„Einmal um die ganze Welt und die Taschen voller Geld“ - die Älteren unter Ihnen werden sich dieses Gassenhauers der „goldenen Stimme aus Prag“, Karel Gott, sicher gerne erinnern. Wir wissen nicht, ob die Direktoren von beispielsweise Cargill, Trafigura, Vitol, Gunvor, Mercuria oder Glencore mit diesem Liedchen auf den Lippen um den Globus jetten, man darf jedoch ruhigen Gewissens davon ausgehen, dass es nicht selten der passende Soundtrack für ihre Geschäftsreisen wäre.
Denkt man an die Schweiz, kommen einem vermutlich zuvorderst Heidi-Romantik und bergsteigerische Großtaten in den Sinn - dass unser Nachbarland jedoch eine der wichtigsten Drehscheiben des internationalen Rohstoffhandels ist und einige der bedeutendsten Rohstoffhandelsunternehmen der Welt beheimatet, ist dem Branchenfremden in aller Regel nicht bewusst. So beschaulich und adrett Städtchen wie Zürich, Genf und Zug auch anmuten mögen, die von dort aus diskret agierenden Platzhirsche dieses Sektors tragen nicht immer Samthandschuhe, wenn es darum geht, Erdöl, Kupfer und vielerlei Grundstoffe mehr dem globalen Wirtschaftskreislauf zuzuführen.
„Denn Gold find´t man bekanntlich im Dreck“ (Marius Müller-Westernhagen)
Dass die Jagd nach Bodenschätzen nicht ausschließlich die edelsten Charaktere auf den Plan ruft, hat sich seit dem ersten kalifornischen Goldrausch vor mehr als 170 Jahren nicht geändert. Damals wie heute erfordert der Umgang mit missgünstigen Konkurrenten und gierigen Landbesitzen sowohl Fingerspitzengefühl als auch Ellenbogen. Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass die tiefhängenden Früchte weitestgehend geerntet sind und die in unserer modernen Welt benötigten Ressourcen dummerweise mehrheitlich in den Regionen zu finden sind, deren gesellschaftliche Werte und Normen eine gewisse moralische Flexibilität notwendig machen, will man dort etwas erreichen. An Bodenschätzen reiche Länder, wie Kongo, Irak, Russland oder Sambia finden sich seit Jahren auf den hintersten Rängen des „Corruption Perception Index“, gegen andere, wie Iran oder Venezuela, das erdölreichste Land der Erde, sind umfangreiche Sanktion in Kraft gesetzt worden, die den Handel mit ihnen weitgehend einschränken. Die Gleichung „hohes Risiko = hohe Chance“ gilt selbstverständlich auch hier, und mit Risiken wissen Glencore und Co. durchaus umzugehen. Schon Firmengründer Marc Rich scheute sich nicht, dahin zu greifen, wo es weh tut, und brachte Glencore, das Mitte der 1990er Jahre aus der Marc Rich & Co. AG nach einem spektakulären Manipulationsversuch am Zink-Markt hervorging, auf den Weg zum heute größten Rohstoffhandelsunternehmen und Rohstoffproduzenten der Welt. Heute beschäftigt Glencore weltweit rund 135.000 Mitarbeiter, betreibt Erzminen, Kohlebergwerke und eine riesige Tankerflotte. Trafigura, mit Sitz in Genf, ist ein weiteres Dickschiff, welches auf die Marc Rich & Co. AG zurückgeht. Im Jahr 2021 erzielten beide Unternehmen zusammen einen Umsatz von mehr als 430 Milliarden US-Dollar. Allein Glencores letztjähriges EBITDA von mehr als 21 Milliarden US-Dollar übertrifft das Bruttoinlandsprodukt so mancher Staaten. Dass dafür mehr als nur geschickte Unternehmensführung oder ein glückliches Händchen am Handelstisch notwendig sind, dürfte offensichtlich sein. Rich selbst stand immerhin lange Jahre auf der Fahndungsliste der USA. Rudolph Giuliani, damals Staatsanwalt, wollte ihm wegen Embargoverletzungen, Handel mit dem Feind und diverser anderer Vergehen den Prozess machen. Sogar die Entführung aus seiner Wahlheimat Zug durch amerikanische Agenten war geplant. Begnadigt wurde Rich erst durch Bill Clinton, am letzten Tag dessen Amtszeit als US-Präsident. Es gilt als offenes Geheimnis, dass diese Amnestie auf Grund umfangreicher Spenden durch Marc Richs´ Ex-Frau an die Demokratische Partei erfolgte.
