Finanzen

Zinswende verpufft: Europas Banken stehen vor neuen Risiken

Eigentlich sollte die begonnene, lang erwartete Zinswende Europas Banken optimistisch stimmen. Doch stattdessen tun sich neue Risiken für den Sektor auf.
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30.07.2022 18:17
Lesezeit: 6 min

Europas Banken warten seit einem Jahrzehnt auf steigende Zinssätze, um wieder höhere Gewinne machen zu können. Doch jetzt, da die Zentralbanken die Zinsen endlich wieder anheben, wird der lang erwartete Gewinn nicht nur durch eine drohende Rezession bedroht, sondern zusätzlich durch die Befürchtung, dass die überschuldeten europäischen Staaten ihre Banken mit neuen Steuern belasten könnten.

In der vergangenen Woche hat die Europäische Zentralbank die Zinssätze zum ersten Mal seit September 2011 erhöht: um 50 Basispunkte und damit heraus aus dem negativen Bereich auf nunmehr 0 Prozent. Damit folgte die EZB den noch aggressiveren Zinserhöhungen der Federal Reserve und der Bank of England. Erklärtes Ziel ist es, auf diese Weise die Inflation einzudämmen, die voraussichtlich bald zweistellige Werte erreichen wird.

"Die Welt wird das Bankgeschäft neu lernen müssen", sagte UBS-Chef Ralph Hamers gegenüber der Financial Times. Die Eurozone habe seit acht Jahren negative Zinse und die Schweiz seit sieben Jahren. In der Folge würden die Menschen Einlagen und Sparkonten nicht mehr wertschätzen. Banker, "die in den letzten sieben Jahren hier in der Schweiz zu uns gekommen sind, haben noch nie in einem positiven Zinsumfeld für eine Bank gearbeitet", so Hamers.

Die Hoffnungen und Sorgen der Banken

Während die Zinserhöhungen sich tendenziell gut auf die Bankgeschäfte auswirken, sind die wachsende Probleme der Verbraucher und Unternehmen schädlich. Daher sind die Meinungen darüber gespalten, wie es den europäischen Banken nach einem Jahrzehnt ergehen wird, in dem ihre Erträge stagnierten und ihre Aktienkurse dramatisch hinter denen ihrer US-Konkurrenten zurückblieben.

Viele Geldhäuser sind zum ersten Mal seit Jahren wieder optimistisch. Die Analystin von Morgan Stanley, Magdalena Stoklosa, bezeichnete die Zinserhöhungen als einen "Game Changer" für den Sektor. Höhere Leitzinsen bedeuten höhere Gewinne, da sich der Nettozinsertrag verbessert. Dies ein Maß für die Differenz zwischen dem, was eine Bank für Einlagen zahlt und für Kredite berechnet.

Banken mit großen Bilanzen und Kreditbüchern werden am meisten von der Zinswende profitieren. Die HSBC beispielsweise verfügt über einen weltweiten Einlagenüberschuss von 700 Milliarden Dollar und schätzt, dass ein Anstieg der Zinssätze um 1 Prozentpunkt jährlich einen zusätzlichen Nettoinventarwert von 5 Milliarden Dollar generieren würde. Das entspricht einem Zehntel der Einnahmen aus dem letzten Jahr von 50 Milliarden Dollar.

Die Lloyds Bank schätzt, dass eine Erhöhung des Leitzinses um einen Prozentpunkt ihre Erträge im ersten Jahr um 675 Millionen Pfund erhöht. Steigende Zinsen und die daraus resultierende Marktvolatilität sind auch für Investmentbanken von Vorteil. Barclays, BNP Paribas und die Deutsche Bank haben durch ihre großen Handelssparten Milliardeneinnahmen erzielt, da die Kundenaktivitäten stark angestiegen sind.

Am Donnerstag gab Barclays bekannt, dass die Erträge aus dem Handel mit festverzinslichen Wertpapieren im zweiten Quartal um 71 Prozent auf 1,5 Milliarden Pfund gestiegen sind. In ähnlicher Weise meldete die Deutsche Bank einen vierteljährlichen Anstieg um 32 Prozent, und Goldman Sachs verzeichnete Anfang des Monats einen Zuwachs um 55 Prozent in demselben Geschäftsbereich.

"Ob Vermögensverwalter oder Unternehmen, ein lang anhaltender Zinstrend bedeutet, dass man sein Portfolio häufiger umschichten muss, was die Erträge bei uns und in der Branche erheblich gesteigert hat", zitiert die Financial Times Ram Nayak, den Co-Leiter des Investmentbankings bei der Deutschen Bank. Ein derartiger Optimismus von Analysten und Anlegern ist seit Jahren nicht mehr zu beobachten gewesen.

