Deutschland

Rechtsunsicherheit: EU-Sanktionen gegen Russland stellen deutsche Unternehmen vor schwierige Probleme

Die Vorschriften sind teilweise sehr abstrakt gehalten.
16.03.2022 09:55
Aktualisiert: 16.03.2022 09:55
Lesezeit: 3 min
Rechtsunsicherheit: EU-Sanktionen gegen Russland stellen deutsche Unternehmen vor schwierige Probleme
Die Sanktionen gegen Russland sind juristisch höchst komplex. (Foto: dpa) Foto: Hendrik Schmidt

Angesichts der restriktiven Maßnahmen der Europäischen Union als Reaktion auf die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine müssen sich derzeit zahlreiche Unternehmen mit einem außenpolitischen Instrument auseinandersetzen, das nicht alltäglich und daher mitunter schwer zu durchdringen ist: Sanktionen. Durch die umfassenden Maßnahmen häufen sich auch in der anwaltlichen Beratung die Anfragen verschiedener Mandanten aus den unterschiedlichsten Bereichen.

Die Rechtsgrundlage für Sanktionen stellt der Vertrag von Lissabon dar. Er erlaubt den Mitgliedsstaaten im Rahmen ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) restriktive Maßnahmen gegenüber Drittstaaten, also Nicht-EU-Staaten. Zuständiges Organ ist der Europäische Rat, der die GASP-Beschlüsse einstimmig trifft und in der Regel durch eine Verordnung umsetzt.

Durch den Charakter als Verordnung ist eine Umsetzung auf nationaler Eben nicht notwendig. Sanktionen gelten unmittelbar. Ausnahmen sind etwa Waffenembargos und Einreisesperren sowie die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Bewehrung von Verstößen. Das bedeutet zugleich: Unternehmen sind selbst dafür verantwortlich, geltendes europäisches Sanktionsrecht zu beachten. Verstöße können in Deutschland nach dem Außenwirtschaftsgesetz und der Außenwirtschaftsverordnung als Straftat oder als bloße Ordnungswidrigkeit geahndet werden, je nach Grad der Vorwerfbarkeit.

Was bedeutet das in der Praxis? Diese Frage musste sich in den vergangenen Tagen die Vermieterin einer Gewerbefläche in Frankfurt stellen. Sie hatte Räumlichkeiten an eine GmbH vermietet und fand nun heraus, dass der ultimativ wirtschaftlich Berechtigte hinter der Mieterin eine „gelistete“ russische Gesellschaft ist. Was nun? Lag in der Vermietung der Räumlichkeiten bereits ein Sanktionsverstoß?

Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Blick auf die der EU zur Verfügung stehenden restriktiven Maßnahmen notwendig. Zu den möglichen Maßnahmen gehören Waffenembargos, Einreisebeschränkungen sowie das Einfrieren von Vermögenswerten und wirtschaftlichen Ressourcen von gelisteten Personen oder Organisationen. Bei letzterem werden alle Vermögenswerte in der EU eingefroren, und Personen und Einrichtungen in der EU dürfen ihnen keine finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Des Weiteren können als Wirtschaftssanktionen Einfuhr- oder Ausfuhrverbote für bestimmte Güter oder Investitionsverbote verhängt werden.

Sofern es sich um gezielte Maßnahmen gegen Einzelne handelt, werden diese namentlich auf Sanktionslisten geführt. Die sogenannten personenbezogenen Sanktionen verbieten jegliche direkte oder indirekte wirtschaftliche Interaktionen (Bezahlungs- und Bereitstellungsverbot) mit gelisteten natürlichen und juristischen Personen sowie mit allen Unternehmen, die von diesen Personen direkt oder indirekt kontrolliert werden oder einen dominanten Einfluss ausüben können. Daneben gibt es unter anderem kapitalmarktbezogene Sanktionen, die es verbieten, bestimmten – gelisteten – Unternehmen (hauptsächlich Banken) Wertpapiere und Geldmarktinstrumente direkt oder indirekt zu kaufen oder verkaufen, zu vermitteln oder Wertpapierdienstleistungen oder Hilfsdienste dafür zu erbringen. Dabei ist zu beachten, dass die Listen der jeweiligen Sanktionen (beziehungsweise genauer der jeweiligen Verordnung) nicht deckungsgleich sein müssen.

