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Von der Leyen führt einen Rachefeldzug gegen Ungarn

Lesezeit: 4 min
07.08.2022 12:55  Aktualisiert: 07.08.2022 12:55
Die Brüsseler EU-Kommission führt einen zunehmend erbitterten Feldzug gegen Ungarn – warum eigentlich? Und wie hält Orban dagegen?

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Seit einiger Zeit überzieht die EU-Kommission Ungarn mit Sanktionen. Verschiedene Experten meinen, dass hier ein ganzes Land dafür abgestraft werden soll, dafür, dass es in den Augen Brüssels den „falschen Kandidaten“ wählte. Wirtschaftlich hat sich Ungarn in den letzten Jahren aber gut entwickelt und im Ukrainekrieg ruft Orban zur Deeskalation auf.

Sanktionspolitik Brüssels und ihre Hintergründe

Die EU-Kommission hat gegen Ungarn mehrere Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, z.B. wegen der ungarischen Flüchtlingspolitik. Dazu kommt die Auslösung des Rechtsstaatsmechanismus, der die Sperrung von Haushaltsgeldern ermöglicht. Zusätzlich sind auch Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds mit Verweis auf angebliche Korruption und Rechtsstaatsverstöße gesperrt. Dieses Vorgehen bestraft die ungarischen Normalbürger, denen ja vor allem die finanziellen Hilfen zugutekommen. So hat die Regierung bereits Sozialprogramme kürzen müssen.

Das Vorgehen der EU-Kommission erweckt stark den Eindruck eines Rachefeldzugs gegen Viktor Orban. Der grüne EU-Abgeordnete Daniel Freund forderte sogar: „Eine undemokratische Regierung darf im Rat nicht mitentscheiden.“ Der überwältigende Wahlsieg Orbans bei den Parlamentswahlen im April 2022 mit über 54% der Stimmen hatte Brüssel geschockt. In der EU hatten viele auf einen Sieg des Oppositionsbündnisses gehofft.

Zudem erregte auch der besonnene Kurs Orbans in der Ukrainekrise in Brüssel Missfallen. Orban hatte den Angriff Russlands verurteilt, doch zugleich deutlich gemacht, dass er sowohl Waffenlieferungen als auch Sanktionen für keine geeignete Form der Konfliktlösung hält.

Orban macht deutlich, dass er nicht mit Verhandlungen warten will, bis irgendwann einmal ein ukrainischer Sieg erreicht ist, wie beispielsweise EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen argumentiert. Der ungarische Ministerpräsident will vermeiden, dass bis dahin weitere Zehntausende Menschen auf beiden Seiten geopfert werden.

Auswirkungen der EU-Finanzblockade

Dass nur für Ungarn die EU-Finanzhilfen blockiert wurden, aber nicht für Polen, hat ein besonderes „Geschmäckle“. Denn auch der polnischen Regierung wurden im „Rechtsstaatsbericht“ der EU massive Verstöße vorgeworfen. Anders als Ungarn gehört Polen aber zu den Hauptvertretern eines harten Kurses gegenüber Russland in der EU.

Teilweise berechtigt erscheint die Kritik der EU an der Korruption im Land. Allerdings hat diese in Ungarn eine lange Tradition. Leider hat das die Gesellschaft geprägt, wenngleich auch nicht stärker als in anderen osteuropäischen Ländern.

Sollten die Finanzhilfen der EU dauerhaft blockiert bleiben, bedeutet dies für Ungarn eine nicht unerhebliche Belastung. Es gehört zu den Nettoempfängern in der EU. 2020 erhielt das Land nach Angaben der Europäischen Kommission 4,8 Mrd. Euro mehr von der EU, als es in den EU-Haushalt einzahlte. Länder wie Polen (13.2 Mrd.) und Griechenland (5,7 Mrd.) empfingen von der EU netto deutlich mehr Geld. Doch bei Ungarn macht die Summe immerhin 3,5% des BIP aus.