Unter dem Druck von schwachen Gewinnen, verschiedenen Skandalen und höheren Kapitalanforderungen haben die großen Banken auf dem europäischen Festland und in Großbritannien weit unter dem Buchwert ihrer Vermögenswerte gehandelt. Nur wenige erwirtschaften durchgängig eine Eigenkapitalrendite von mehr als 10 Prozent, was von den Anlegern als das absolute Minimum angesehen wird.

Nach der Finanzkrise hat sich die Region Europa nur langsam umstrukturiert und ist im Investmentbanking weit hinter die New Yorker Wall Street zurückgefallen. Der Mangel an liquiden Mitteln für Investitionen in Technologien hat die Banken anfällig für die Konkurrenz von Fintech-Start-ups und großen Technologieunternehmen wie Apple, Google und Amazon gemacht.

Ein Ende der jahrelangen negativen Zinssätze "verwandelt ihr Kerngeschäft jedoch von einer verlustbringenden Perspektive in eine neutrale", so Alastair Ryan, Analyst der Bank of America. Auf der Grundlage der aktuellen Prognosen für weitere Zinserhöhungen erwartet BofA, dass die Banken in der EU innerhalb eines Jahres die dringend benötigten zusätzlichen 17 Milliarden Euro an Einnahmen aus dem Nettoinventarwert pro Quartal erzielen werden.

Doch während der Optimismus der Banken zunimmt, wachsen zugleich auch die Sorgen. Denn ein erheblicher Teil des Zinsgewinns dürfte durch höhere Kreditausfälle aufgefressen werden. Europas Verbraucher stehen vor einem akuten Anstieg der Lebenskosten, und kleine Unternehmen kämpfen nach den Corona-Maßnahmen nun mit schwachem Konsum und mit einer steigenden Inflation.

Einige sind der Meinung, dass der Bankensektor wie in der schlimmsten Zeit der Pandemie auch mit den neuen Problemen fertig werden kann. "Selbst bei einer langsameren Kreditvergabe erwarten wir, dass der wiederkehrende Ertragsvorteil höherer Zinssätze die einmalige Auswirkung höherer Rückstellungen deutlich übersteigt", sagt Ryan von der Bank of America.

Droht ein Ertragseinbruch um 50 Prozent?

Andere sind weniger zuversichtlich. "Es ist nicht einfach, die Auswirkungen von Rückstellungen und Konkursen vorherzusagen. Die Situation ist wie bei Covid. Sie ist völlig neu, so etwas haben wir seit den 1970er Jahren nicht mehr erlebt", sagte Jérôme Legras, Leiter der Forschungsabteilung der Investmentgesellschaft Axiom.

Wirtschaftliche und politische Risiken zeigen sich derzeit etwa in Italien, wo der Rücktritt von Ministerpräsident Mario Draghi eine Krise ausgelöst hat, die auf den Markt für Staatsanleihen und das Bankensystem übergegriffen hat. "Rezessionen sowohl in den USA als auch in Europa werden immer wahrscheinlicher", zitiert die Financial Times den Autonomous-Analysten Stuart Graham.

"Die Geschichte lehrt uns, dass die Erträge des europäischen Bankensektors in der Regel um 50 Prozent sinken", und die derzeitige Stimmung sei "überwältigend pessimistisch", so Graham. Die Anleger fürchteten "vor allem eine Rezession, die dadurch ausgelöst wird, dass Russland den Gashahn zudreht, aber auch eine Stagflation wie in den 1970er Jahren, Bankensteuern und so weiter." Zugleich zeigten sich nur wenige positive Katalysatoren.

Noch gibt es kaum Anzeichen für eine Notlage der Kunden, sodass ein Großteil der zweistelligen Milliardenbeträge, die im Rahmen von Covid für uneinbringliche Forderungen zurückgelegt wurden, weiterhin vorhanden sind. Die europäischen Banken, die ihre Ergebnisse für das zweite Quartal vorgelegt haben, haben die Erwartungen größtenteils übertroffen, trotz der Warnungen vor bevorstehenden wirtschaftlichen Problemen.

"Der wichtigste Indikator für die Qualität der Bankaktiva ist die Gesamtbeschäftigung. Wir müssen abwarten, wie sich das entwickelt, aber wenn sich die Arbeitsmärkte wie von Ökonomen erwartet halten, sollte die Kreditqualität stabil bleiben", sagte Ana Botín, Vorstandsvorsitzende von Santander, gegenüber der Financial Times.

