Weltwirtschaft

Ein wirtschaftlicher Kollaps Chinas würde die Welt hart treffen - aber auch Chancen eröffnen

Lesezeit: 4 min
10.12.2021 12:05  Aktualisiert: 10.12.2021 12:05
Die Anzeichen mehren sich, dass China bald einen gewaltigen Konjunktureinbruch erleiden wird.
Ein wirtschaftlicher Kollaps Chinas würde die Welt hart treffen - aber auch Chancen eröffnen
Eine Mitarbeiterin von "Tangshan Kobelco" in Tangshan (nordchinesische Provinz Hebei) arrangiert Schweißdrähte. Das Foto stammt aus dem Juli 2020 - damals lief die Konjunktur der Volksrepublik noch rund. Und jetzt? (Foto: dpa)

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Risiken ...

China befindet sich in einer ungewöhnlichen Position: Es ist gleichzeitig der größte Gläubiger und einer der größten Schuldner der Welt, wobei es - von allen großen Schuldner-Ländern - das instabilste und risikobehaftetste ist. Besonders beunruhigend ist die Tatsache, dass seine Staatsbanken auf Bergen von Forderungsausfällen und notleidenden Krediten sitzen, insbesondere im Immobiliensektor. Und das ist nur das, was an der Oberfläche zu sehen ist. Darunter verbirgt sich eine erstaunliche Menge an Schulden, die nur schwer zuzuordnen sind, an außerbilanziellen Krediten, Vermögensverwaltungsprodukten und Finanzierungsinstrumenten. Alles in allem ist Chinas Schuldenberg erheblich größer, als es auf den ersten Blick scheint. „In China gibt es eine gefährliche Schuldenblase, es ist eine tickende Zeitbombe, die chinesische Beamte zu verbergen versucht haben. Chinas Gesamtverschuldung beträgt jetzt weit über 270 Prozent seines BIP. Seine ausstehende Auslandsschulden erreichen im Jahr 2020 2,4 Billionen Dollar“, so die „WION“-Analystin Palki Sharma.

Es scheint, als ob der kometenhafte Wirtschaftsaufschwung, den die Volksrepublik in den vergangenen Jahrzehnten hingelegt hat, zum Erliegen kommt. Generell gilt: Wenn die Wirtschaft des chinesischen Giganten ins Stocken gerät, betrifft dies alle wichtigen Handelspartner, also im Grunde die ganze Welt. Länder rund um den Globus werden zum einen eine geringere Nachfrage nach ihren Produkten zu spüren bekommen (von Seiten Chinas, aber auch von Seiten der chinesischen Handelspartner, denen wegen Chinas Problemen weniger Geld zur Verfügung steht), als auch mehr Geld für Importe ausgeben müssen (denn die chinesischen Waren sind nach wie vor verhältnismäßig günstig). Die Entwicklungsländer könnten am stärksten leiden, insbesondere diejenigen Länder, die auf den Verkauf natürlicher Ressourcen an China oder auf chinesische Auslandshilfe angewiesen sind. In den entwickelten Ländern wird es besonders solche Unternehmen treffen, die stark in chinesische Unternehmen und Aktien investiert haben. Und was die Bundesrepublik angeht: Unser Land wird besonders mitgenommen werden - schließlich ist es als exportorientierte Nation extrem abhängig von chinesischen Abnehmern. Die Bundesregierung unter Merkel mit ihrer merkantilistischen Wirtschaftspolitik hat ihren Beitrag dazu geleistet, dass aus Wolfsburg, Sindelfingen und Co. derzeit bange Blicke nach Fernost gehen.

... und Chancen

Es gibt aber auch Akteure, denen ein schwerer Wirtschaftsabschwung oder gar ein wirtschaftlicher Zusammenbruch Chinas zugute kommen würden. Länder wie Indien, Vietnam oder Indonesien könnten von der Neuausrichtung der Lieferketten, die nach einem China-Crash unweigerlich erfolgen würden, in hohem Maße profitieren. Solch ein Crash würde auch die Abwanderung vieler ausländischer Unternehmen aus der Volksrepublik nach sich ziehen, was ebenfalls den asiatischen Tigerstaaten sowie Indien als auch einer Reiher anderer Ländern nützen würde. Darüber hinaus würde die Abhängigkeit der Welt von China verringert werden, was wiederum (geo)politische Auswirkungen nach sich ziehen würde - beispielsweise könnten in der Taiwan-Frage viele Staaten einem geschwächten China gegenüber wieder selbstbewusster auftreten.

Chinas Wirtschaft: Schwere Probleme

Dass die chinesische Wirtschaft in Schwierigkeiten verkehrt, ist unübersehbar. Wie der der englischsprachige Dienst von Reuters vermeldet, leiden die Unternehmen im Reich der Mitte unter Lieferkettenstörungen, höheren Einstandskosten und logistischen Problemen. An den chinesischen Häfen finden Kraftstoff- und Strom-Rationierungen statt. Die Preise „ab Werk“ sind stetig gestiegen. All diese Umstände haben die Kosten von Fertigungsprodukten auf den höchsten Stand seit 13 Jahren getrieben. Überhaupt hat sich die Produktion in den Fabriken, einst die Triebkräfte der chinesischen Wirtschaft, stark verlangsamt. Die Einfuhr von Stahl ist zurückgegangen. Die Kohle-Importe waren im Oktober 2021 gegenüber September 2021 rückläufig.

