Politik

Japans Ex-Regierungschef Abe nach Attentat verstorben

Gegen 11.30 Uhr Ortszeit fallen in der japanischen Stadt Nara Schüsse, sie treffen den früheren Regierungschef Shinzo Abe. Einige Stunden folgt die Meldung: Der 67-Jährige ist tot.
08.07.2022 08:14
Aktualisiert: 08.07.2022 08:14
Lesezeit: 3 min

Der frühere japanische Ministerpräsident Shinzo Abe ist erschossen worden. Der 67-Jährige wurde am Freitag in der japanischen Stadt Nara Opfer eines Mordanschlags. Tatverdächtig ist ein 41 Jahre alter Japaner, der noch am Tatort festgenommen wurde. Medienberichten zufolge feuerte der Mann zweimal mit einer selbstgebauten Schusswaffe auf den früheren Regierungschef. Der rechtskonservative Politiker brach daraufhin zusammen, blutete in der linken Brust und am Hals.

Auf Videoaufnahmen von Reportern sind die beiden Schüsse zu hören. Am Tatort spielten sich dramatische Szenen ab. Helfer führten an dem auf der Straße liegenden Abe erste Herzmassagen durch, bevor er in ein Krankenhaus gebracht wurde. Auf dem Weg ins Krankenhaus soll der Politiker bei Bewusstsein gewesen sein.

Bei dem Attentäter soll es sich um ein 41 Jahre altes früheres Mitglied der Selbstverteidigungsstreitkräfte Japans handeln, hieß es. Er sei «unzufrieden» mit Abe und habe ihn «töten» wollen, wurde der Mann nach seiner Festnahme vom Fernsehsender NHK zitiert. Laut anderen Berichten sagte er, er habe «keinen Groll gegen Abes politische Überzeugungen».

Abe regierte Japan von Dezember 2012 bis September 2020, er war damit der am längsten amtierende Premier des Landes. Unter ihm rückte Japan nach Meinung von Kritikern deutlich nach rechts. Der 67-Jährige gehörte zu den entschiedenen Verfechtern einer Revision der pazifistischen Nachkriegsverfassung des Landes. Im Artikel 9 der Verfassung verzichtet Japan «für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten».

Der Anschlag in einem der sichersten Länder der Welt, das über äußerst scharfe Waffengesetz verfügt, schockierte nicht nur die Menschen in Japan. «Gewalt gegen politische Aktivitäten ist absolut inakzeptabel», sagte ein Vertreter der Kommunistischen Partei Japans, für die Abes nationalistische Politik immer ein rotes Tuch war.

Reaktionen aus der Politik

Auch Außenministerin Annalena Baerbock zeigte sich bestürzt. «Ich bin schockiert von der Nachricht, dass Shinzo Abe niedergeschossen wurde», erklärte die Grünen-Politikerin auf Twitter. «Meine Gedanken sind bei ihm und seiner Familie», hieß es in der auf Englisch verfassten Botschaft weiter.

Baerbock hält sich derzeit beim Treffen der G20-Außenminister auf Bali auf. Dort äußerte auch US-Außenminister Anthony Blinken tiefe Trauer und Besorgnis. «Unsere Gedanken, unsere Gebete sind mit ihm, mit seiner Familie, mit Japans Volk», sagte Blinken nach Angaben der «New York Times».

Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen verurteilte den Anschlag. Abe sei nicht nur ihr guter Freund, sondern auch Taiwans stärkster Freund, der die demokratische Inselrepublik seit Jahren unterstützt habe, schrieb Tsai auf Facebook. Der ehemalige Regierungschef habe keine Mühen gescheut, um die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu fördern. IOC-Präsident Thomas Bach schrieb auf Twitter: «Ich bin zutiefst schockiert über diesen feigen Angriff auf den ehemaligen japanischen Ministerpräsidenten Abe Shinzo. Meine Gedanken sind bei ihm. Ich hoffe und bete, dass er sich erholt.» Unter Abe hatte Japan den Zuschlag für die Olympischen Spiele in Tokio erhalten.

