Technologie

Transhumanismus: Theologe Hartl warnt vor „Neuprogrammierbarkeit des Menschen“

Lesezeit: 5 min
21.08.2022 08:19
Im DWN-Interview erklärt Theologe und Buchautor Johannes Hartl, was am Transhumanismus – aber auch an so manchem seiner prominenten Kritiker – gefährlich ist.
Transhumanismus: Theologe Hartl warnt vor „Neuprogrammierbarkeit des Menschen“
Was im Transhumanismus passiert, ist, dass der Mensch zum Gegenstand fast beliebiger technischer Manipulierbarkeit wird. (Foto: iStock.com/libre de droit)
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Der Philosoph, Theologe, Buchautor („Eden Culture: Ökologie des Herzens für ein neues Morgen“) und Gründer des Gebetshauses Augsburg spricht im DWN-Interview darüber, was Teile der transhumanistischen Vision, wie vom israelischen Historiker Yuval Noah Harari vertreten, gefährlich macht und warum manche Kritker von Transhumanismus und „Great Reset“ zuletzt nur noch gefährlicheren Ideologien aufsitzen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Hartl, in einer Episode Ihres Podcasts „Hartls Senf“ sprachen Sie unter anderem über die Bücher des israelischen Historikers Yuval Noah Harari. Was sagt Harari eigentlich? Und warum halten Sie es für gefährlich?

Johannes Hartl: Er sagt, dass wir Menschen nichts weiter sind als evolutionär besonders fitte Tiere, deren Hirn so was wie ein Computer ist. Und weil das so ist, ist die Überwindung des Menschen durch den transhumanistischen Übermenschen sozusagen der nächste Schritt der Evolution. Ich halte das dahinterstehende Menschenbild für defizitär und seine Folgerungen deswegen auch für falsch.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Also ist es weniger die Entgrenzung an sich, die du kritisierst, und die ja letztendlich auch infolge der Entwicklung der Technologie stattfindet, sondern eine Ideologie, die noch dahinter steht und diese Entgrenzung kritiklos zelebriert.

Johannes Hartl: ...sozusagen zelebriert und auch erst hervorbringt. Also dass der Mensch versucht, seine Grenzen zu überwinden, das ist völlig normal. Das machen wir schon, seit wir das Feuer beherrschen oder so, das ist auch gar nicht problematisch. Was im Transhumanismus passiert, ist aber, dass der Mensch selber zum Gegenstand fast beliebiger technischer Manipulierbarkeit wird. Und das wird dann problematisch, wenn das Menschenbild an sich schon defizitär ist.

Also ich sag mal, wenn der Mensch wirklich so was wie ein Computer ist, dann lässt er sich tatsächlich beliebig neu programmieren. Menschen sind aber genau das nicht und deswegen ist der Traum von der Neuprogrammierbarkeit des Menschen in seinem Wesen antihumanistisch.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Im Kontext des Transhumanismus wird auch oft von einem sogenannten „Great Reset“ gesprochen. Die Meinungen darüber gehen ja sehr stark auseinander. Ursprünglich war es nur der Titel ein Buch vom WEF-Gründer Klaus Schwab, in dem dieser Möglichkeiten der Neugestaltung der Welt nach der Corona-Pandemie diskutiert. Viele Kritiker des Buchs dämonisieren Schwab und legen ihm seine Ideen als sinistren Weltherrschaftsplan aus. Warum gehen die Meinungen da so auseinander? Und was hat das alles mit Transhumanismus zu tun?

Johannes Hartl: Mir ist in Schwabs Buch auch kein Plan für die Weltverschwörung begegnet. Mir ist allgemein, sowohl bei Schwab als auch bei Harari nicht ganz klar, wo sie vor Entwicklungen warnen und wo sie Entwicklungen sogar positiv herbeischreiben. Also Schwab zum Beispiel schreibt ja auch, dass wir in der Digitalisierung eine immer vollständigere Überwachung des Menschen ermöglichen.

Und er sagt: Diese Technologien dürfen keinesfalls in die Hände von den Falschen geraten. Bis dahin gehe ich komplett mit. Er schreibt dann aber: Deswegen müssen diese Technologien praktisch in die Hand von internationalen Gremien gelegt werden. Und da bin ich mir nicht sicher: Ist er an der Stelle einfach naiv – wissend, dass auch solche internationalen Gremien natürlich Gegenstand von Manipulation sein können – oder schwebt ihm wirklich sowas wie eine Weltregierung vor, die ich aus verschiedenen Gründen für schwierig halte? Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, da steckt jetzt ein großer konzertierter Plan dahinter. Ich kritisiere eher die dahinter stehende Philosophie und das Menschenbild.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Problematisch ist ja auch: Entweder wird es in vielen Medien gar nicht diskutiert wird oder sofort abgetan, anstatt dass die Sorgen der Menschen ernst genommen werden. Das kommt letztendlich Demagogen zugute, die diese Ängste einfach nur für sich ausnutzen, für ihre Klicks, ihre Macht oder was auch immer.