Barclays hat im zweiten Quartal keine zusätzlichen Rückstellungen für faule Kredite in Großbritannien gebildet. Die Finanzdirektorin Anna Cross sagte gegenüber der FT, dass "die Kunden sehr rational handeln", indem sie zum Beispiel ihre Kreditkartenguthaben rasch zurückzahlen. "Verbraucher und Unternehmen stocken ihre Ersparnisse auf und bauen unbesicherte Schulden ab, sodass sie in diesem Umfeld viel besser dastehen als vor der Pandemie."

Eine andere Führungskraft einer britischen Bank sagte: "Wir sehen noch keine Anzeichen für eine Anspannung in unserem Portfolio. Die ersten Anzeichen sind in der Regel ein Anstieg der Leute, die nur minimale Zahlungen auf Kreditkarten leisten, aber auch wenn dies etwas zunimmt, ist das Niveau vor der Pandemie noch nicht wieder erreicht".

Die die EZB und Bank of England haben die Banken bereits schriftlich ermahnt, notleidende Kunden hart zu behandeln, und die Branche will den guten Ruf, den sie sich während der Covid-Krise erworben hat, nicht verlieren. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Staaten mehr Hilfen etwa für Unternehmen bereitstellen, denen die Energiekrise zu schaffen macht, um das Risiko von Insolvenzen für die Banken zu verringern.

Banken fürchten neue Abgaben

Eine weit verbreitete Befürchtung unter Bankmanagern besteht derzeit darin, dass die höheren Gewinne der Banken neue Abgaben nach sich ziehen werden. So hat Spanien bereits eine Sondersteuer von 4,8 Prozent auf die Gebühren und Zinsen der Banken vorgeschlagen, um einen Teil der Gewinne aus den höheren Zinsen abzuschöpfen. Infolge der Ankündigung sanken die Bewertungen der fünf größten Banken des Landes, darunter Santander und BBVA, um Milliardenbeträge.

Ungarn hat seine Banken bereits besteuert, während Polen ein Moratorium für die Rückzahlung von Hypotheken verhängt hat, um in Not geratenen Hausbesitzern zu helfen. "Banken sind ein leichtes Ziel", zitiert die FT einen auf europäische Finanzwerte spezialisierten Hedgefondsmanager. "Große Unternehmen zu beschuldigen, ist in einer Rezession immer ein probates Mittel, um vom Versagen der eigenen Politik abzulenken."

Auch Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire sagte kürzlich in einem Interview mit der FT, er schließe Sondergewinnsteuern im nächsten Jahr nicht aus. In Großbritannien gibt es bereits eine Bankenabgabe und einen Aufschlag von 3 Prozent auf Bankgewinne, der kürzlich von 8 Prozent gesenkt wurde, aber auch wieder erhöht werden könnte, wenn das Finanzministerium Geld braucht.

Die EZB prüft derzeit, wie sie verhindern kann, dass die Banken aus den subventionierten Krediten in Höhe von 2,2 Billionen Euro, die zur Vermeidung einer Kreditklemme während der Pandemie eingeführt wurden, zusätzliche Gewinne erzielen. Analysten schätzen, dass die Banken insgesamt 24 Milliarden Euro einnehmen könnten, indem sie billige Anleihen bei der Zentralbank hinterlegen und von den derzeit höheren Zinssätzen profitieren.

Doch auch wenn die Rentabilität des europäischen Finanzsystems umstritten ist, steht seine Zahlungsfähigkeit außer Frage. Jüngste Stresstests zeigen, dass die meisten Banken auch extreme wirtschaftliche Belastungen verkraften könnten, nachdem sie nach der Krise von 2008 gezwungen wurden, erhebliche Kapitalpuffer aufzubauen. Einige sehen das Überleben einer weiteren Krise sogar als Chance für die Banken, die anhaltende Negativität um sie herum abzuschütteln.

"Eine gute Rezession könnte längerfristig sogar positiv für den Sektor sein", sagt Graham. "Wenn die europäischen Banken sie mit Gewinneinbußen von nicht mehr als 25 bis 50 Prozent, ohne größere Kapitalerhöhungen, ohne ein behördliches Verbot von Ausschüttungen und mit begrenztem Banken-Bashing und finanzieller Repression überstehen, könnte dies endlich einige der anhaltenden Zweifel vieler Anleger ausräumen."

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