Politik

Deutschlands Ruf in Polen: Nicht erst seit heute beschädigt

Und auch in Finnland steht Deutschland-Bashing zunehmend auf der Tagesordnung. Kein Wunder – Finnen und Polen kennen und verstehen russischen Imperialismus gut.
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01.06.2022 17:00
Lesezeit: 4 min
Deutschlands Ruf in Polen: Nicht erst seit heute beschädigt
Bundespräsident Steinmeier stattete Warschau 2021 anlässlich des 30. Jahrestages des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages einem eintägigen Besuch. Damals waren die inzwischen kassierten Justiz-Reformen der PiS noch der Zankapfel, heute geht es vor allem um Waffenlieferungen in die Ukraine. (Foto: dpa)

Der Ruf Deutschlands in Polen ist ruiniert. Davon berichtet jüngst jedenfalls die "taz". Der Artikel der linken Tageszeitung wurde in Polen aufmerksam zur Kenntnis genommen, reichweitenstarke polnische Medien berichteten über ihn. In der Regel ohne Kommentar, so als bedürfte der Artikel keines Kommentars, als handelte es sich bei ihm nur um ein Eingeständnis des ohnehin Offensichtlichen. Der Artikel bedarf jedoch durchaus einiger kritischer Kommentare.

Panzer-Streit nur Spitze des Eisbergs

Beispielsweise hat es einen gewissen faden Beigeschmack, wenn ausgerechnet die "taz" sich plötzlich um den Ruf Deutschlands in Polen schert. Das war die längste Zeit nicht so. Das deutsch-polnische Verhältnis hatte nämlich zuvor schon jahrelang gelitten, sehen viele Polen in Deutschland doch das Haupt jener EU, die sie bis zuletzt mit Strafzahlungen traktierte oder moralisch belehrte. Es ist leider offensichtlich, dass hier teilweise die deutsch-polnischen Beziehungen lediglich als Mittel gebraucht werden, um den eigenen politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dennoch ist die Debatte, die solche Artikel derzeit anstoßen, unentbehrlich. Der jüngste Streit um die Leopard-Panzer ist nämlich nur die Spitze des Eisbergs. Das machte jüngst der renommierte Außenpolitiker Jan Parys im Gespräch mit dem bekannten konservativen Online-Portal "wpolityce.pl" deutlich.

"Die Politik der schwachen Unterstützung für die Ukraine, die Politik der ständigen Angriffe auf die Polnische Republik", kritisiert Parys, sei "nichts anderes als das Ergebnis der pro-russischen Haltung der deutschen Diplomatie." Und im Gegensatz zur "taz" siedelt Parys die nachhaltige Schädigung des deutschen Images in Polen wesentlich früher an: "Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, dass der deutsche Angriff auf Polen zwei Wochen nach den Wahlen 2015 begann." Damals sei Deutschland schockiert gewesen, "weil sich die Polen anders entschieden hatten, als es Berlin wollte." Über diplomatische Kanäle hätte Polen damals schnell die Nachricht erhalten, "dass auf Anweisung des Bundeskanzlers eine Sitzung der Leitung des Finanzministeriums in Berlin stattfand, bei der besprochen wurde, wie man den Polen alle europäischen Gelder entziehen könnte, weil sie nicht so abgestimmt hatten, wie es die Deutschen wollten."

Polnischer Außenpolitiker: Deutsche Medien bliesen zum Angriff auf Polen

Nachdem, wie der einstige polnische Regierungspolitiker erklärt, sich schnell herausgestellt habe, dass das Gesetz ein solches Vorgehen nicht zuließe, hätte man die Sache ans deutsche Außenministerium und schließlich an die Medien weitergereicht. "Von diesem Moment an", betont Parys, "begann in der deutschen Presse ein sofortiger Angriff auf alles, was die polnische Regierung tut, auch auf die Rechtsstaatlichkeit." Für Parys, und viele andere Polen, ist die deutsche Ukraine-Politik also letztlich vor allem eine Fortsetzung verfehlter Politik. Wenn die "taz" schreibt, dass es Bislang "nur die nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS)" gewesen sei, die "bei jeder Gelegenheit" gegen die Deutschen gehetzt habe, so verkürzt sie die Probleme des deutsch-polnischen Verhältnisses auf unzulässige und tiefgehendem Verständnis der Lage schadende Weise.

Zwar ist es durchaus richtig, dass die liberalen Milieus Polens ein wesentlich positiveres Deutschlandbild haben. Das geht teilweise sogar so weit, dass manche eine deutsche Hegemonie innerhalb Europas befürworten. Und es ist genauso richtig, dass diese polnischen Deutschlandfreunde nun im Angesicht des deutschen Kurses in puncto Waffenlieferungen enttäuscht dastehen. Es ist jedoch falsch, die Stimmung nur der liberalen Polen zum einzigen Indikator eines ruinierten deutschen Rufs in Polen zu machen. Schließlich steht auch hinter der PiS eine demokratisch gebildete Mehrheit. Jenseits dessen ist Enttäuschung jedoch in der Tat ein tragendes Motiv des polnischen Ärgers über die deutsche Politik, auf konservativer wie auf liberaler Seite. Denn als der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kurze Zeit nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eine verteidigungs- und energiepolitische "Zeitenwende" ankündigte, waren die Hoffnungen im politischen Polen groß.

