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VW trennt sich überraschend von Herbert Diess

Der lange Streit zwischen VW-Chef Herbert Diess und dem Aufsichtsrat hat ein Ende gefunden. Was heißt das für den Kurs des größten deutschen Unternehmens?
23.07.2022 11:30
Lesezeit: 4 min
VW trennt sich überraschend von Herbert Diess
Herbert Diess am 7. Juli bei einer Veranstaltung zum Baustart der VW-Batteriezellenfabrik für E-Fahrzeuge in Salzgitter. (Foto: dpa) Foto: Moritz Frankenberg

Am Ende war es wohl doch ein Problem, ein Streit zu viel. Angeblich schrammte Herbert Diess bereits zweimal haarscharf an einem Rauswurf als VW-Konzernchef vorbei, am Freitagabend kam - kurz vor den Werksferien in Wolfsburg - die überraschende Nachricht: Der umtriebige, aber oft für seine Sprunghaftigkeit und Ruppigkeit kritisierte Vorsitzende geht. Zum 1. September soll ihm Porsche-Chef Oliver Blume nachfolgen.

Eine knappe Mitteilung an die Finanzwelt nach einer Sitzung der Kontrolleure besiegelt das Ende der Ära Diess - fast exakt sieben Jahre, nachdem er von BMW zu den Niedersachsen gewechselt war.

Dass es passieren könnte, hatte sich mehrfach angedeutet. Doch zuletzt schien das Maß voll zu sein - und für Diess ging es nicht weiter. Das legen zumindest Stimmen aus Konzernkreisen nahe, die die Entwicklung der vergangenen Monate und Jahre eng verfolgten. Blume hatte schon als möglicher Kronprinz in der Reserve gestanden. Er gilt als hochtalentierter Manager, war bei Porsche bisher sehr erfolgreich - und ist eher ein Mann der ruhigen Töne, in der Kommunikation wie in der strategischen Planung.

Blume soll neben seiner Funktion an der Konzernspitze auch Porsche-Chef bleiben. Mit dem Börsengang der renditestarken Sport- und Geländewagentochter bis zum Jahresende hat sich der Konzern viel vorgenommen, zumal im jetzigen unsicheren Umfeld. Im Wolfsburger Tagesgeschäft soll VW-Finanzchef Arno Antlitz Blume assistieren.

Jenseits der fachlichen Aufgaben, die auf Blume zukommen, könnte die Personalie auch einen Wechsel im Führungsstil markieren. Diess ist in der Branche hoch angesehen. Ohne ihn - da stimmt fast jeder zu - stünde VW vor allem mit seinem Angebot an Elektroautos nicht dort, wo der größte europäische Autobauer heute steht. Doch im Atmosphärischen war es keine leichte Zeit für einige Manager. Und erst recht nicht für die Belegschaft.

Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch dankte Diess. Dieser habe die Transformation maßgeblich vorangetrieben. Allerdings gab es zuletzt auch Probleme, vor allem bei der stockenden und sich nochmals deutlich verteuernden Entwicklung eigener Software-Systeme.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der das Land als zweitwichtigsten Eigner im Aufsichtsrat vertritt, zollte Diess Respekt. Er habe den Anstoß für wesentliche neue Vorhaben gegeben. Über Blume sagte Weil: «Ich bin zuversichtlich, dass er den Konzern mit Umsicht und Weitblick im Team mit dem Vorstand, in guter Kooperation mit dem Betriebsrat und mit sehr viel Wertschätzung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen wird.»

Aufhorchen dürfte hier mancher beim letzten Punkt, der Wertschätzung der Beschäftigten. Damit tat sich Diess - jedenfalls aus der Perspektive von Betriebsrat und etlichen Kolleginnen und Kollegen am Band - häufig eher schwer. Los ging es spätestens, als sich viele beim holprigen Anlauf der Kernmodelle Golf 8 und ID allein gelassen fühlten. Belegschaftsvertreter bemängelten eine fehlende Krisenstrategie und ständige Erhöhung des Drucks in der Fertigung. Die IG Metall sprach Diess in einem offenen Brief das Misstrauen aus.

