Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki hat der EU «Imperialismus» im Umgang mit schwächeren Mitgliedstaaten vorgeworfen und eine tiefgreifende Reform gefordert. Die politische Praxis habe gezeigt, dass die Positionen Deutschlands und Frankreichs mehr zählten als alle anderen, schrieb Morawiecki in einem Gastbeitrag für die Zeitung Die Welt am Mittwoch. «Wir haben es also mit einer formalen Demokratie und einer faktischen Oligarchie zu tun, in der der Stärkste die Macht innehat.»
Es gelte, «die Bedrohung durch den Imperialismus innerhalb der EU» zu besiegen, so Morawiecki. Eine Reform solle «das Gemeinwohl und die Gleichheit wieder an die Spitze der Grundsätze der Union» stellen. Dies könne nur mit einem Perspektivwechsel gelingen. «Es sind die Mitgliedstaaten und nicht die EU-Institutionen, die über die Richtung und die Prioritäten des Handelns der EU entscheiden müssen.»
Die Grundlage der Zusammenarbeit müsse immer die Suche nach Konsens sein, «nicht die Vorherrschaft der Stärksten», schrieb Morawiecki. Der Prozess einer stärkeren europäischen Integration sei «per se falsch».
Zuvor hatte sich Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in einem am Montag veröffentlichten Interview dafür ausgesprochen, im Fall eines Wahlsiegs bei der polnischen Parlamentswahl die Beziehungen zur EU neu zu ordnen.
PiS-Generalsekretär Krzysztof Sobolewski hatte am gleichen Tag zu starken deutschen Einfluss in der EU kritisiert. Polen werde alle Möglichkeiten ausnutzen, etwa durch eine breite Anwendung des Veto-Rechts. «Wir werden eine «Zahn um Zahn»-Taktik anwenden», sagte er.
Ähnlich äußerte sich am Mittwoch PiS-Sprecher Radolsaw Fogiel in einem Rundfunkinterview. Polen werde die Rechte, die ihm zustehen, hart durchsetzen und darauf achten, dass die EU-Kommission sich nicht in Bereiche begebe, die dem EU-Vertrag zufolge nicht in ihre Kompetenz fielen. «Die Organisation der Justiz fällt von A bis Z in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten», betonte er.
Die Justizreform in Polen belastet seit Jahren die Beziehungen Polens zur EU. In einem vor wenigen Wochen veröffentlichten Bericht sah die EU-Kommission deswegen den Rechtsstaat in Polen in Gefahr. Sie enthält dem Land darüber hinaus rund 35 Milliarden Euro an Geldern aus dem sogenannten Corona-Aufbaufonds vor.