Deutschland

EU-Wahl: Internet-Gemeinde versteht die Piraten nicht mehr

Lesezeit: 2 min
07.01.2014 00:44
In den Internet-Foren wird der Piraten-Partei Arroganz gegenüber den Wählern vorgeworfen. Ihren Misserfolg bei der Bundestagswahl hatten die Piraten mit mangelndem Interesse der Bürger am Datenschutz erklärt. Die Euro-Krise haben die Piraten dagegen noch nicht entdeckt - auch nicht die sozialen Themen, die sich für die Partei daraus geradezu zwingend ergeben müssten.
EU-Wahl: Internet-Gemeinde versteht die Piraten nicht mehr

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Die Piraten-Partei steht in den Internet-Foren wegen Arroganz gegenüber dem Wähler in der Kritik. Enttäuscht wenden sich auch Technik-affine junge Leute und somit potentielle Piraten-Wähler von der Partei ab.

Am Wochenende haben die Piraten ihre 12-köpfige Kandidatenliste zur Europawahl festgelegt. Angeführt wird die Wahlliste von Julia Reda, der Chefin der Jugendorganisation Young Pirates Europe. Ebenfalls auf die Liste geschafft hat es die bekannte Aktivistin Anke Domscheit-Berg, die Frau des Wikileaks-Mitbegründers Daniel Domscheit-Berg, der nach seinem Zerwürfnis mit Julian Assange ein sehr interessantes Buch über das Innenleben von Wikileaks geschrieben hat.

Domscheidt-Bergs Kandidatur, die in letzter Minute erfolgte, war von Beobachtern als positives Zeichen gesehen worden, dass die Piraten in ihrem Kernthema wieder mehr Kompetenz gewinnen könnten.

Doch die Europa-Politik, die ebenfalls auf dem Parteitag beschlossen wurde, ist enttäuschend.

Neben einer Reform des Urheberrechts fordern die Piraten mehr EU - nicht gerade ein origineller Ansatz mitten in der Euro-Krise. In ihrem Antrag für den Bundesparteitag heißt es:

„Nur da, wo lokale Regeln sinnvoller sind, soll lokal entschieden werden. Wir wollen eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, eine gemeinsame Außenpolitik, eine gemeinsame Umweltpolitik, eine gemeinsame Sozialpolitik und alles, was sonst noch besser gemeinsam geschultert werden kann.“

Das EU-Parlament müsse „endlich selbständig Gesetze einbringen dürfen und über Finanzen und Steuern entscheiden“, so Reda. Zudem brauche Europa den Euro. „Für gemeinsamen Frieden und Wohlstand brauchen wir einen Kontinent mit einer gemeinsamen Währung. Dazu wollen wir unsere nationalstaatlichen Interessen hintanstellen.“

Im Forum von heise.de, wo viele Technik-affine Bürger und somit potentielle Piratenwähler unterwegs sind, ernten die Piraten heftige Kritik. Der Forums-Nutzer Seven81 fragt, ob eine Partei mit einem solchen Programm, wie es die Spitzenkandidatin Reda vorgeschlagen hat, überhaupt wählbar ist.

„Der Antrag wurde zwar nicht angenommen, bekam jedoch nicht wenig Zustimmung. Dass ein Großteil der anwesenden Piraten überhaupt keine Anträge lesen mag und lieber irgendwas abstimmt, ist ein elementares Problem. Man kann schlecht Volksabstimmungen einfordern, wenn ein großer Teil der eigenen Partei überhaupt kein Interesse an inhaltlicher Arbeit hat.“

Auch Forum-Nutzerin Eva K bescheinigt den Piraten ein Desinteresse an inhaltlicher Arbeit. Zudem kritisiert sie die innerparteiliche Kommunikation. „Kommunikation reduziert sich auf zwangsläufig verkürzte und damit recht rabiat wirkende Twitter-Kommentare, das artet schnell zum ‚Shitstorm‘ aus.“

Seven81 nennt die Diskussionskultur der Piraten „ein Alleinstellungsmerkmal“ in der deutschen Parteienlandschaft. „Die Leute werden dummgemacht, beleidigt, als Nazis beschimpft. Und der Klüngelkreis dieser beschimpfenden Personen springt dann darauf auf. Diese Kommunikationsweise zieht sich durch die gesamte Partei.“

Die Piraten haben derzeit knapp 30.000 Mitglieder. Sie sitzen in vier Länderparlamenten. Zwischenzeitlich erreichten sie zweistellige Umfrageergebnisse, verfehlten jedoch im September mit nur 2,2 Prozent der Stimmen den Einzug in den Bundestag. Der Einzug in das EU-Parlament im Mai ist nicht unwahrscheinlich, selbst wenn das Bundesverfassungsgericht die 3-Prozent-Hürde nicht kippt (mehr hier).

Die Piraten hatten ihren Misserfolg bei der Bundestagswahl vor allem damit erklärt, dass die Bürger sich nicht ausreichend für die Themen Internet-Sicherheit und Datenschutz interessierten. Auf ihrer Webseite heißt es:

„Das war es wohl mit der Spähaffäre. Interessiert hat es hierzulande ohnehin fast nur die Journalisten. Der abgehörte Durchschnittsdeutsche verfolgte die Sache eher wie einen Fernsehkrimi am Bildschirm. Mit etwas Gänsehaut und der Gewissheit, dass alles nur eine Inszenierung sei.“

Der Forum-Nutzer systray0 kritisiert die „Überheblichkeit und Arroganz“ der Piraten: „Arbeitet an euren Wahlprogrammen und hört auf, euren Frust kundzutun und vor allem den Bürgern dauernd die Schuld an eurem Versagen zu geben – sucht auch bei euch selbst.“

Spitzenkandidatin Reda sieht bei den Wählern noch ein mangelhaftes Wissen über die Vorteile eines grenzenlosen Europas. „Der erste Schritt muss sein, die Leute für Europa zu begeistern und ihnen kurz zu vermitteln, was das Europaparlament eigentlich mit ihrem Leben zu tun hat.“

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Erholung der deutschen Wirtschaft verzögert sich
29.03.2024

Europas größte Volkswirtschaft kommt nicht richtig in Fahrt. Die Aussichten für die nächsten Monate sind nach Experteneinschätzung...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Reiseziele: So manch Überraschung im Sommerflugplan
29.03.2024

Ab Ostern tritt an den deutschen Flughäfen der neue Sommerflugplan in Kraft. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben für Sie als Leser...

DWN
Politik
Politik Vor 20 Jahren: Größte Erweiterung der Nato - eine kritische Betrachtung
29.03.2024

Am 29. März 2004 traten sieben osteuropäische Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisterung. Auch der russische...

DWN
Technologie
Technologie Viele Studierende rechnen mit KI-Erleichterungen im Joballtag
29.03.2024

Vielen Menschen macht Künstliche Intelligenz Angst, zum Beispiel weil KI Arbeitsplätze bedrohen könnte. In einer Umfrage stellte sich...

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...