Der Anschlag geschah kurz vor Wahlen zum Oberhaus des Parlaments an diesem Sonntag. «Es ist ein Angriff auf die parlamentarische Demokratie und kann nicht toleriert werden», sagte der Präsident des Abgeordnetenhauses, Hiroyuki Hosoda. Abes Nachfolger und Parteifreund Fumio Kishida verurteilte den Anschlag aufs «Schärfste». Er hatte zuvor einen Wahlkampfauftritt in der nördlichen Präfektur Yamagata abgebrochen und war im Hubschrauber zu seinem Amtssitz in Tokio zurückgekehrt.

Abe glaubt, dass Japans Verfassung nicht der einer unabhängigen Nation entspricht, da sie 1946 von der Besatzungsmacht USA aufgezwungen worden sei. Es wird erwartet, dass seine Partei LDP bei den Oberhauswahlen einen haushohen Sieg erringen wird und danach die Debatte um eine Verfassungsänderung an Fahrt gewinnen könnte.

Wirtschaftlich wollte Abe mit seiner «Abenomics» getauften Wirtschaftspolitik aus billigem Geld, schuldenfinanzierten Konjunkturspritzen und dem Versprechen von Strukturreformen Japan aus der jahrzehntelangen Deflation und Stagnation führen. Zwar hat die Nummer Drei der Weltwirtschaft unter Abe zwischenzeitlich die längste Wachstumsphase seit Jahren erlebt. Zudem kurbelte er den Tourismus an, der vor der Corona-Pandemie viel Geld ins Land brachte. Gleichzeitig aber habe die «Abenomics» dazu geführt, dass die Gewinne in den vergangenen Jahren ungleich verteilt worden seien, beklagten Kritiker. Ein Drittel aller Beschäftigten ist ohne Festanstellung.

DWN
Politik
Politik Russlands Desinformationskampagnen: Wie Europa gegen Putins Trolle kämpft
06.12.2025

Europe wird zunehmend Ziel digitaler Einflussoperationen, die gesellschaftliche Stabilität, politische Prozesse und wirtschaftliche...

DWN
Immobilien
Immobilien Baufinanzierung Zinsen: Entwicklung des Bauzinses 2025 - und wie es 2026 weitergeht
06.12.2025

Nachdem die Zinsen – darunter der Bauzins – in Deutschland seit 2019 eine gewisse Schieflage erreicht haben, scheint nun Ruhe...

DWN
Finanzen
Finanzen Marktausblick 2026: Internationale Aktien und Small-Cap-Aktien sind am besten positioniert
06.12.2025

KI treibt Teile der Weltwirtschaft nach vorn, während andere Branchen stolpern. Gleichzeitig locken Staaten mit neuen Ausgabenprogrammen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schiene unter Druck: Expertenrunde soll Bahnverkehr stabilisieren
06.12.2025

Wegen anhaltender Probleme im Zugverkehr arbeitet eine neue Taskforce an kurzfristigen Lösungen für mehr Pünktlichkeit und Stabilität...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Automobilindustrie erholt sich: Nachfrage kehrt zurück
06.12.2025

Die europäischen Neuzulassungen ziehen spürbar an und signalisieren eine langsame, aber stabile Erholung der Automobilindustrie. Doch...

DWN
Technologie
Technologie Bidirektionales Laden in Schweden: E-Autos und Solaranlagen bieten neue Energie für Haushalte
06.12.2025

In Schweden entwickelt sich eine neue Form der dezentralen Energieversorgung, bei der Haushalte Strom selbst erzeugen und intelligent...

DWN
Politik
Politik Benelux-Einigung: Wie ein radikaler Zusammenschluss Europa herausfordern würde
06.12.2025

Mitten in einer Phase wachsender geopolitischer Spannungen nehmen belgische Politiker eine Vision wieder auf, die lange undenkbar schien...

DWN
Politik
Politik Trumps US-Sicherheitsstrategie und die Folgen für Europa
05.12.2025

Donald Trumps neue US-Sicherheitsstrategie rückt Europa ins Zentrum – allerdings als Risiko. Das 33-seitige Papier attackiert...