Finanzen

BERNEGGER ANALYSIERT: Die Inflation wird lange anhalten - der Westen sitzt in der Energiefalle

Lesezeit: 7 min
13.02.2022 08:15  Aktualisiert: 13.02.2022 08:15
Michael Bernegger zeigt auf, wie unsere fehlgeleitete Politik dafür sorgt, dass wir der Inflation nicht entrinnen können.
BERNEGGER ANALYSIERT: Die Inflation wird lange anhalten - der Westen sitzt in der Energiefalle
Benzin ist in Deutschland teuer wie nie. (Foto: dpa)

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Die Inflation ist in den USA, in Europa und in Deutschland scharf angestiegen. Es zeigt sich das Bild einer spätzyklischen Inflationsbeschleunigung. In Teil eins dieses Artikels wurden die Inflationszahlen im historischen Vergleich dargestellt. Schwieriger als die Beschreibung ist allerdings die Interpretation des Inflationsbildes, und davon abgeleitet der Inflationsaussichten. Für die nächsten Monate dürfte ein weiterer Anstieg der Inflationsraten in der Pipeline sein (entschuldigen Sie bitte dieses Wortspiel, ich konnte nicht widerstehen). Das ergibt sich allein schon aus dem Anstieg der Erdölpreise bis zum heutigen Tag. Bis sich dieser Anstieg durch das System gearbeitet hat, dürfte es noch einige Monate dauern.

Das weitverbreitete Narrativ ist heute, dass dieser steile Inflationsanstieg vorübergehend sein wird. Das ist auch tatsächlich eine Möglichkeit - gibt es keinen weiteren Anstieg der Energiepreise (so wie wir ihn in den vergangenen zwei Jahren hatten), ergibt sich automatisch ein Basiseffekt, der die zukünftige Inflation drücken wird. Würden die Energiepreise gar sinken, so ergäbe sich sogar ein negativer Effekt, der die Teuerung nicht nur drücken, sondern massiv zurückgehen lassen würde. Die Energiepreise sind also der wichtigste Faktor für das laufende Jahr und die Zeit danach. Anmerkung: Derzeit ist eine Risikoprämie wegen einer möglichen russischen Invasion der Ukraine in die Energiepreise eingebaut. Fände diese statt, und würden die angedrohten Sanktionen der USA und Westeuropas nicht völlig zahnlos ausfallen, würden die globalen Energiepreise schlicht explodieren und dem Konjunktur-Aufschwung wohl nicht nur in Europa, sondern auch in den USA ein jähes Ende setzen.

Eine Denkschule in Amerika sagt, nicht ganz zu Unrecht, dass Deutschland und ganz Europa bezüglich der Energie-Abhängigkeit von Russland in der Falle säßen. Das Gleiche gilt aber für die Vereinigten Staaten ebenfalls. Die unsägliche Interventions-, Invasions-, Besetzungs- und Sanktionspolitik vergangener Präsidenten seit G.W. Bush gegenüber großen anderen Erdöl- und Erdgasproduzenten wie dem Irak, dem Iran, Venezuela und Russland ist ein potentieller Rohrkrepierer erster Güte. Diese vier Länder sind vier der sechs größten Erdöl- und Erdgas-Produzenten der Welt (neben den USA und Saudi-Arabien). Darüber hinaus sind temporär oder permanent auch einige kleinere Produzenten-Länder wie Syrien und der Jemen Objekte der amerikanischen Militär- und Sanktionspolitik geworden. Mit Ausnahme Russlands hat dies die Entwicklung des Angebots und der Produktionskapazität großer OPEC-Produzentenländer über Jahre, wenn nicht über Jahrzehnte, massiv geschwächt.