Polnische Hoffnungen auf eine deutsche Zeitenwende

Würde Deutschland die Führungsrolle, die es ohnehin ausübt, nun auch im polnischen Sinne verantwortungsbewusster ausüben? Würde die deutsche Russland-Politik eines erhofften Wandels durch Handel nun ein Ende finden? Jene Politik, die im starken Kontrast zur Russland-Politik Polens stand, das sich in seiner Rolle als einsamer Rufer in der Wüste nicht selten Vorwürfe verbohrter "Russophobie" gefallen lassen musste? Über diese Fragen diskutierten auch der Philosoph Marek Cichocki, der als Vordenker der polnischen Regierungspolitik gilt, der Publizist Dariusz Karłowicz und der Historiker Dariusz Gawin in der zweiten Episode ihrer regelmäßig im öffentlich-rechtlichen "TVP Kultura" erscheinenden Sendung "Trzeci Punkt Widzenia" (zu Deutsch: "Der dritte Standpunkt") nach dem russischen Angriff.

Damals bereits zeigte sich Karłowicz irritiert über jene Stimmen in der polnischen Öffentlichkeit, die jetzt ob der erwartungsvollen Ankündigung einer deutschen Zeitenwende "feiern" und "kein Wort mehr" gegen die Deutschen erheben wollten. Die Deutschen seien über Jahre hinweg "vollkommen unempfänglich gegenüber jeglicher Kritik" gewesen – man erinnere sich nur an das beherzte Gelächter deutscher Regierungspolitiker über Trumps Warnung vor der Abhängigkeit von russischer Energie – und hätten von der Regierung Schröders bis hin zu jener Merkels lediglich die energiepolitische Abhängigkeit Deutschlands und der EU von Russland vergrößert.

Die "moralische Selbstüberhöhung" politischer Eliten Deutschlands

"Im Laufe der Jahre hat sie weder Georgien interessiert, noch die russischen Kriegsverbrechen in Tschetschenien zuvor oder Donbass und die Krim." Nicht einmal die Ermordung eines Putin-Gegners in ihren Straßen habe die Deutschen von ihrem "vorzüglichen Geschäft mit den Russen" abgehalten. Eine "Mischung aus Gier und Naivität" habe die politischen Eliten Deutschlands geleitet, zudem auch noch aus "einem merkwürdigen Klima der moralischen Selbstüberhöhung" heraus gehandelt hätten. So resümierte Karłowicz, dass er sich einen grundlegenden Kurswechsel Deutschlands kaum vorstellen könne, weil dieser einen ebenso grundlegenden Bruch mit der bisherigen deutschen Politik erforderlich machen würde.

Gawin pflichtete seinem Kollegen bei und sprach von Stimmen aus der politischen Landschaft Polens, die Skeptikern der deutschen Zeitenwende sogar "Germanophobie" vorgeworfen hätten. Stattdessen, so Gawin, gälte es, die Entwicklung der deutschen Politik "zu begrüßen", sich aber dennoch einen "gesunden Skeptizismus" zu bewahren. Dieser gesunde Skeptizismus Dawins dürfte sich inzwischen bestätigt haben, während jene, die in Polen vor "Germanophobie" mahnten, inzwischen verstummt sein dürften. Und das nicht nur in Polen. So berichtet Minna Ålander, langfristige Mitarbeitern der Europa-Abteilung der Stiftung Wissenschaft und Politik über die Entwicklung des Deutschlandbilds in Finnland.

Finnland: Von unkritischer Bewunderung zu Deutschland-Bashing

"Ich habe versucht, vor dem dramatischen Absturz zu warnen, den das Image Deutschlands in den nordischen Ländern seit dem russischen Angriff auf die Ukraine erlebt hat", schreibt Ålander auf Twitter. Man sei zunehmend ungläubig über den Strom von Entschuldigungen, die aus Berlin kommen, weil man die Erwartungen nicht erfüllt habe. "In Finnland z.B. hat sich der öffentliche Diskurs über Deutschland innerhalb weniger Wochen von einer fast unkritischen Bewunderung zu einem Deutschland-Bashing entwickelt, das dem polnischen sehr nahe kommt", setzt die Wissenschaftlerin fort. In finnischen Zeitungen gäbe es jetzt "regelmäßig ziemlich böse Karikaturen von Scholz".

Letztlich bleibt festzuhalten, dass die gegenwärtige Ukraine-Politik Deutschlands dem deutschen Image in Ost- und Nordeuropa durchaus zu schaden scheint. Dabei sind Image-Fragen hier eigentlich nachrangig. Vielmehr geht es hier um das Verständnis der Situation. Bei Polen und Finnland handelt es sich beispielsweise jeweils um Länder, die russischen Imperialismus über die Jahrhunderte hinweg wiederholt an eigener Haut erleben durften und, sei es momentan auch vor allem durch offene Drohungen, dürfen. Früher unter dem Banner des Bolschewismus, heute hinter dem Vorwand einer vermeintlichen "Entnazifizierung". Was Polen und Finnen jedoch wissen: Schon damals waren es nicht Verhandlungen, die die territoriale Souveränität Europas wahrten – oft auch trotz militärischer Übermacht Russlands.

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