Wie sah es jetzt mit der Vermietung aus? Konkret stellte sich die Frage, ob es sich um eine wirtschaftliche Interaktion mit sanktionierten Personen handelte.

Nach der einschlägigen Norm dürfen den gelisteten Personen, Einrichtungen oder Organisationen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen. Da dem Mieter bei der Vermietung kein Geld zufließt, könnte es sich nur um das zur Verfügung stellen anderer wirtschaftlicher Ressourcen handeln, also laut offizieller Definition: „Vermögenswerte jeder Art, unabhängig davon, ob sie materiell oder immateriell, beweglich oder unbeweglich sind, bei denen es sich nicht um Gelder handelt, die aber für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können.“

Hier verdeutlicht sich ein Problem, das die Verordnungen haben: Die Definitionen sind teilweise sehr abstrakt gehalten, und konkrete Sachverhalte lassen sich oft nicht einfach darunter subsumieren. Kann man durch die Nutzung überlassener Mieträume Gelder, Waren oder Dienstleistungen „erwerben“? Aufgrund der von der EU geforderten weiten Auslegung der Verordnungen wird man die Frage wohl bejahen müssen. Völlig eindeutig ist dies freilich nicht.

In dem konkreten Beispiel konnte dieses Problem jedoch ganz anders gelöst werden: Wie sich herausstellte, war der sanktionierte wirtschaftlich Berechtigte zwar gelistet, allerdings nur hinsichtlich der kapitalmarktbezogenen Sanktionen. Da mit einer bloßen Vermietung tatsächlich aber keine Finanzmittel, Wertpapiere oder andere Geldmarktinstrumente zur Verfügung gestellt werden, war das Verbot nicht einschlägig.

Sanktionen sind ein bewährtes Mittel, um politischen und wirtschaftlichen Druck auf die rechtswidrige und aggressive Machtpolitik eines Landes auszuüben. Kommt es zu umfassenden wirtschaftlichen Maßnahmen, die nicht nur die Warenausfuhr betreffen, sind auch Unternehmen außerhalb des Exportgeschäftes gut beraten, sich mit den konkreten (europäischen und etwaigen anderen anwendbaren) Sanktionen zu befassen. Werden die Verordnungen – wie derzeit für Russland – oft ergänzt oder geändert, kann man schnell den Überblick verlieren. Zunächst lohnt sich daher ein (wiederkehrender) Blick auf alle einschlägigen Sanktionslisten, um sie mit derzeitigen Vertragspartnern und möglichen dahinterstehenden wirtschaftlich Berechtigten abzugleichen. Sollten hier tatsächlich Übereinstimmungen bestehen, müssen die nächsten Schritte gut überlegt sein, weil etwa auch das unberechtigte Aufkündigen von Verträgen Folgen haben kann.

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Sascha Kuhn ist Rechtsanwalt und zertifizierter Mediator sowie Partner bei simmons+simmons im Bereich Konfliktlösung und Compliance. Sein Tätigkeitsschwerpunkt ist die Vertretung von Mandanten in komplexen zivil- und strafrechtlichen sowie anderen sensiblen Angelegenheiten. Er verfügt über umfassende Erfahrung in der Beratung von Unternehmen und Organisationen in Bezug auf Compliance-Fragen, einschließlich der Bereiche Datenschutz, Wirtschafts-, Steuer- und Insolvenzstrafrecht.

Jan Zücker ist Rechtsanwalt und Associate bei simmons+simmons in der Praxisgruppe Konfliktlösung und Compliance. Er berät zu komplexen zivil- und strafrechtlichen Fragen ebenso wie in anderen sensiblen Angelegenheiten.

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