In die gleiche Richtung hat die hoch defizitäre und nicht-nachhaltige Förderung von Schiefergas und Schieferöl in den USA gewirkt. Sie entspringt letzten Endes einer viel zu expansiven Geldpolitik der Federal Reserve. Bedingt durch einen dadurch hervorgerufenen globalen Anlage-Notstand, mussten Investoren in hoch-riskante Anlagen wie high-yield Bonds mit wackligen oder sogar betrügerischen Geschäftsmodellen ausweichen. Durch diese Subventionierung durch die Anleger, welche im Übrigen enorme Verluste erlitten haben, wurden die Preise für Energie auf den Weltmärkten für ein volles Jahrzehnt künstlich gedrückt, mit diversen Auswirkungen:

  • Auf der Nachfrageseite haben die viel zu niedrigen Energiepreise hoch ineffiziente Verbrauchsgewohnheiten von privaten Haushalten und Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes angeheizt, und zwar zuallererst und zuvorderst in den USA. Zu denken ist hier etwa an die Nachfrage nach SUVs, Pick-ups und Crossovers, die heute bei den Autozulassungen dominieren. Diese Gefährte sind schwer, alles andere als aerodynamisch, häufig übermotorisiert und deshalb zumeist mit viel zu hohem Treibstoff-Verbrauch belastet. Auch bei Heizungen, den Baustandards sowie dem Elektrizitätsverbrauch von Elektronik und technischen Gadgets haben die niedrigen Energiepreise in die gleiche Richtung gewirkt. Darüber hinaus sind der Verbrauch von (erdölbasierten) Plastik- und Kunststoff-Produkten in die Höhe geschossen. Wichtig ist, dass diese überhöhte Energienachfrage noch lange anhalten wird: Moderne hochmotorisierte Autos haben eine Lebenszeit von bis zu 20 Jahren, Gebäude halten selbstverständlich noch viel länger.
  • Auf der Angebotsseite haben die viel zu niedrigen Energiepreise die Investitionstätigkeit der restlichen Produzentenländer außerhalb der Vereinigten Staaten sabotiert, nicht nur des Irans, des Iraks oder Venezuelas, sondern auch der meisten von Sanktionen nicht betroffenen Produzentenländer. Bei vielen Projekten konnte die Gewinnschwelle aufgrund der niedrigen Preise nicht erreicht werden. Der Effekt dieser zu niedrigen Energiepreise ist eine viel zu geringe Investitionstätigkeit in den vergangenen zehn Jahren auf globaler Ebene. Noch dazu war diese Investitionstätigkeit fokussiert oder konzentriert auf die amerikanische Fracking-Industrie, welche besonders kapitalintensiv ist (tiefe Bohrlöcher, komplexe Fördertechnik) und darüber hinaus nur kurze Ausbeutungs-Zeiten der Bohrlöcher erlaubt. Genau wie auf der Nachfrageseite hat diese Angebots-Restriktion Effekte und Konsequenzen weit in die Zukunft. Die geringe Investitionstätigkeit der letzten Jahre schränkt das globale Angebot und die Produktionskapazität auf Jahre hinaus ein.
  • Hinzu kommt, dass die vielen inhärenten Widersprüchlichkeiten des Great-Reset-Projekts des WEF und seiner vielen Jünger und Gläubigen in Regierungen, Zentralbanken und Medien diese über ein Jahrzehnt aufgebaute Fragilität der Energiemärkte noch verstärken. Einer der Kernpunkte des „Great Reset“ ist die die Abkehr von fossilen Treibstoffen, welche in Rekordzeit erreicht werden soll. Sichtbarer Ausdruck dessen sind die Ziele der westlichen Industrieländer, die allerorten verkündet worden sind. Deutschland will den CO2-Ausstoß bis 2030 halbieren, ebenso die Europäische Union und die Vereinigten Staaten. Das sind hehre, aber wohl komplett unrealistische Ziele, die jedoch eine ganz erhebliche Nebenwirkung haben: Sie signalisieren Autoherstellern, innerhalb welcher Frist sie ihre Produktion umstellen müssen, und geben anderen Industrien, Behörden und Haushalten klare Vorgaben über das weitere Vorgehen - aber sie führen auch dazu, dass die Energieproduzenten nur noch in Projekte mit sehr kurzer Reifungs- und kurzer Nutzungs-Laufzeit investieren. Geplant ist eine 50-prozentige Reduktion des CO2-Ausstoßes bis 2030, das heißt, die Energie-Produzenten werden nicht mehr investieren. Einzige Ausnahme: die amerikanischen Fracking-Produzenten, welche die Produktion rasch und für kurze Fristen von jeweils ein bis zwei Jahren pro Bohrstelle hochfahren können. Mit anderen Worten, das globale Angebot auf den Energiemärkten wird sich immer weiter zurückbilden. Die historische Erfahrung ist, dass die Energie-Nachfrage wenig preiselastisch ist, also nicht im gleichen Maße sinken wird, wie die Preise steigen. Als Resultat dürften die Energiepreise weiter in die Höhe gehen, und dies möglicherweise in explosiver Form.