Zu den selbsternannten Gegner des „Great Reset“ zählt sich ja auch der russische Philosoph Alexander Dugin, der als Vordenker des imperialistischen Putin-Russlands gilt und über den Sie ja auch einen Podcast gemacht haben. Manche, die den Transhumanismus kritisieren, heroisieren dann wiederum Dugin und Putin wegen eben solcher Rhetorik. Haben wir es hier mit Projektionsfiguren zu tun?

Johannes Hartl: Also Dugin ist brandgefährlich und das konservative bis rechte Lager läuft in große Gefahr, mit der Kritik an Dingen wie „Great Reset“ oder Digitalisierung oder Transhumanismus, das demokratische Kind mit dem Bade auszuschütten. Diese extreme Polarisierung, dass also immer mehr Themen von zwei Seiten vermint werden, das erlebe ich leider in vielen Debattenbereichen in Echtzeit und das Internet hilft noch dabei mit. Und ein Putin zum Beispiel vermag auf dieser Orgel tatsächlich gut zu spielen, indem er sagt: Der Westen ist ja dekadent, der hat sich von seinen Wurzeln entfernt und steuert auf den Great Reset zu.

Und dadurch weckt er Ängste und bespielt Befürchtungen, die ihrerseits nicht alle unberechtigt sind. Also natürlich ist eine Technokratie wie in China mit Überwachungsstaat und manche Teile der transhumanistischen Vision wirklich etwas, von dem man warnen muss. Allerdings ist der Drive von Verschwörungstheorien, einem bestimmten Mainstream zu misstrauen und dann stattdessen irgendwelchen anderen Quellen zu glauben. Und diese Quellen sind oft noch bedeutend gefährlicher. Diesen Gedanken-Cocktail kann man besonders gut bei einem der Vordenker der russischen Rechten beobachten, Dugin, der bei uns nicht viel, aber auf Putin offensichtlich schon Einfluss hat.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und was, denken Sie, kann man dem letztendlich entgegensetzen?

Johannes Hartl: Man kann ihm das schlichte Wort der Freiheit entgegensetzen. Wir sollten grundsätzlich immer die Freiheit verteidigen, und zwar sowohl gegenüber der Vorstellungen einer kompletten Datendurchsichtigkeit des Menschen und der globalen Überwachung als auch dem Wunsch nach einer nationalistischen oder einheitlichen Ideologie, die Konservativismus verspricht, aber im letzten eine Diktatur ist. Und zu der neigen halt wahrscheinlich Leute wie Orbán auch oder Bolsonaro oder Modi in Indien.

International scheint mir diese Gefechtslage also entweder komplett libertärer Westen inklusive Blauäugigkeit hinsichtlich dieser Entwicklungen wie Transhumanismus und „Great Reset“ einerseits, andererseits eine Rückkehr zu angeblich konservativem, aber letztendlich freiheitsfeindlichen Modellen ein Zukunftsthema zu sein. Da scheinen sich mir zwei große Machtblöcke der Zukunft abzuzeichnen. Und zum Glück müssen wir uns nicht zwischen beiden entscheiden, denn beide sind im letzten einseitig.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Der britische Philosoph Nick Land, der als „Vater des Akzelerationismus“ gilt und ein Lehrer Mark Fishers war, hat – sinngemäß – einmal gesagt, dass der Mensch sich letztendlich erst in der finalen Konfrontation mit dem technologischen Fortschritt, also im Augenblick der technologischen Singularität, wenn man so will, zur Selbsterkenntnis gelangen kann. Besteht also durch den Umstand, dass diese Technologie uns jetzt so massiv entgrenzt, die Chance, dass wir uns endlich nicht mehr davor drücken können, uns zu fragen, wer wir als Menschen eigentlich sind?

Johannes Hartl: Das finde ich eine schöne, positive Aussage. Aber ich glaube, sie stimmt nicht wirklich, weil die Menschen sich schon immer auseinandergesetzt haben mit den Technologien ihrer Zeit, die potenziell dabei waren, den Menschen abzuschaffen oder zu überholen. Da gibt es schon die uralte Erzählung vom Turmbau zu Babel, da gibt es die Golem-Geschichte und den Traum von Ikarus. Da läuft es immer darauf hinaus, dass es dem Menschen graut vor dem, was er technisch kann.

Aber ich sage mal zukunftsfroh nach vorne gedacht: Natürlich, wenn die Computer besser Schachspielen können als wir und Google Translate erstaunlich gut ist im Übersetzen, dann kann man schon sagen, okay, vielleicht ist Schachspielen und Übersetzen nichts, was uns zum Menschen macht, sondern was denn dann?

Und das fände ich eine produktive philosophische Aufgabe, zu klären: Was macht einen Menschen aus? Und das ist für mich eigentlich der Hauptvorwurf gegen Harari, weil er letztendlich im Menschen nichts anderes sieht als einen evolutionär gesteuerten Computer. Und dass er dann glaubt, dass Computer aus der realen Evolution der Chips und der Algorithmen uns überholen, das liegt ja auf der Hand. Zum Glück irrt er halt an der Stelle.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Das ist ein schönes Schlusswort, Herr Hartl. Vielen Dank für das spannende Gespräch!


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