lionen Bürgerinnen und Bürger ihrem Staat entfremden und, ihre Mei­nungsfreiheit missachtend, in die Verzweiflung, ja zum Teil vielleicht in die Armut treiben? Und womöglich vermehrt auch in die politische Radikalität? Der Theologe Joachim Cochlo­vius mahnt: „Christen müssen wach­sam sein, wenn der Staat beginnt, die ihnen durch das Grund­gesetz zuste­henden Frei­heitsrechte einzuschränken.“[ix]

Rechtfertigt denn der Wunsch nach Ver­mei­dung eines neuen Lockdowns, wie der Bun­desverband Mittel­ständische Wirtschaft behauptet, die Einschränkung des Grundrechts auf kör­perliche Un­ver­sehrt­heit? Geht es insgeheim um finanzielle Interessen?[x] Wäre nicht viel­mehr der breite Nutzen der Impfung mit ihrem womög­lich doch breiten Scha­den auf län­gere Sicht noch gewissenhafter abzuwä­gen? Ich meine, es sind noch keines­wegs alle Argumente ausgetauscht, und man müsste erst noch inten­siver darüber for­schen, ob nicht vielleicht die Kombination von ständig zu erneu­ernder Impf-Immun­flucht und dominanter Zirkulation hochinfektiöser Varianten eine ungewollte Be­schleu­ni­gung der Virus-Resistenzen zur Folge haben könnte. Politische Entscheider wären gut beraten, sich mit der eventuellen Ein­führung einer allgemeinen Impfpflicht noch Zeit zu lassen – zumal klar ist, dass die der­zeitige vierte Corona-Welle ohnehin durch eine Impf­pflicht, deren eilige Umsetzung sowieso unrealistisch wäre, nicht mehr gestoppt werden kann. Be­kanntlich flaut eine Corona-Welle in der warmen Jahreszeit ab: Auch deshalb wäre es einigermaßen abwegig, um den Beginn des neuen Jahres eine Impfpflicht zu etablieren. Wenn überhaupt, dann könnte das für den Sommer mit Blick auf den näch­sten Herbst und Winter ratsam sein. Und bis dahin dürften auch andere, nach tradi­tionellen Prinzipien her­ge­stellte Impfstoffe auf dem Markt sein, was es vielen Impf­skeptikern enorm erleichtern würde, zu einer Impfung "Ja" zu sagen.

Jedenfalls sind zu solidarischer Nachdenklichkeit und wissenschaft­licher Offen­heit nicht nur Impfskeptiker aufgerufen, sondern des­gleichen die Impfbe­für­wor­ter. Seriöse Argu­mente unterschied­licher Seiten wahrzuneh­men und in die je eige­ne Entscheidungs­findung aufzunehmen, gehört zu jener Gewi­ssenhaftigkeit, die den Abgeord­neten gerade bei der Impfpflicht-Debatte im Interesse des Gemein­wohls und eines nach wie vor freiheitlichen Rechts­staats zu wünschen ist. Wenn im Bundestag demnächst mehrere Modelle zur Abstimmung kommen, sollte übrigens unbedingt darauf geachtet werden, ob „Kompromiss-Vorschläge“ wie etwa die Verpflichtung einer bestimmten Altersgruppe aus medizinisch-epidemiologischer Sicht wirklich sinnvoll oder nur Ausdruck eines möglichst kompromissfähigen politischen Agitationswillens wären. Das Gewissen lässt sich leider allzu leicht korrumpieren. Umso mehr bleibt an die klare Empfehlung der Parlamentari­schen Ver­sammlung des Euro­para­tes vom 27. Januar zu erinnern, die laut Reso­lu­tion 2361 allen Wert darauf legt, „dass die Imp­fung NICHT ver­pflich­tend ist und dass nie­mand politisch, ge­sell­schaft­lich oder ander­weitig unter Druck ge­setzt wird, sich impfen zu las­sen, wenn er dies nicht selbst möch­te.“ Ich halte es von daher und aus den genannten aktuellen Gründen mit all jenen Staatsrechtlern und Ethikern, die eine allgemeine Impfpflicht nach wie vor als einem freiheitlichen Rechtsstaat unangemessen empfinden.

[i] Hans-Jürgen Papier: Freiheit in Gefahr. Warum unsere Freiheitsrechte bedroht sind und wie wir sie schützen können, München 2021, 279.

[vii] Otto Schily: Impfpflicht, eine verfassungswidrige Anmaßung, in: DIE WELT vom 2.12.2021, 7.

[ix] Joachim Cochlovius: Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt. Christsein in Coronazeiten, Walsrode 2021, 11.

[x] Vgl. Walter van Rossum: Die Intensiv-Mafia. Die Hirten der Pandemie und ihre Profite, München 2021.

Dr. theol. habil. Werner Thiede ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Er­lan­gen-Nürnberg, Pfarrer i.R. und Publizist (www.werner-thiede.de). Zuletzt erschien von ihm „Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Menschheitsfrage“ (2. Auflage, Berlin 2022); im Druck befindet sich das Büchlein „Himmlisch wohnen. Auferstanden zu neuem Leben“ (Leipzig 2023).


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