Dieses inkohärente Ensemble amerikanische Energie-Politiken hat Russlands Position im globalen Angebots- / Nachfrage-Gleichgewicht auf den Energiemärkten enorm gestärkt. Präsident Wladimir Putin ist mittlerweile zusammen mit dem Thronfolger Saudi-Arabiens, Mohammed bin Salman, der starke Mann in der Allianz der OPEC-Produzentenländer und der Nicht-OPEC Produzentenländer, während diese Rolle früher allein Saudi-Arabien zukam, dem engsten Verbündeten der USA. Die amerikanische Politik hat auch dazu geführt, dass Russland seine Gold- und Devisen-Reserven massiv aufgestockt und vor allem auch außerhalb des Dollarbereichs angelegt hat. Präsident Putin kennt offenbar die Zahlen des Erdöl- und Erdgas-Marktes besser als die Strategen im State-Department und im Brüsseler NATO-Hauptquartier und weiß sie vor allem besser zu interpretieren. Er handelt nicht nur aus einer Position eigener Stärke, sondern auch der selbstverschuldeten Schwäche der europäischen und vor allem der amerikanischen Seite.

Darüber hinaus hat Amerikas permanente Politik von Sanktionen, Interventionen und Drohungen gegen den Iran und Russland sowie die neue Zielscheibe China dazu geführt, dass diese drei Länder energiepolitisch durch Abkommen und Vereinbarungen inzwischen eng miteinander verbunden sind. China und Russland werden die immense Produktionskapazität des Iran im Erdöl- und vor allem auch im Erdgas-Bereich entwickeln. Umgekehrt erhält China auf Jahrzehnte hinaus Erdöl und Erdgas aus dem Iran wie auch aus Russland. Moskau und Peking haben gerade ein Abkommen über eine zweite große Erdgasleitung nach China geschlossen, die 2024 in Betrieb genommen werden soll. All dies sichert China eine weitgehende Energie-Unabhängigkeit von potenziellen zukünftigen Weltmarkt-Engpässen. Darüber hinaus hat China im Oktober 2021 Pläne für einen starken Ausbau der Kohle im Inland reaktiviert. Damit wird explizit anvisiert, die Energie-Unabhängigkeit des Landes zu steigern. Die Idee zu solchem Tun ist China vom früheren amerikanischen Außenminister und jetzigen Klimabeauftragten John Kerry galant auf dem Silbertablett als Option serviert worden: China als aktuell größter CO2-Emittent und Umweltverschmutzer der Welt darf im Rahmens des Pariser Klimaabkommens seinen CO2-Ausstoß bis 2030 praktisch unbegrenzt erhöhen. Während die Biden-Administration die eigene Wirtschaft auf einen forcierten Klimawandel-Kurs einschwört, wird dem strategischen Rivalen dieses Schicksal tunlichst erspart. Die amerikanische Politik hat mit anderen Worten eine eurasische Energie- und Wirtschaftsgemeinschaft geschaffen, bei der sie weitgehend außen vor ist. Und China als der strategische hauptsächliche Rivale tut - angestachelt durch die amerikanische Politik - alles, um maximal Energie-unabhängig zu werden und Erdöl sowie Erdgas zu Konditionen beziehen zu können, welche diese Energieunabhängigkeit unterstreichen.