Gewerkschaftschef Jörg Hofmann, wie Weil und Betriebsratschefin Daniela Cavallo im Präsidium, betonte, VW müsse «neben seiner technologischen Favoritenrolle auch der sozialen Vorbildrolle gerecht werden». Cavallo sagte, der Umbruch sei schwierig. VW müsse gestärkt aus ihm hervorgehen. «Unser Anspruch ist es aber ebenso, dass dabei trotz der großen Herausforderungen Beschäftigungssicherung und Wirtschaftlichkeit gleichrangige Unternehmensziele bleiben.»

Andererseits hatte manch einer gemunkelt, Diess könne eventuell auch von sich aus gehen. Von der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat soll er sich beim Konzernumbau, bei zentralen Personalien und bei Vorschlägen für mehr Effizienz ausgebremst gefühlt haben. Mit Cavallos Vorgänger Bernd Osterloh geriet er des Öfteren aneinander.

Im Sommer 2020 folgte der Eklat, als Diess Mitgliedern des Aufsichtsrats wegen Durchstechens sensibler Informationen «Straftaten» und «fehlende Integrität» vorhielt. Anschließend kam nicht gut an, dass er zusätzliche Rückendeckung durch eine vorzeitige Vertragsverlängerung einforderte. Als eines seiner Ziele gab Diess aus, «alte, verkrustete Strukturen aufzubrechen und das Unternehmen agiler und moderner aufzustellen». Eine Vertragsverlängerung um vier weitere Jahre trug Cavallo zunächst mit.

Der nächste Klopfer folgte im vergangenen Herbst, als Diess ohne Rücksprache mit den Aufsehern im Managerkreis per E-Mail um Ideen für weitere Sparvorschläge gebeten haben soll. Mittelfristig wurden bis zu 30 000 womöglich überschüssige Stellen ins Spiel gebracht. Die Differenzen führten mit dazu, dass der Abschluss der Planungsrunde über die Investitionen verschoben werden musste.

Die wegen der Chipkrise schwache Auslastung vieler Werke und die dadurch bedingte Kurzarbeit Zehntausender Beschäftigter hatte ebenfalls großen Unmut hervorgerufen. Cavallo warf Diess ein mangelhaftes Versorgungskonzept vor - stattdessen kümmere er sich lieber um PR-Termine und posiere sogar mit Tesla-Chef Elon Musk.

Viele Investoren hielten Diess’ Umsteuern in Richtung E-Mobilität und Software hingegen für so mutig wie in kaum einem anderen Unternehmen. Sein Stil wurde hier eher bewundert denn kritisiert. Die Familien Porsche/Piëch als VW-Hauptaktionäre stützten ihn wiederholt.

Diess war im Juli 2015 von BMW zu VW gewechselt, kurz vorm Auffliegen des Abgasskandals. Zunächst steuerte er die VW-Kernmarke durch drei schwierige «Dieselgate»-Jahre, ehe er im April 2018 auch zum Chef des Gesamtkonzerns berufen wurde. Nach dem Krach mit den Kontrolleuren im Sommer 2020 musste er die Führung der Hauptmarke an Ralf Brandstätter abgeben. Brandstätter geht nun als Konzernvorstand nach China.

Zuletzt machte sich in vielen Bereichen Nervosität aufgrund des Rückstands in der Software-Entwicklung breit. Bei einer Sitzung vor zwei Wochen hatten die Kontrolleure über die Unstimmigkeiten beim Ausbau der IT-Sparte Cariad beraten. Diese soll eine einheitliche Programm- und Elektronikplattform für alle künftigen Modelle entwerfen. Nach Einwänden vor allem der Töchter Audi und Porsche geht die Entwicklung dort zunächst parallel weiter.

Vor der Belegschaft hatte Diess kürzlich erklärt, das Timing in der Software-Entwicklung müsse verbessert werden. Die Aufspaltung der Aufgaben koste VW hier bis zu eine halbe Milliarde Euro. «Rückschläge in einzelnen Projekten gehören dazu. Wir müssen Software-Kultur noch lernen.» Für den neben der Elektromobilität zentralen strategischen Bereich trug er die Gesamtverantwortung.

Vor wenigen Wochen erläuterte der scheidende VW-Chef in jovialem Ton noch verschiedene Pläne, die er mit dem Unternehmen in nächster Zeit habe. Anders als vor der Sommerpause im vergangenen Jahr gab es diesmal jedoch kein Video, in dem er mit einem Elektro-Surfbrett über den Mittellandkanal sauste.

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