Die Inflation in der Türkei hat sich von einem extrem hohen Niveau aus weiter beschleunigt. Die Verbraucherpreise seien im Januar gegenüber dem Vorjahresmonat um 48,7 Prozent gestiegen, teilte das nationale Statistikamt am Donnerstag in Ankara mit. Im Vormonat hatte der Anstieg 36 Prozent betragen. Analysten hatten für Januar mit einer Rate von im Schnitt 46,7 Prozent gerechnet.
Besonders beunruhigend: Im Monatsvergleich zu Dezember erhöhten sich die Verbraucherpreise ebenfalls stark um 11,1 Prozent.
Die hohe Teuerung ist vorwiegend Folge der schwachen Lira, da sie Einfuhren verteuert. Nach einem dramatischen Sinkflug 2021 ist der türkischen Regierung mittlerweile eine Stabilisierung der Landeswährung gelungen, indem sie für Verluste aus Währungsschwankungen unter bestimmten Bedingungen einspringt. An der lockeren Ausrichtung der türkischen Geldpolitik, laut Experten die Hauptursache der schwachen Lira, hat sich bisher aber nichts geändert. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist erklärter Gegner hoher Zinsen, die von Ökonomen als Mittel gegen hohe Inflation empfohlen werden.
Wie stark sich der Preisanstieg importierter Güter in die Türkei auswirkt, zeigt unter anderem die Entwicklung der Erzeugerpreise. Die Preise, die Produzenten für ihre Waren verlangen, legten im Januar um 93,5 Prozent im Jahresvergleich zu. Die Erzeugerpreise dürften mit einer Verzögerung zumindest teilweise auf die Verbraucherpreise durchschlagen.
Erdogan findet „Schuldigen“
Im Vorfeld der Veröffentlichung der extrem hohen Inflationsdaten hatte Erdogan den Leiter der nationalen Statistikbehörde entlassen. Erdogan ernannte am Samstag den früheren Vize-Chef der türkischen Bankenaufsicht, Erhan Cetinkaya, zum Nachfolger des bisherigen Behördenchefs Sait Erdal Dincer.
Erdogan nannte keinen Grund für die Entlassung Dincers, die 18 Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl erfolgte. Dincer war Anfang Januar in die Kritik geraten, nachdem seine Behörde einen Anstieg der Inflationsrate um gut 36 Prozent im Vorjahresvergleich bekanntgegeben hatte. Dies war der höchste Wert seit mehr als 19 Jahren. Bereits im November 2021 hatte die Inflationsrate rund 21 Prozent erreicht.
Nach der Installation eines Erdogan-treuen Statistikers an der Spitze der Behörde ist die Wahrscheinlichkeit beträchtlich gestiegen, dass sich die Geldentwertung in den kommenden Monaten „wie von Zauberhand“ schrittweise wieder abschwächen wird. In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei sagte der türkische Finanzminister Nureddin Nebati, dass er den Höhepunkt des Preisanstiegs im April erwartet. Seiner Einschätzung nach dürfte die Inflationsrate dabei nicht über die Marke von 50 Prozent steigen.
Ein von der dpa befragter Analyst der Commerzbank verwies explizit auf den kürzlich erfolgten Wechsel an der Spitze des türkischen Statistikamtes. Am Markt gebe es mittlerweile die Sorge, dass die personelle Veränderung Konsequenzen für die Zuverlässigkeit künftiger Konjunkturdaten aus der Türkei haben könnte. „Dieser Cocktail aus wenig glaubwürdiger Geldpolitik, Irrungen und Wirrungen der Zentralbank und Dazwischengrätschen der Regierung ist ein alter Bekannter und dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit früher oder später die nächste Lira-Krise auslösen“, warnte Ghose.
Angesichts der hohen Inflation wächst auch der Unmut bei den Menschen: Seit Tagen streiken in der Türkei Mitarbeiter mehrerer Unternehmen, darunter solche des Online-Shops Hepsiburada oder dem Lieferdienst Yemeksepeti. Unter anderem legten Kurierfahrer ihre Arbeit nieder. Sie forderten höhere Löhne angesichts der krassen Preissteigerungen etwa bei Lebensmitteln und Energie.
In der Türkei gebe es Tausende Universitätsabsolventen, die mehrere Sprachen sprechen und als Kurierfahrer arbeiteten, weil sie sonst keine Arbeit fänden, sagte Ali Riza Kücükosmanoglu, Chef der Speditionsgewerkschaft Nakliyat-Is, der Deutschen Presse-Agentur. Die Jugendarbeitslosigkeit lag nach offiziellen Angaben im November bei mehr als 22 Prozent. Die Gewerkschaft geht aber von einer noch höheren Zahl aus.
Am Devisenmarkt geriet die türkische Lira nach der Veröffentlichung der Inflationsdaten unter Druck. Allerdings hielten sich die Kursverluste im Handel mit dem US-Dollar und dem Euro in Grenzen und betrugen jeweils weniger als ein Prozent.