Umgekehrt ist die Energie-Hörigkeit der Vereinigten Staaten nicht etwa eine Stärke, sondern eine Achillessehne der amerikanischen Wirtschaft. Amerika konsumiert viel zu viel billige Energie, weil der Konsum - anders als zum Beispiel in Europa - praktisch nicht besteuert wird. Das entlastet die Energierechnung von Haushalten und Unternehmen in normalen Zeiten, macht sie aber auch extrem anfällig im Zyklus, wenn die Energiepreise am Ende einer Expansionsphase plötzlich scharf steigen. Die Preise für Benzin und Diesel an den Tankstellen steigen dann prozentual viel stärker als in Europa, wo die hohe Steuerkomponente den Anstieg dämpft. Und erst recht wird diese Energie-Hörigkeit zum Risikofaktor, wenn durch die global verfolgte Politik des „Great Reset“ bewusst eine massive strategische oder langfristige Verteuerung aller konventionellen Energieformen in Kauf genommen oder sogar anvisiert wird.

Tatsache ist: Es sind nicht nur Deutschland und Europa, welche in einer Energiefalle sitzen. Auch die USA stecken in dieser Falle, und zwar ganz tief, wobei ihre komplett inkohärente, von Partikularinteressen, Ideologie, Sendungsbewusstsein und falschen Paradigmen durchsetzte Außen-, Militär-, Energie- und Geldpolitik der letzten beiden Jahrzehnte daran einen gewaltigen Anteil hat. US-Präsident Biden und Außenminister Blinken haben Russland unerhört scharfe Sanktionen für den Fall einer Invasion der Ukraine angedroht. Selbstredend gehören dazu der Verzicht auf Nord Stream 2 und sogar die Option eines Swift-Ausschlusses Russlands. Angesichts des absolut fragilen Gleichgewichts auf den globalen Energiemärkten würden beide Maßnahmen einen historischen globalen Erdöl- und Erdgasschock auslösen. Wenn Russland als der zweitgrößte Erdöl- und Erdgasproduzent der Welt als Exporteur in die meisten Länder ausgeschaltet würde, hätte dies einen monumentalen Energiepreis-Anstieg zur Folge, der die USA von allen Industrieländern wohl am härtesten treffen würde. Denn dort dürfte die Inflation wohl am heftigsten in die Höhe schnellen.

Wenn die Ukraine-Krise entschärft werden kann, dürften sich die Erdölpreise stabilisieren oder sogar für eine Zeitlang zurückgehen. Die Inflation würde also für einen beschränkten Zeitraum in der zweiten Jahreshälfte 2022 und eine Zeitlang im Jahr 2023 sinken. Das ändert aber nichts an den mittel- und längerfristig schlechten Aussichten. Das Angebot fossiler Energie wird durch die Politik der vergangenen Dekade und durch den „Great Reset“ begrenzt und schließlich rückläufig sein. Die Preise fossiler Energien werden zwangsläufig weiter steigen - sollte sich der Kurs der Politik nicht ändern, wahrscheinlich sogar scharf ansteigen, und damit auch die Inflation befeuern. Es ist eine absolute Illusion zu glauben, dass ein Kurswechsel in der Geldpolitik allein die Inflation unter Kontrolle bringen kann (die bislang angekündigten Vorhaben der Notenbanken könnten es sowieso nicht, sie gehen in keiner Weise weit genug), es sei denn um den Preis einer schweren und langanhaltenden Rezession, wahrscheinlich verbunden mit einer schweren Finanzkrise. Was nötig tut, ist ein massiver Kurswechsel in der Energie- und der gesamten Wirtschaftspolitik, insbesondere seitens der USA, aber auch Europas. Die Vereinigten Staaten als mit Abstand größter Energieverschwender der Welt müssen ihren Energiehunger rasch und drastisch verringern. Dazu müssen alle Register gezogen und nicht nur eine „Marktlösung“ über höhere Energiepreise anvisiert werden. Um die globale Angebotssituation nicht eskalieren zu lassen, mit anderen Worten, um einen plötzlichen Energieschock zu vermeiden, ist auch das Profil der amerikanischen beziehungsweise europäischen Außen- und Militärpolitik neu zu definieren. Das Beharren auf alten Denkmustern wäre gefährlich - es könnte dazu führen, dass sich die fragile Lage schlagartig verschärft und ein unvorstellbares Chaos entsteht.

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