Politik

Nach Untergang der „Moskwa“: Russland wird Krieg in Ukraine verschärfen

Lesezeit: 4 min
15.04.2022 13:56
Der Untergang des Flaggschiffs der russischen Schwarzmeerflotte wird zu einer Eskalation des Ukraine-Kriegs auf dem Festland führen. Bisher hat Russland all seine strategischen und taktischen Ziele erreicht. Die Ukraine wird Schritt für Schritt vom Schwarzen Meer abgeschnitten. Ein Kommentar des DWN-Redakteurs Cüneyt Yilmaz.
Nach Untergang der „Moskwa“: Russland wird Krieg in Ukraine verschärfen
Die „Moskwa“ am 09.05.2014 im Hafen von Sewastopol während einer Parade zum 69. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland im zweiten Weltkrieg. (Foto: dpa)

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Der russische Raketenkreuzer „Moskwa“ ist nach russischen Angaben am 14. April 2022 gesunken. Das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte sei am Donnerstag während eines Sturms untergegangen, als es an sein Ziel geschleppt wurde, berichtete die staatliche russische Nachrichtenagentur „Tass“ am Donnerstagabend in Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. „Naval News“ zufolge war die „Moskwa“ Russlands kampfstärkstes Kriegsschiff.

Das südliche ukrainische Militärkommando hatte zuvor berichtet, das Schiff sei von einer Anti-Schiffs-Rakete des Typs „Neptun“ getroffen worden, so die britische Zeitung „Guardian“. In der Nacht zu Donnerstag hatte es von russischer Seite geheißen, die Besatzung des Schiffes sei nach einem Brand vollständig auf andere Schiffe der Schwarzmeerflotte in der Gegend evakuiert worden.

Der türkische Admiral a.D. Cem Gürdeniz, der auch der Begründer der türkischen Marine-Doktrin „Blaue Heimat“ ist, sagte im Gespräch mit der türkischsprachigen Recherche-Webseite „OdaTV“, dass die „Moskwa“ das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte gewesen ist. „Wenn dieses Schiff, das 12.000 Tonnen schwer gewesen ist, und eine Besatzung von 480 Personen beherbergen konnte, wirklich von ukrainischen Neptun-Raketen getroffen wurde – und deshalb gesunken ist –, wird dies sehr ernste Folgen nach sich ziehen.“

Gürdeniz wörtlich: „Der Raketenkreuzer ,Moskwa‘ war das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte. Dieses Schiff genoss auch während der Sowjet-Ära ein sehr großes Prestige. Damals hieß dieses Schiff noch ,Slawa‘. Im Jahr 1995 wurde es in ,Moskwa‘ umbenannt. Der Verlust dieses Schiffs führt zu einem ernsten Prestige-Verlust der russischen Marine. Wie ich bereits zuvor erklärt hatte: Wenn dieses Schiff beschossen und zum Sinken gebracht wurde, wird dieses Ereignis ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. Das war historisch gesehen schon immer so.“

Der türkische Admiral teilte „OdaTV“ mit, dass beispielsweise am 4. Mai 1982 im Verlauf des Falkland-Kriegs zwischen Großbritannien und Argentinien der britische Zerstörer HMS Sheffield (D80) von argentinischen Kampfjets mit „Exocet“-Raketen beschossen wurde, was zum Untergang der HMS Sheffield (D80) führte. Daraufhin seien im britischen Unterhaus Maßnahmen zur Eskalation des Konflikts beschlossen worden.

„Obwohl der argentinische Kreuzer ,Belgrano‘ nicht in das Kriegsgebiet eingefahren war, wurde er durch ein britisches U-Boot ohne Vorwarnung abgeschossen. Damals kamen Hunderte von Besatzungsmitgliedern um. Ein ähnlicher Vorfall fand am 14. Juli 2006 vor der Küste von Beirut statt. Die israelische Korvette ,Hanit‘ wurde von C802-Raketen der Hisbollah getroffen. Die Korvette war zwar nicht gesunken, doch der psychologische Effekt in der israelischen Öffentlichkeit war sehr groß. Anschließend erhöhte Israel die Gewalt und das Tempo im Verlauf der Intervention im Libanon.“

Der ehemalige Leiter der Militärmission bei der NATO, Admiral Jean-Louis Vichot, teilte dem französischen Fernsehsender „TF1 Info“ mit, dass die „Moskwa“ einen hohen symbolischen Wert hatte: „Dieses Schiff hat in Syrien gekämpft und wurde in der Ukraine in Mykolajiw gebaut, wo die Ukrainer den Vormarsch der Russen nach Süden stoppten. Kreuzer dieses Typs sind sehr stark und in der Lage, Seestreitkräfte zu befehligen. Es ist so, als ob ein Kommandoposten zerstört worden wäre.“

Grundsätzlich glaubt Admiral Gürdeniz, dass der Vorfall um das Flaggschiff „Moskwa“ einen Wendepunkt im Ukraine-Krieg darstellt. Seiner Ansicht nach wird die Intensität des Kriegs auf dem Festland drastisch zunehmen.

