Politik

KOMMENTAR: Scholz suchte den Dialog mit Putin - doch Biden hat es ihm verboten

Bernd Liske analysiert die Entwicklungen seit dem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Moskau.
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24.02.2022 09:25
Aktualisiert: 24.02.2022 09:25
Lesezeit: 3 min
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Russland schafft Fakten und sagt: Wir sind souverän, lassen uns nicht weiter an der Nase herumführen und von Sanktionsdrohungen abschrecken. Jetzt stellt sich die Frage: Wie konnte es dazu kommen, dass Wladimir Putin ein Dekret unterzeichnet, mit dem die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk durch Moskau anerkannt werden und russische Truppen dorthin geschickt werden?

Der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Moskau schien der Beginn eines Dialogs der Entspannung zu sein. Daraus entstand meine Analyse "Der Tanz mit dem russischen Bären: Bernd Liske antwortet auf Hauke Rudolph". Doch kaum war der Bundeskanzler aus Moskau zurück, wurde er sofort eingehegt. Nach einem Telefonat mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden über den Besuch war klar: Deutschland wird ausgerichtet auf die Konfrontation mit Russland. In der Erklärung des Bundespresseamtes zum Telefonat heißt es: „Russland müsse echte Schritte zur Deeskalation einleiten. Im Falle einer weiteren militärischen Aggression gegen die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine habe Russland mit außerordentlich gravierenden Konsequenzen zu rechnen.“

Sollte ein Kanzler so mit einer Weltmacht umgehen, die einer der wichtigsten Partner Deutschlands ist? Zumal, wenn er noch am Tag davor auf der Pressekonferenz Folgendes gesagt hat: „Jetzt muss es darum gehen, entschlossen und mutig an einer friedlichen Auflösung dieser Krise zu arbeiten. Dass wir jetzt hören, dass einzelne Truppen abgezogen werden, ist jedenfalls ein gutes Zeichen. … Für uns Deutsche, aber auch für alle Europäer ist klar, dass nachhaltige Sicherheit nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland erreicht werden kann.“ Doch damit nicht genug. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg rüffelte den Kanzler, weil dieser in der Pressekonferenz süffisant den Beitritt der Ukraine zur NATO als für lange Zeit ausgeschlossen bezeichnet hatte. Und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fabulierte darüber, auf Gas-Kürzungen durch Russland vorbereitet zu sein.

Dabei hatte Russland den Besuch des Bundeskanzlers durch den Rückzug von Truppenteilen filmreif aufgewertet. In meinen Tweets habe ich schon mehrfach auf den Film „Der Anschlag“ mit Ben Afflek hingewiesen. Darin entzieht sich Russland einer Konfrontation mit den USA durch den Rückzug von Truppen, was die USA mit ihrem eigenen Rückzug goutieren. Egal, wie umfangreich der Rückzug war: Man hätte dieses Entspannungssignal aufgreifen können: Durch den Rückzug von amerikanischen Soldaten aus Osteuropa, durch den Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine, durch eine Stellungnahme Wolodymyr Selenskys zum Wiedereintritt in das Minsker Abkommen.

Schon am Tag nach dem Besuch des Bundeskanzlers muss also für Russland klar gewesen sein, dass die Erwartungen an Deutschland als Mittler nicht erfüllt werden, weil sich Deutschland nicht als souveräner Staat geriert. So hart muss das ausgedrückt werden, weil die vielbeschworene westliche Solidarität nichts anderes als Vasallenschaft gegenüber den USA ist. Dagegen sieht sich Russland eindeutig als souveräner Staat, der sich von jeglichen Drohungen nicht einschüchtern lässt und selbstbestimmt handelt. Es zeigt sich nicht bereit, seine Sicherheitsinteressen Schritt für Schritt weiter aushöhlen zu lassen.

