Politik

Der Westen ist verlogen, die Putin-Freunde sind erbärmlich

Lesezeit: 3 min
08.03.2022 21:25
Der Krieg in der Ukraine zeigt uns zwei Dinge: Erstens ist niemand verlogener als die sogenannte „Freie Welt“. Zweitens ist niemand erbärmlicher als die europäischen „Putin-Versteher“.
Der Westen ist verlogen, die Putin-Freunde sind erbärmlich
Auf diesem vom Pressedienst des russischen Präsidenten veröffentlichten Handout-Foto aus einem Video spricht der russische Präsident Wladimir Putin zur Feier des Internationalen Frauentags in Moskau. (Foto: dpa)

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Eigentlich wollte ich einen ausgiebigen militärischen Bericht darüber schreiben, dass die Russen einen sehr kontrollierten und bewusst langsamen Zangenangriff nach dem Vorbild der Schlacht von Cannae durchführen, anstatt die Front zu durchbrechen. Der Angriff ist in Wirklichkeit zu keinem Zeitpunkt ins Stocken geraten. Ich wollte auch ausführen, dass sich die ukrainische Kriegsführung in erster Linie auf das Ausschalten der Kommandeure auf russischer Seite konzentriert, um die Russen anschließend in den Häuserkampf zu ziehen, anstatt sie direkt zu konfrontieren.

Allerdings ist der aktuelle Desinformations-Krieg derart schäbig, dass ich mich nicht zu irgendwelchen militärischen oder geopolitischen Gegebenheiten, sondern über die vielen Widersprüche und Bösartigkeiten äußern muss.

Eine gedankliche Abfolge:

Die Ukraine wurde in den Krieg mit Russland getrieben. Wolodymyr Selenskyj, der mir aufgrund des Verrats an ihm mittlerweile verdammt Leid tut, setzte seine Hoffnung in die EU und in die NATO. Er glaubte ernsthaft daran, dass der sogenannte Westen – was immer das auch sein mag – die Ukraine und ihn nicht im Stich lassen würde. Doch nun muss er erkennen, dass die selbsternannte „Freie Welt“ die Ukraine und ihn dem russischen Militär auf einem Silbertablett serviert hat.

In den sozialen Medien glauben europäische Social Media-Nutzer daran, dass sie durch „Likes“ und „Shares“ der Ukraine in irgendeiner Art und Weise helfen könnten. Doch Kriege werden mit Waffen und nicht mit „Likes“ auf Facebook gewonnen. Eine Welle der theatralischen Solidarität geht durch Europa. Diese sogenannte Solidarität geht sogar so weit, dass besonders „liberale“ deutsche Gastwirte Russen den Zugang zu ihren Restaurants und Gasthäusern verwehren. Alles im Namen der Demokratie, Freiheit, Diversität und Toleranz.

Damit kommt also ein neuer Aspekt der Kriegsführung ins Spiel. Die Europäer versuchen Russland und Wladimir Putin nicht nur mit super-gefährlichen „Likes“ auf Facebook, sondern auch mit Rassismus der übelsten Sorte gegen ihre Mitmenschen und Mitbürger zu bekämpfen. Wie originell. So etwas kann auch nur der ach so „liberalen und demokratischen Intelligentsia“ Europas einfallen. Anti-russische Menschenfeindlichkeit auf allen Ebenen – nicht in etwa Kritik gegen die steinreichen Eliten in Moskau, sondern Hass gegen die Mitmenschen, mit denen man seit Jahren und Jahrzehnten zusammenlebt. Zur Hölle mit allen, die diese pathologisch-schizophrene Kampagne gegen ihre Mitmenschen mittragen.

Dann heißt es: „Ukrainer voraus! Ukrainer voraus!“ Doch effiziente Waffen sollen die Ukrainer nicht erhalten. Damit ich richtig verstanden werde: Ich plädiere nur dafür, dass man Menschen, die man vorsätzlich in den Krieg schickt, auch richtig ausrüsten muss. Wenn man das nicht tut, schickt man selbstlose Menschen in den sicheren Tod. Mit verschimmelten Waffen, die geliefert werden, können die Ukrainer keinen Krieg führen. Ist die Verlogenheit der „Oberfreien Welt“ nicht unerträglich?

Und es flüchten Millionen von Kindern, Frauen und Gebrechlichen aus der Ukraine, von denen viele ihre Ehemänner, Väter, Söhne und Brüder nie wieder sehen werden. Machen Sie sich nichts vor: Es werden mindestens zehn Millionen Ukrainer nach Europa fliehen. Europa hat die verdammte Pflicht, diese Menschen, die wie die syrischen Flüchtlinge den größten Horror ihres Lebens erlebt haben oder erleben, aufzunehmen und auch richtig zu versorgen, ohne dass sie als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Diese Menschen kommen, um zu bleiben. Viele werden nie wieder in die Ukraine zurückkehren, weil es die Ukraine – in ihren jetzigen Grenzen – nicht mehr geben wird.

Der Verrat der „Putin-Versteher“ an Putin

Doch damit nicht genug. Einige Worte sollen auch an die bedingungslosen Unterstützer Wladimir Putins in Deutschland und Europa gerichtet werden.

Gleich nach Beginn der Invasion haben diese Leute aus Angst um ihre Alimente, Posten und finanziellen Vorzüge sofort umgeschwenkt, um im Chorgesang zu behaupten: „Wir haben uns in Putin getäuscht!“ In Windeseile haben sie sich von Putin und Russland distanziert. Dabei waren doch sie über Jahre hinweg als ehrenamtliche Claqueure des Kremls tätig, um sich mit den Claqueuren des „liberalen“ Anti-Putin-Lagers zu fetzen. Ein wunderbares dialektisches Verhältnis, von dem beide Seiten finanziell und politisch profitiert haben.

Ich glaube diesen Menschen, die sich plötzlich von Moskau distanzieren, kein Wort. Wenn 150.000 Soldaten innerhalb weniger Monate an die Grenze eines anderen Landes verlegt werden, muss man nicht Teiresias sein, um zu erkennen, dass eine Invasion oder eine militärische Intervention geplant wird – zumal der Invasion handfeste geopolitische Gründe zugrunde liegen. Warum Russland früher oder später eine Invasion durchgeführt hätte, wurde in dem DWN-Artikel „DWN-KOMMENTAR Cüneyt Yilmaz: Darum geht es wirklich im Krieg in der Ukraine“ ausgiebig geschildert. Aber diese Menschengruppe behauptete durchgehend, dass es keine Invasion geben werde, und dieser Vorwurf lediglich US-Propaganda sei.

So lautstark, wie diese Menschen alles – aber auch wirklich alles – am russischen Präsidenten verteidigt hatten, so schnell haben sie sich selbst und Putin verraten.

Julius Cäsar soll gesagt haben: „Ich liebe den Verrat, aber ich hasse Verräter!“

Bei mir ist die Angelegenheit etwas anders: „Ich hasse den Verrat, und ich hasse Verräter!“

                                                                                ***

Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.


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