Bisher hatte die ungarische Regierung einen großen Teil dieser Mittel für soziale Zwecke eingesetzt, beispielsweise ein Programm zur steuerlichen Förderung von Familien. Durch die Blockade Brüssels sind nun diese sozialen Maßnahmen bis auf Weiteres schwer zu finanzieren. Eine Folge ist auch die Abschaffung des stark ermäßigten Steuersatzes für kleine Unternehmen, wenn sie nicht nur Privatpersonen, sondern auch Firmen als Kunden haben. Gegen diese Änderung gab es in Budapest im Juli verschiedene Demonstrationen und Straßenblockaden.

Wirtschaft mit Perspektiven

Ungarn hatte die Folgen der Coronakrise gut bewältigt. Bereits 2021 erzielte das Land wieder ein Wirtschaftswachstum von über 7% und im ersten Quartal 2022 wuchs das Bruttoinlandsprodukt sogar um 8%. Die Auswirkungen des Ukrainekrieges auf Ungarns wichtigste Handelspartner in der EU und die stark gestiegenen Rohstoffpreise verdüstern allerdings auch den Konjunkturhimmel für Ungarn.

Probleme macht dem mittelosteuropäischen Land allerdings die starke Inflation. Die ungarische Zentralbank versuchte mit einer Leitzinserhöhung gegenzusteuern, bisher aber nur mit beschränktem Erfolg. Im Mai lag die Inflationsrate bei 10%. Daneben versucht die Regierung durch einen Preisdeckel für Sprit und einige Grundnahrungsmittel die Inflation unter Kontrolle zu halten. Laut Angaben der Regierung würden sonst die Preise um 4 bis 5% höher liegen. Leider haben aber die Erfahrungen verschiedener anderer Länder gezeigt, dass solche Maßnahmen nur vorübergehend und begrenzt wirken.

Einige Großprojekte haben für die Infrastruktur des Landes hohe Bedeutung, beispielsweise der Ausbau der Bahnstrecke Budapest-Belgrad oder der Ausbau des Kernkraftwerks PAKS mit zwei neuen Reaktorblöcken. Die Erweiterung wird von einer Tochter des russischen Rosatom Konzerns durchgeführt, was Kritik vonseiten der EU hervorgerufen hat.

Die ungarische Regierung lockt Investoren mit niedrigen Steuersätzen. Die Körperschaftssteuer ist mit 9% eine der niedrigsten in der EU. Und die Einkommenssteuer von 15% ist eine Flat Tax.

Energieversorgung: Nicht ohne Russland

Ein weiterer Grund, warum sich Ungarn gegenüber Russland kompromissbereiter zeigt als verschiedene andere EU-Länder, ist die Abhängigkeit von russischer Energie. Beim Rohöl werden 75 bis 90% aus russischen Quellen gedeckt. Es ist vor diesem Hintergrund nur verständlich, dass Ungarn große Bedenken gegen einen Importstopp russischen Öls hatte. Orban konnte in Brüssel eine Ausnahmeregelung für Ungarn durchsetzen. Ähnlich stark ist die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen. Ca. 80% des Bedarfs werden durch russisches Gas gedeckt. Gas ist die wichtigste Energiequelle des Landes.

Die Regierung hat auf die massiven Preissprünge im Energiesektor reagiert. Die staatlich festgelegten Preisobergrenzen bei Strom und Gas gelten ab August nur noch bis zum Niveau des Durchschnittsverbrauchs. Konsumenten, die mehr verbrauchen, müssen die höheren Marktpreise zahlen.

Fazit

Orban besitzt weiter sehr großen Rückhalt im Land. Außerhalb der Hauptstadt Budapest konnte seine Partei Fidesz fast sämtliche Direktmandate gewinnen. Allerdings stellen die wirtschaftlichen Verwerfungen des Ukrainekriegs und die Strafaktionen Brüssels das Land vor eine harte Probe. Gerade weil das „System Orban“ immer sehr darauf geachtet hatte, auch die Normalverdiener am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben zu lassen, ist es nun einer besonderen Bewährungsprobe ausgesetzt. Doch Orban ist zweifellos ein Machtpolitiker, der mit einer gehörigen Dosis Cleverness und politischen Instinkts ausgestattet ist. Von daher ist es ihm zuzutrauen, dass er auch die aktuelle Krise bewältigt.


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