Auch die Bautätigkeit ist stark zurückgegangen (wie überhaupt die Wirtschaft träge ist). Im Juni 2021 konnte Chinas zweitgrößter Immobilienentwickler Evergrande eine kurzfristige Schuld nicht begleichen, und die chinesische Regierung fror die Bankkonten des Unternehmens ein. Die Geschehen dominierte monatelang die Medien, wobei die Sorge geäußert wurde, dass die Folgen nicht nur die chinesische Wirtschaft schwächen, sondern möglicherweise auch die Weltwirtschaft beeinträchtigen könnten, wenn das Unternehmen seine Verbindlichkeiten in Höhe von 305 Milliarden US-Dollar nicht mehr erfüllen würde.

Im Oktober 2021 verpasste ein weiteres chinesisches Bau-Unternehmen, die Fantasia Holdings Group, die Rückzahlung von 206 Millionen Dollar in fünfjährigen Dollaranleihen. Später im selben Monat geriet die Tochtergesellschaft der China Properties Group, Cheergain Group, mit Schuldenzahlungen im Wert von 226 Millionen US-Dollar in Verzug. Fast zur gleichen Zeit versäumte ein anderes Bau-Unternehmen, Modern Land China, die Zahlung von Kapital oder Zinsen für eine 250-Millionen-Dollar-Anleihe. Der jüngste Neuzugang auf der Liste der in Not geratenen Bau-Unternehmen ist der Hausbauer Sinic Holdings, der ebenfalls mit 250 Millionen US-Dollar in Zahlungsverzug geraten ist. Eine weitere Firma, Kaisa Group Holdings, läuft Gefahr, seine Schuldentilgungen zu verpassen. Der Börsenwert des Unternehmens wurde auf etwa eine Milliarde US-Dollar geschätzt, verzeichnete dann jedoch einen Kursverlust von 15 Prozent, als der mögliche Zahlungsausfall bekannt gegeben wurde.

Unter einem Rückgang des Neubausektors in China leidet übrigens auch das Ausland: Exporteure von Energie und Kohle wie die Mongolei oder Russland sowie Rohstoff- und Mineralien-Exporteure in Afrika und anderen Entwicklungsländern sind betroffen.

Billionen stehen im Feuer

Wie stellt sich die oben bereits angesprochene Situation Chinas als Schuldner dar? Ende 2020 beliefen sich Chinas Auslandsschulden auf rund 2,4 Billionen Dollar. Die Unternehmensverschuldung beträgt den Gegenwert von unglaublichen 27 Billionen US-Dollar, während die Gesamtverschuldung des Landes 300 Prozent des BIP (2020: 14,72 Billionen Dollar) übersteigt, so „Quartz“. Chinas Staatsverschuldung liegt bereits 60 Prozent über dem Durchschnitt anderer Länder, und die Schuldenquote wächst jährlich um etwa 11 Prozent. Da Chinas BIP in den letzten Jahren um durchschnittlich deutlich weniger als 11 Prozent jährlich gewachsen ist, übersteigt die Zunahme seiner Verschuldung sein BIP-Wachstum.

Für Pensionsfonds, Privatpersonen und institutionelle Anleger, die stark in chinesische Unternehmen investiert haben, könnte ein chinesischer Konjunktureinbruch äußerst unangenehme Folgen haben. Auch die Inhaber von Chinas Fremdwährungsschulden in Höhe von 2,4 Billionen Dollar müssen sich unter Umständen auf unangenehme Nachrichten gefasst machen. In Entwicklungsländern, die von der Fertigstellung von Infrastrukturprojekten im Rahmen von Chinas „Neuer Seidenstraße“ abhängig sind, könnten unfertige Baustellen, Autobahnen und Kraftwerke zurückbleiben, die sich als teuer und nutzlos erweisen.

Die meisten Geschäftsbanken in China befinden sich in Staatsbesitz und treffen ihre Entscheidungen daher oft eher auf der Grundlage von Regierungserlassen als auf wirtschaftlichen Erwägungen. Dazu gehört auch die Kreditvergabe an staatliche, staatlich kontrollierte oder staatlich begünstigte Unternehmen und Industrien trotz des Risikos, dass das Geld nicht zurückgezahlt wird. Folglich beliefen sich die notleidenden Kredite chinesischer Banken im Jahr 2020 auf mehr als eine halbe Billion (540,79 Milliarden) Dollar, so der englischsprachige Dienst von „Reuters“. Chinesische Banken halten auch notleidende Kredite mit Ausfallrisiko, die in China als „besondere Erwähnungen“ bezeichnet werden und sich auf fast eine Billion (990,22 Milliarden) US-Dollar belaufen.

Fazit

Chinas Probleme sind riesig. Was in dieser Situation hilft, ist - so zynisch es klingen mag - der Umstand, dass die Volksrepublik keine Demokratie ist, sondern ein autokratisches Einparteiensystem. Peking wird die Zügel anziehen, unter Umständen schmerzhaft straff - vielen Chinesen stehen möglicherweise unangenehme Zeiten bevor. Doch nicht nur ihnen. Die Weltwirtschaft ist so stark verwoben mit der zweitgrößten Volkswirtschaft, mit der größten Handelsnation der Erde, dass die Erschütterungen, die von einem möglichen Konjunktureinbruch in China ausgehen, noch bis in den hintersten Winkel des Globus zu spüren sein werden. Vielleicht ist dies der Weckruf, den man in Deutschland braucht, um festzustellen, dass die Abhängigkeit, in die man sich gegenüber dem Reich der Mitte begeben hat, ein erträgliches Maß überschritten hat. Höchste Zeit für die neue Bundesregierung, darauf zu reagieren - das Abhalten eines innerdeutschen Chinagipfels unter Beteiligung von Politik und Wirtschaft ist das Gebot der Stunde, je früher desto besser.

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