Mit Geldkoffer zum Geschäftstermin
Über die lange Geschichte der Korruption in der Branche packte erst kürzlich ein Insider aus. Paul Wyler, bis 2002 einer der höchsten Führungskräfte von Glencore und Mitglied des Vorstands, erläuterte in einem Interview für das sehr lesenswerte Buch „The World for Sale“ (Javier Blas & Jack Farchy) detailliert die seinerzeit gängige Praxis: „Ich reiste mit 500.000 Pfund nach London“, so Wyler, damals sei es für ein Schweizer Unternehmen legal und sogar steuerlich absetzbar gewesen, sogenannte "Kommissionen" zu zahlen, sagte er und fügte hinzu, dass Glencores damaliger Status als privates Unternehmen - der Börsengang erfolgte erst 2011 - dabei sehr hilfreich gewesen sei. „Wir hatten Vorteile, wenn wir Provisionen zahlen wollten. Wenn wir also bestimmte Dinge bezahlen wollten, mussten wir das nicht in unserem Jahresbericht deklarieren.“ Portokasse eben. Seitdem haben sich die Zeiten nicht wirklich gewandelt, Bestechung und Korruption sind noch immer die größten Plagen der Rohstoffindustrie, trotz des zunehmenden Drucks von Ermittlern und Aufsichtsbehörden. So wird derzeit beispielsweise Trafigura, der zweitgrößte Metall- und Ölhändler, in Brasilien beschuldigt, Schmiergelder gezahlt zu haben, um Geschäfte mit der staatlichen Ölgesellschaft zu machen. Das Unternehmen bestreitet diese Vorwürfe. Vitol, der weltgrößte Ölhändler, gestand erst im Dezember ein, Regierungsbeamte mehrerer Länder Süd- und Mittelamerikas bestochen zu haben. Einige der Fälle liegen gerade einmal zwei Jahre zurück. Gunvor zahlte 2019 95 Millionen US-Dollar Strafe, nachdem herauskam, dass einer seiner Mitarbeiter Beamte im Kongo und der Elfenbeinküste bestochen hatte, um sich dort Ölgeschäfte zu sichern.
Ein Tropfen auf den heißen Stein
Das prominenteste Beispiel dafür, wie weit diese Unternehmen bei ihrer Jagd nach dem maximalen Profit gehen und wieviel ihre auf den Firmenwebsites proklamierten ethischen Grundsätze wert sind, lieferte jüngst einmal mehr Glencore. Erst im vergangenen Monat bekannte sich das Unternehmen der Marktmanipulation am US-Heizölmarkt schuldig. Darüber hinaus ging es um mehr als 100 Millionen US-Dollar, die als Bestechungsgelder an Regierungsbeamte in Brasilien, Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo und Venezuela geflossen sein sollen. In den USA wurde bereits seit 2018 ermittelt, jedoch kamen die Details der Korruption in Afrika allerdings erst im vergangenen Jahr ans Licht, nachdem ein ehemaliger Glencore-Händler einen Plan zur Bestechung nigerianischer Beamte offenbarte. Dieses Geschäftsgebaren ist seit jeher fester Bestandteil der Unternehmenskultur, war also auch in diesem Fall „ganz oben“ bekannt und wurde möglicherweise sogar aktiv gefördert. Immerhin benutzt der eigene Unternehmensanwalt in diesem Zusammenhang die Begriffe „wissentlich und willentlich“. Um die laufenden Ermittlungen in den USA, Großbritannien und Brasilien beizulegen, zahlt Glencore nun rund 1,5 Milliarden US-Dollar, in der Schweiz und den Niederlanden laufen weitere Verfahren! Damit gehört diese Sanktion zu den höchsten Antikorruptions-Strafen die jemals verhängt wurden, für Glencore fällt diese Summe jedoch eher in die Kategorie der vielzitierten „Peanuts“. Bei einem Jahresergebnis von 21,3 Milliarden US-Dollar (2021, für dieses Jahr liegen die Prognosen nochmals höher), dauert es keine vier Wochen, bis diese Scharte ausgewetzt ist. Und während sich zwei Glencore-Händler im Rahmen der US-Prozesse schuldig bekannt haben, sind die Spitzenmanager des Unternehmens bisher einer Strafe entgangen. Die Wirkung, sowohl ganz konkret als auch als Signal an die Branche, ist also mehr als überschaubar. Bei den betroffenen Ländern hingegen handelt es sich um einige der ärmsten der Welt, und es sind nach wie vor deren Bürger, die die wahren Kosten dieser Methoden tragen.
Es liegt natürlich die Vermutung nahe, dass es sich bei der Causa Glencore nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Es ist das mächtigste unter einer Handvoll Unternehmen, die den weltweiten Rohstoffhandel beherrschen, aber nicht das einzige. Der Kuchen hat eben nur eine bestimmte Größe und bleibt hart umkämpft. Der Umstand, dass sich die meisten der Konkurrenten aus guten Gründen in Privatbesitz befinden und traditionell eher im Randbereich des Blickfelds der Aufsichtsbehörden operieren, erschwert die Aufklärung entsprechender Verdachtsmomente enorm. Nicht umsonst wird dieser Sektor des Wirtschaftsgeschehens nicht selten als „Wilder Westen“ bezeichnet. Vielleicht braucht es einen Sheriff, der aus dem gleichen Holz geschnitzt ist, wie die heutigen Marc Richs, um diesen Sumpf trocken zu legen. Jemanden mit der für diese Aufgabe nötigen charakterlichen Eignung zu finden, dürfte jedoch zur Herausforderung werden. 500.000 Pfund in der Aktentasche, Sie erinnern sich…
LESEN SIE IN DER NÄCHSTEN AUSGABE DES GROSSEN DWN-ROHSTOFF-REPORTS:
Die Giganten, die den Welthandel mit Rohstoffen beherrschen, sind in vielerlei Hinsicht unberechenbar. Sind sie mittlerweile bereits „Too Big To Fail“ und, wie die großen Investmentbanken, tatsächlich systemrelevant? Könnte es sein, dass der Ausfall eines der großen Handelshäuser zu ernsthaften Störungen auf den Rohstoffmärkten führen würde, dass sich ein solches Ereignis sogar weit darüber hinaus ausdehnen und zu einer viel größeren Krise führen könnte? Könnte ein neuer Lehman-Moment im Rohstoffhandel seinen Ursprung nehmen? Das Risiko aus dieser Richtung ist derzeit nur wenigen wirklich bewusst, wir wollen die Situation deshalb in der nächsten Ausgabe näher beleuchten.
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