Gürdeniz wörtlich: „Dass am Tag des Untergangs der ,Moskwa‘ die USA entschieden haben, der Ukraine mehr Waffen und Kriegsgeräte zur Verfügung zu stellen, wird den gegenseitigen Hass und die Konkurrenz (zwischen der Ukraine und Russland, Anm.d.Red.) verstärken. Aus der Sichtweise der Zivilisten ist dieser Umstand sehr bedrückend und traurig. Wir werden sehen, was Russland machen wird, um diesen Verlust in den Augen der eigenen Öffentlichkeit zu kompensieren. Dieses Ereignis ist hochgradig wichtig. Schließlich handelte es sich auch um ein Schiff, das den Namen der Hauptstadt trug. Dass ausgerechnet dieses Schiff gesunken ist, wird bei der russischen Bevölkerung zu einem ernsthaften psychologischen Bruch führen. Es wird zu einer Verstärkung der anti-westlichen Emotionen kommen. Dieser Krieg wird zwischen zwei eng verwandten Völkern geführt, die sich gegenseitig umbringen. Wir wissen nicht mit einer hundertprozentigen Gewissheit, welche Folgen derartige Schachzüge mit psychologischem Einfluss-Potenzial auslösen. Jedenfalls wird in der russischen Öffentlichkeit die Antipathie gegenüber dem Westen ihren Zenit erreichen. Der Untergang von Schiffen wird von den Öffentlichkeiten immer anders wahrgenommen als andere Vorfälle (…) Der Untergang von großen Schiffen führt immer zu einer großen öffentlichen Reaktion. Deshalb handelt es sich hierbei um einen Wendepunkt.“

Auffällig ist, dass die russische Armee sich in der ersten Phase des Kriegs auf die Zerstörung der militärischen Infrastruktur der Ukraine konzentriert hat. Hinzu kamen auch Kämpfe zwischen ukrainischen und russischen Militäreinheiten, die damit endeten, dass das personelle Kampfpotenzial der ukrainischen Armee erheblich reduziert wurde.

Irreführende Berichte über große russische Verluste

Den irreführenden Berichten, wonach die russische Seite angeblich sehr viele Verluste erlitten habe, ist keine Folge zu leisten. Derartige Berichte sind auch dann zu ignorieren, wenn der Kreml das selbst behauptet.

Beim Krieg geht es nicht darum, Menschen und Soldaten zu töten, sondern strategisch wichtige Einheiten, Zentren, Gebiete, Anlagen usw. einzunehmen oder zu zerstören. Den Ukrainern, die waffentechnisch spärlich ausgerüstet sind, ist auf dem Festland zu keinem Zeitpunkt ein derartiger Erfolg gelungen. Die Zerstörung von ausrangierten russischen Panzern aus der Zeit der Sowjetunion stellt keinen wirklichen militärischen Erfolg dar. Ganz im Gegenteil: die Ukrainer nehmen den Russen damit lediglich die kostenintensive Recycling-Aufgabe ab – und das völlig kostenlos.

Die Wahrheit ist, dass Russland die Ukraine Schritt für Schritt vom Schwarzen Meer abschneidet und die Donbass-Region alsbald vollständig einnehmen wird. Es ist auch völlig unerheblich, wie viele Verluste die Russen erleiden. Sie werden den Krieg so lange führen, bis sie (und die Amerikaner) all ihre militärischen Ziele in der Ukraine und all ihre politischen Ziele in Europa erreicht haben. Deshalb dürfte der Krieg noch andauern.

Zweieinhalb Monate vor Ausbruch des Kriegs wurde in dem DWN-Artikel mit dem Titel „Droht der Ukraine eine Teilung entlang des Dnepr-Flusses?“ ausgeführt, dass es zwei Szenarien für die territoriale Zukunft der Ukraine gibt. Die DWN-Analyse deckt sich weitgehend mit den aktuellen militärischen Ereignissen in der Ukraine.

USA und Russland profitieren vom Anstieg der Ölpreise

Für Russland bedeutet ein Hinauszögern des Kriegsendes ein Anstieg der Ölpreise und der Edelmetallpreise. Während das Land über die hohen Energiepreise seinen Staatshaushalt sanieren kann, hortet es gleichzeitig Unmengen an Gold. Für die US-amerikanische Seite bedeutet diese Entwicklung, dass „Big Oil“ ebenfalls massiv am Krieg verdient und die heimischen (offiziellen!) Goldreserven von 8.133,5 Tonnen deutlich an Wert gewinnen. Deshalb sollte folgende Frage erlaubt sein: Bereiten Washington und Moskau insgeheim die Einführung des Goldstandards vor?

Und was bedeutet dieser Krieg für die Machtblöcke EU und China, deren wirtschaftliche, gesellschaftliche und militärische Funktionstüchtigkeit von Energieimporten abhängig ist? Die Antwort dürfte auf der Hand liegen.

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Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.


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