Den Beginn dieser Entwicklung sieht Russland offensichtlich schon seit 1990. Wenn es seit langem behauptet, die NATO-Osterweiterung würde gegen westliche Zusagen verstoßen, so wird das durch einen Bericht des SPIEGEL vom 18. Februar gestützt. Laut eines Dokuments aus dem britischen Nationalarchiv stimmten „Briten, Amerikaner, Deutsche und Franzosen … überein, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Osteuropäer »inakzeptabel« sei“. Der deutsche Vertreter bei den Zwei-plus-vier Verhandlungen, Jürgen Chrobog, erklärte: „Wir haben in den Zwei-plus-Vier Verhandlungen deutlich gemacht, dass wir die Nato nicht über die Elbe hinaus ausdehnen. Wir können daher Polen und den anderen keine Nato-Mitgliedschaft anbieten.“ Und der US-Vertreter Raymond Seitz stimmte laut Vermerk Chrobog zu und sagte: »Wir haben gegenüber der Sowjetunion klargemacht – bei Zwei-plus-Vier wie auch anderen Gesprächen – dass wir keinen Vorteil aus dem Rückzug sowjetischer Truppen aus Osteuropa ziehen werden... Die Nato soll sich weder formal noch informell nach Osten ausdehnen.“

Ähnlich äußerte sich Hans-Dietrich Genscher 2011 in einem Interview. Noch ausführlicher wird das deutlich, wenn man sich Dokumente aus dem National Security Archive der George Washington University anschaut – in deutscher Übersetzung verfügbar. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass „die Veränderungen in Osteuropa und der deutsche Einigungsprozess nicht zu einer ‚Beeinträchtigung sowjetischer Sicherheitsinteressen' führen dürfen.“ Die weitere Entwicklung ist Geschichte. Sie führte zu dem Konflikt in der Ukraine, was mich veranlasste, in verschiedenen Tweets die Frage zu stellen: „Was machen Sie, wenn Sie von einer Gruppe in die Ecke gedrängt werden? Wehren Sie sich erst, wenn Sie keine Luft mehr bekommen?“

Noch etwas kommt hinzu. Der Einsatz russischer Truppen in den Separatistengebieten kann sicher auch mit einem OSZE-Bericht vom November 2020 (Seite 10) erklärt werden. Darin wurde untersucht, auf welcher Seite des Ukraine-Konflikts es zwischen Januar 2017 und September 2020 wie viele zivile Opfer gab. Darin kommt klar zum Ausdruck, dass der überwiegende Teil der Opfer Bewohner der abtrünnigen Republiken waren.

Moral: Wir sollten uns ganz schnell an das immer wieder zum Ausdruck Gebrachte erinnern: Dass die Sicherheit in Europa ohne Russland nicht möglich ist. Jegliche Sanktionen, jegliche weitere NATO-Soldaten in Richtung Ost- und Südosteuropa, jegliche aus Russophobie erwachsenen Argumentationen drehen die Eskalationsspirale weiter. Es wird Zeit, die Tauben aus ihren Käfigen zu lassen. Sonst wird es mit vielen daraus erwachsenen Konsequenzen bald sehr ungemütlich. Mit meiner Erinnerung an die Schumann-Erklärung von 1950, mit dem Hinweis auf das Denken von Willy Brandt und tiefergehenden gesellschaftspolitischen Analysen suche ich nach eigenen Beiträgen, dass es nicht dazu kommt.

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Bernd Liske

Bernd Liske (Jg. 1956 / studierter Mathematiker) ist Inhaber von Liske Informationsmanagementsysteme. In seinen Büchern und Artikeln setzt er sich mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Problemen unserer Gesellschaft auseinander, um so Beiträge für die Erhaltung des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu leisten. Die in seinem Buch Aphorismen für die Menschwerdung des Affen – Wie der Mensch zum Menschen und wie die Demokratie ihrem Anspruch gerecht werden kann veröffentlichten Aphorismen betrachtet er als Open-Source-Betriebssystem zur Analyse und Gestaltung individueller, unternehmerischer und gesellschaftlicher Prozesse. Das den Aphorismen vorangestellte Essay über die „Auseinandersetzung als Beitrag für die Menschwerdung des Affen“ beschäftigt sich insbesondere mit der Natur der Demokratie und stellt Wege zur Diskussion, wie die westlichen Demokratien eine nachhaltige Zukunft gestalten können.

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